Ebensee liegt idyllisch im Salzkammergut, umgeben von bewaldeten Bergen. Die Kombination von Wald, Zuganbindung und Steinbruch eröffnete in der NS-Zeit beste Voraussetzungen für eines der größten Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen.
Berek Rajber überlebte dieses sogenannte »SS-Lager Zement« – im Gegensatz zu mehr als 8700 Leidensgenossen – mit gerade mal 37 Kilogramm Körpergewicht. Er kehrte nach Polen zurück, erfuhr von überlebenden Angehörigen in Bergen-Belsen, weshalb er frisch verheiratet dorthin weiterzog.
Schicksal Welcher Überlebenswille hatte ihn 25 Kilo schwere Zementsäcke schleppen lassen, und welcher Lebensmut hatte ihn so bald nach der Befreiung durch die Amerikaner am 6. Mai 1945 eine Familie gründen lassen! Sohn Abraham kam in Bergen-Belsen zur Welt; die Erinnerung an das Schicksal seiner Eltern und insbesondere das seines Vaters motiviert ihn seit Jahren, regelmäßig nach Ebensee zu fahren und der 18.437 Häftlinge, die dort in der »Spitzenzeit« Anfang 1945 gelitten hatten, zu gedenken.
Daraus ist inzwischen eine Tradition geworden, jedes Jahr im Sommer interessierte Freunde und Bekannte, Juden und Nichtjuden, zu einer Tagesexkursion per Bus einzuladen. Von München sind es etwa 222 Kilometer. Der Weg führt durchs blaue Land, vorbei am bayerischen Meer, wie man den Chiemsee nennt, nach Österreich Richtung Fuschlsee in ein wunderschönes Erholungsgebiet, in dem heute der Konzern »Red Bull« seine Zentrale hat.
Bald darauf erreicht man den Ort Ebensee, nur 100 Kilometer von Mauthausen und 25 Kilometer vom Kurort Bad Ischl entfernt. Der Tagesausflug mit Abraham Rajber bietet pures Kontrastprogramm: einerseits die Schönheit der Berge, andererseits die in Stein gehauenen Spuren des nationalsozialistischen Schreckensregimes mit Endsiegfantasien in einer Alpenfestung auf Kosten von Abertausenden Gefangenen.
Stollenanlage Vorausgegangen war diesem düsteren Kapitel des NS-Terrors die Bombardierung der Raketenversuchsanstalt Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom. Es entstand der Plan, nun im Süden Deutschlands unweit der Ortschaft Ebensee eine Stollenanlage in den Berg zu treiben. Dort sollten kriegswichtige Produktionen ungestört weiterbetrieben werden.
Am 18. November 1943 traf der erste Häftlingstransport aus Mauthausen ein. Die SS »vermietete« die Arbeitskraft der Menschen, die Firmen verlangten von den Tagelöhnern Höchstleistung und erhöhten ihren Profit durch Einsparungen in der Versorgung. Jede Woche wurden die nicht mehr Arbeitsfähigen in Hundertschaften gegen unverbrauchte neue Kräfte aus Mauthausen ausgetauscht.
Ihr Tod wurde bewusst in Kauf genommen. Das alles und noch mehr geht einem auf, wenn man fröstelnd im ersten Gewölbe des Stollens A die Schautafeln studiert und begreift, dass unterernährte, nicht ausgebildete Gefangene ohne Schutzkleidung erst kilometerlange Tunnel in das Bergmassiv hatten treiben müssen, damit dort später eine Erdölraffinerie für Treibstoff und eine Produktionsstätte für Panzergetriebe vorbereitet werden konnten.
Spielplatz Dort, wo einst von den ersten 500 Häftlingen ein Lager errichtet worden war, das am Ende 32 Unterkunftsbaracken und Wirtschaftsgebäude umfasste, befindet sich heute eine adrette Wohnsiedlung. Alles wurde abgetragen, das Areal in günstige Baugrundstücke aufgeteilt. Nur noch der Bogen der steinernen Toreinfahrt ins ehemalige Lager spannt sich über die Durchgangsstraße. Hinter einem stadtrandüblichen Spielplatz gelangt man zum KZ-Friedhof.
Viel christliche Symbolik ist den katholischen Opfern – vorwiegend aus Polen und Italien stammend – gewidmet. Um das jüdische Mahnmal in Form einer Mazewa (Grabstein) versammelte sich wie jedes Jahr wieder die Reisegruppe aus München.
Rabbiner Yehuda Horovitz sprach das Totengebet. Auch IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch war dabei. Ihr Versprechen, die alljährliche Gedenkfahrt zu einem dauerhaften Bestandteil der Münchner Erinnerungskultur zu machen, rührte Abraham Rajber sehr. Beide wünschten sich nur, dass künftig mehr junge Leute teilnehmen sollten.
Mauer Der Jugend wäre Vielfalt geboten, angefangen vom erfrischenden Sprung in das berühmte aquamarinfarbene Wasser des Fuschlsees über die eisige Kälte im Stollensystem bis zur Gedenkwand an der Friedhofsmauer, die auf Betreiben des örtlichen Museumsleiters Wolfgang Quatember geschaffen wurde und die Vor- und Zunamen der in Ebensee Umgekommenen für immer bewahrt.
Neben der Historie und Gedenkkultur kommt auch das Angenehme nicht zu kurz. Anat Rajber, entfernt verwandt mit Initiator Abraham Rajber, unterstützt diesen tatkräftig bei allem Organisatorischen. Mithilfe des Sponsors Danel Feinkost konnte sie sogar einen koscheren, israelisch angehauchten großzügigen Imbiss in der Bibliothek des Zeitgeschichte-Museums Ebensee improvisieren.
Vor der Heimfahrt gab es noch einen Abstecher nach Bad Ischl, wo die einen auf den Spuren des Hauses Habsburg durch die wunderschön restaurierte Ortschaft flanierten und die anderen österreichische Kaffeehauskultur inspizierten.
Müde war man am Ende keineswegs, denn im Bus wurde in vielen Sprachen gesungen. Chaim Frank, der schon mehrmals dabei war, trug lustige Majsalech und Anekdoten vor. Und der freundliche, geduldige Busfahrer entpuppte sich am Ende als begeisterter Israelreisender.