Otto Eger war ein begeisterter Nationalsozialist. Der 1949 verstorbene Professor der Universität Gießen war nicht nur Mitglied der NSDAP, sondern schon in den 20er-Jahren immer dabei, wenn es gegen die Demokratie ging: Nur knapp verpasste er mit einer von ihm gegründeten Kompanie den Kapp-Putsch.
Als Mitglied im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund gehörte er zu jenen, die Juden aus dem Rechtswesen vertrieben und davon selbst profitierten. Für Gießens Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (SPD) kein Grund, den Linken und den Grünen in ihrer Forderung, ein nach Eger benanntes Studentenwohnheim umzubenennen, zu folgen. Es gebe, schrieb Grabe-Bolz in einem Brief an die Linke, »keine neuen Belege, die speziell nationalsozialistische Verfehlungen untermauern«. Dass Eger ein Nazi und schon lange vor 1933 ein Feind der Demokratie gewesen war, scheint kein Problem zu sein.
Dass noch immer Straßen, Plätze oder auch Studentenwohnheime nach Rechtsextremen wie Eger benannt sind, stört Ingrid Wettberg, die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover. »Es ist spät, so etwas aufzubereiten, aber es ist nicht zu spät«, sagt die Gemeindevorsitzende. »Wir würden uns an unseren Kindern versündigen, wenn wir es auf sich beruhen lassen. Wir leben heute in einer anderen Zeit und in einem anderen Staat, aber dessen Aufgabe ist es auch, ganz klare Linien zu setzen.«
In Hannover gehört Wettberg einem Beirat an, der sich mit dem Leben von Namensgebern in der niedersächsischen Hauptstadt beschäftigt. Anlass war die Doktorarbeit der Politologin Teresa Nentwig über das Leben von Hinrich Wilhelm Kopf, dem ersten Ministerpräsidenten Niedersachsens, nach dem der Platz vor dem Landtag benannt ist: »Ein Ergebnis der Arbeit war«, sagt Wettberg, »dass Kopf Mitinhaber einer Firma war, die jüdisches Eigentum verkauft und jüdische Geschäftspartner verdrängt hat. Das wusste niemand mehr.«
Projekt In Hannover nahm man den Fall zum Anlass, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. Die niedersächsische Landeshauptstadt startete die systematische Aufbereitung der Hintergründe von Namensgebern: »Mit diesem auf zwei Jahre angelegten Projekt sollen die Biografien von Männern und Frauen durchleuchtet werden, deren Namen Straßen und Schulen zieren oder eine andere Form der Ehrung erhalten haben. Dabei geht es nicht um die undifferenzierte Massenumbenennung von Straßen, Schulen und anderen Einrichtungen, sondern vielmehr um die differenzierte Beurteilung von Biografien im Kontext der historischen Urteile«, sagte Hannovers Kultur- und Schuldezernentin Marlis Drevermann (SPD) bei der Vorstellung der Pläne im Spätsommer des vorigen Jahres.
Geprüft werden die Biografien von Namensgebern, die bei Kriegsende erwachsen waren, von einer Projektgruppe, zu der neben einem Historiker auch je ein Vertreter des Stadtarchivs und des Baudezernats gehören. 100.000 Euro hat Hannover für diese Arbeit zur Verfügung gestellt. Samuel Salzborn, Professor für Grundlagen der Sozialwissenschaften an der Georg-August-Universität in Göttingen, begrüßt das Vorgehen Hannovers. »Eine so systematische Aufarbeitung ist dringend notwendig und längst überfällig.« Immer wieder hätten in der Vergangenheit in vielen Städten Antifa-Gruppen und Geschichtswerkstätten auf Namensgeber mit einem völkischen oder offen nationalsozialistischen Hintergrund hingewiesen.
