Drei große Begriffe hat der Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit als Jahresmotto für 2014 gewählt: »Freiheit – Vielfalt – Europa«. Am kommenden Sonntag, den 9. März, wird die Woche der Brüderlichkeit in Kiel feierlich eröffnet.
Im Jahr der Europawahl ein Europathema zu wählen, liegt nahe. Doch auch darüber hinaus ist 2014 ein Jahr, das vor Europa nur so strotzt. Es jährt sich zum 100. Mal der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der Beginn des Zweiten Weltkriegs ist 75 Jahre her, und der Mauerfall, der Ost- und Westeuropa einander nach langer Trennung wieder nähergebracht hat, feiert dieses Jahr sein 25. Jubiläum.
Das Fehlen von Freiheit oder ihr Wiedergewinn prägten diese Ereignisse, und auch in der übrigen europäischen Geschichte war Freiheit keine Selbstverständlichkeit. Zudem ist Europa durch seine unterschiedlichen Völker, durch Zuwanderung und kulturellen Austausch heute ein Kontinent der Vielfalt – eine Vielfalt, die durch die Globalisierung immer weiter zunimmt, gleichzeitig aber nicht immer willkommen geheißen wird.
Israel Auch die politische Komponente hatte der Koordinierungsrat bei der Wahl des Mottos im Blick, etwa die Zusammenarbeit mit Israel. »Wie emotional, kulturell und wirtschaftlich ist Israel verwoben mit Europa?«, fragt Eva Schulz-Jander, die Katholische Präsidentin des Koordinierungsrats, im Vorwort des Themenhefts zur Woche der Brüderlichkeit. Denn nicht nur Ein-, sondern auch Auswanderer trügen neue Ideen in die Welt, so auch jene, die das geografische Europa verlassen und dabei europäische Werte mit im Gepäck haben.
»Freiheit – Vielfalt – Europa«, das ist ein politisches Motto, ein weltoffenes und sehr aktuelles Thema, unter dem die Woche der Brüderlichkeit 2014 steht. Joachim Liß-Walter, der erste Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Schleswig-Holstein, nimmt ganz klar Bezug auf aktuelle Entwicklungen in Europa. Er will mit dem diesjährigen Motto die europäischen Demokratien gestärkt sehen.
Preisträger »In vielen Ländern, auch in Deutschland, hat der Antisemitismus wieder zugenommen«, sagt er. Mit György Konrád sei in diesem Jahr nicht umsonst ein Ungar der Preisträger der Buber-Rosenzweig-Medaille, sagt Liß-Walter: »Denn auch in seinem Heimatland hat der Antisemitismus sein Haupt erhoben.«
Der 80-jährige Schriftsteller und Essayist Konrád, selbst Jude und Holocaust-Überlebender, sei einer der Menschen, »die sich dem europäischen Gedanken ganz zentral verpflichtet fühlen – gerade auch vor dem Hintergrund seiner Biografie«. Die Werke Konráds sind geprägt von einem Werben für ein Europa, das den Geist von Freiheit und Frieden, Vielfalt und Toleranz atmet.
Die Buber-Rosenzweig-Medaille ist undotiert und wird jedes Jahr im Andenken an die jüdischen Philosophen Martin Buber und Franz Rosenzweig verliehen. Sie ehrt Personen, Institutionen oder Initiativen, die für die Verständigung zwischen Christen und Juden eintreten. In diesem Jahr, im Rahmen der Eröffnungsfeier am 9. März, hält der Literaturkritiker Hellmuth Karasek die Laudatio.
Programm Zum ersten Mal in der 62-jährigen Geschichte der Woche der Brüderlichkeit finden die zentralen Veranstaltungen in Kiel statt. Vorträge, Filme, Themenführungen durch die Stadt – das Programm ist breit gefächert. Der GCJZ-Vorsitzende freut sich besonders über »Konzerte jenseits des Mainstreams«, wie etwa »Voices of Ashkenaz« am 8. März, den Europäischen Synagogalchor Hannover, der am 9. März auftritt, und auf Rabbi Walter Rothschild and The Minyan Boys, die am 1. Juni in Kiel spielen. »Der schleswig-holsteinische Landesrabbiner Rothschild ist bekannt für nachdenklich-humoristisch-amüsante Musikabende«, sagt Liß-Walter. Es werde ein ungewöhnlicher Liederabend mit hebräischen Weisen und biblischen Liedern.
Wie dieser Liederabend mit den Minyan Boys werden noch einige Programmpunkte mehr außerhalb der eigentlichen Woche angeboten. Die Kieler Veranstaltungen laufen noch bis Juni. Eine davon findet am 6. April im Kommunalen Kino statt. Es geht um Roman Polanskis Film Der Pianist – eine Veranstaltung, die der GCJZ-Vorsitzende hervorheben möchte, »obwohl die Filmvorführung an sich nichts Ungewöhnliches ist«. Ihre Umrahmung schon: Es wird aus den Erinnerungen des »Pianisten« Wladyslaw Szpilman, Das wunderbare Überleben, gelesen. Der Sohn von Szpilmans Retter, dem Wehrmachtsoffizier Wilm Hosenfeld, hat seinen Besuch angekündigt. Detlev Hosenfeld lebt in Kiel und steht dem Filmpublikum für ein Gespräch zur Verfügung.
Stolz ist Liß-Walter auch auf eine Vortragsreihe, die die GCJZ Schleswig-Holstein veranstaltet. In den Beiträgen geht es um die Geschichte und Gegenwart der Juden in einigen Ländern Europas – ein Schwerpunkt, »den es so noch nicht gegeben hat«, sagt der GCJZ-Vorsitzende. Begonnen werde mit Russland, der Ukraine, Polen und Litauen, aber auch andere Länder sollen folgen.
Dialog Die »Woche der Brüderlichkeit« ist eine Initiative des Deutschen Koordinierungsrates, dem Zusammenschluss von 83 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Die ersten entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg in der amerikanischen Besatzungszone. Nach dem US-Vorbild sollten die örtlichen Organisationen zum christlich-jüdischen Dialog beitragen und Antisemitismus vorbeugen. Die erste bundesweite »Woche der Brüderlichkeit« fand 1952 statt.
Viele der lokalen Gesellschaften organisieren für diese Zeit eigene Veranstaltungen, oft mit Preisverleihungen und Vorträgen. In Stuttgart etwa gibt es Moscheen- und Synagogenführungen, Düsseldorf widmet sich der Integration mit einer Lesung und einem Gespräch zum Thema »So fremd und doch so nah – Juden und Muslime in Deutschland«. In Berlin eröffnet Erzbischof Kardinal Woelki die Woche mit einer Festrede.