»Was jetzt in Hannover passiert, ist auch der Lohn solcher Kleinarbeit. Dass es jetzt eine solche große Initiative gibt, finde ich gut und richtig«, sagt Salzborn. Ein Straßenname habe eine große Symbolik. Er stehe auf dem Briefpapier und im Branchenbuch, und damit verbreite sich auch ein rechtes und antisemitisches Weltbild. »Und wer nicht weiß, wer sich hinter dem Namen verbirgt, denkt sich, dass es jemand Vorbildliches ist«, warnt Salzborn. Für ihn steht fest: »Hier sollte dringend symbolische Abwertung unternommen werden.«
städtetag Uwe Schippmann, Sprecher des deutschen Städtetags, sagt, dass Straßenumbenennungen seit langer Zeit immer wieder ein Thema sind. »Es lässt sich nicht sagen, wann das aufgekommen ist. Die Städte haben immer wieder mit dem Problem zu tun und versuchen, ihre eigenen Wege zu finden, damit umzugehen.«
Direkt nach dem Ende der Nazizeit sorgten die Alliierten dafür, dass die nationalsozialistischen Änderungen der Straßennamen rückgängig gemacht wurden: Nazigrößen verschwanden als Namensgeber für Straßen. Aus der Adolf-Hitler-Straße in Düsseldorf wurde wieder die Haroldstraße, aus der Hermann-Göring-Straße in Berlin die Ebertstraße, und auch Leverkusen befreite sich von der Joseph-Goebbels-Straße.
In Frankfurt wurden nach 1946 die Straßenumbenennungen durch die Nazis systematisch rückgängig gemacht: Sie hatten nicht nur Straßen nach bekannten Nationalsozialisten, Militärs und Schlachten benannt, sondern auch die Namen von Juden aus dem Stadtbild getilgt: Aus der nach dem Arzt und Stifter Dr. Salomon Herxheimer benannten Herxheimerstraße wurde so die Nothnagelstraße und aus dem nach dem Schriftsteller Carl Ludwig Börne benannte Börneplatz der Dominikanerplatz. Damit war es dann schon ab 1946 vorbei. Doch Frankfurt ging weiter, gab etlichen Straßen die Namen von Widerstandskämpfern wie Wilhelm Leuschner und Paul Kirchhof oder Naziopfern wie Anne Frank und Carl von Ossietzky.
Feldzeichen In Stuttgart erschien die von Peter Poguntke erstellte Studie Braune Feldzeichen, in der sich die Stadt mit Nazi-Straßennamen auseinandersetzte, und auch das Stadtarchiv und sein Leiter Roland Müller haben zu dem Thema gearbeitet. In München wurden in einer ersten großen Aktion im Juni 1945 Dutzende von Straßen, die Namen von Nationalsozialisten trugen, umbenannt. Auch in jüngerer Zeit kam es immer wieder zu weiteren Umbenennungen: Die nach dem antisemitischen Bischof Hans Meiser benannte Straße heißt nun nach der Ehefrau Martin Luthers Katharina-von-Bora-Straße.
In Bochum wurden 1992 Straßenbezeichnungen auf ihre Namensgeber hin untersucht, mit dem Ergebnis, dass 1998 die nach deutschen Kolonialisten benannten Wißmanns-, Peters- und Lüderitz-Straßen nach der Weltreisenden Ida Pfeifer, der Frauenrechtlerin Ottilie Schönewald oder dem Bochumer Rabbiner Moritz David umbenannt wurden. 2007 erhielt die nach dem antisemitischen evangelischen Theologen Adolf Stöcker benannte Straße den Namen Anne-Frank-Straße.
Auf Widerstand in der Bevölkerung stießen die Initiatoren der Aktion »Irmgard und Ortrud« vor einem Jahr. Sie wollten, dass die von den Nazis 1937 nach den Reichswehrgenerälen Karl von Einem und Hans von Seeckt benannten Straßen wieder ihre alten Namen Irmgard- und Ortrudstraße erhielten. Obwohl Historiker die Nähe der beiden Generäle zum Nationalsozialismus belegen konnten, überzeugte das die Mehrheit der Bewohner in Essen-Rüttenscheid – einem eher alternativen Szenestadtteil – nicht: Mit überwältigender Mehrheit wollten die Rüttenscheider die alten Namen behalten und ihre Visitenkarten nicht ändern.