Keine 300 Meter entfernt vom Roten Rathaus stand einst ein Wohnhaus, das der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn Mitte des 18. Jahrhunderts zum Zentrum der Aufklärung in Berlin machte, zu einem Ort des Lichts. Auf der in den Boden eingelassenen Steinplatte steht: »In diesem Hause lebte und wirkte Unsterbliches.« Daran geht es vorbei auf dem Weg zur achten Verleihung des Shimon-Peres-Preises. Eine Auszeichnung, die respektvolles und friedliches Miteinander in Deutschland und Israel ehrt, die Hoffnung auf und den Glauben an Frieden, der den neunten israelischen Staatspräsidenten und Friedensnobelpreisträger durchs Leben getragen hat. Und Berlin sieht so unfassbar dunkel aus. Wie der Rest der Welt dieser Tage.
Natürlich ist das Security-Aufgebot groß, es werden viele Israelis erwartet, unter anderem auch Israels Botschafter Ron Prosor. Deshalb wurde der Veranstaltungsort erst kurz vorher bekannt gegeben. Und man kommt nicht umhin, sich zu fragen, was der Unterschied zwischen Schützen und Verstecken ist.
Doch dann! Nachdem im Festsaal mehr als 300 Menschen zur Ruhe gekommen sind, brechen tatsächlich kleine Hoffnungsstrahlen durch. Und das liegt nicht nur am goldgelb-glitzernden Outfit von Moderatorin Andrea Kiewel, das in der Farbe der Schleifen für die Geiseln strahlt. Insgesamt werden sechs Initiativen und Projekte vorgestellt, die in schwersten Zeiten das Miteinander in der Gesellschaft hochhalten, die nach der Devise handeln: »Das Größte in der Welt ist es, etwas für jemand anderen zu tun«.
Ausgefallen wegen des 7. Oktober
Aber zuerst geht es noch einmal ins Dunkel, als in den Ansprachen der Veranstalter - der Shimon-Peres-Preis wird vom Auswärtigen Amt in Kooperation mit der Stiftung Deutsch-Israelisches Zukunftsforum verliehen – der Grund erklärt wird, warum die Verleihung im vergangenen Jahr ausfallen musste. Und warum es dieses Jahr einen Extra-Preis gibt: der 7. Oktober 2023.
Der Berliner Bürgermeister und Senator für Finanzen, Stefan Evers, spricht davon, es sei unvorstellbar, dass sich in dieser Stadt Menschen mit dem Terror solidarisiert haben, dass weite Teile der Gesellschaft dem Antisemitismus und der Täter-Opfer-Umkehr erliegen. Als er sagt, dass Berlin in Solidarität und Freundschaft an der Seite der jüdischen Menschen dieser Stadt und »fest an der Seite Israels« stehe, kommt Applaus auf. Auch für die israelische Flagge vor dem Rathaus, die dort hängen werde, »bis die letzte Geisel wieder frei ist«.
Tamara Or, Vorständin des Deutsch-Israelischen Zukunftsforums, findet Worte dafür, dass uns die Worte für den Schmerz auf allen Seiten fehlen. Denn, wie Peres einst sagte, kann man »Frieden nicht mit leeren Worten machen«. Gerade angesichts der dunkelsten Stunde, auf die immer wieder die dunkelste Stunde folge, dürften wir nicht schweigen, so Or, was im Hebräischen passenderweise auch »Licht« bedeutet. Am Ende ihrer Ansprache verspricht sie: »Das andere Morgen wird kommen und wir werden Worte haben«.
Sunflowers, Daily Postcards, Shomrim, PowHer, Link Bridge und Sahi
Und das eben auch dank Projekten wie Sunflowers, Daily Postcards, Shomrim, PowHer, Link Bridge und Sahi, die die Worte mit Leben füllen. Sie vermisse Respekt für andere in ihrem Land, sagt Shimon Peres‹ Tochter Tsvia Walden. Beamte, die den Bürgern dienen, die jeden Stein umdrehen, um Entführte nach Hause zu holen. Die Regierung habe kläglich versagt, handle herz- und empathielos, und Bürger füllten nun das Vakuum. Ihre Überleitung zu den Preisträgern.
So viele Einsendungen wie nie habe es gegeben, sagt Kiewel, der immer wieder mühelos der Spagat zwischen Trauer und Fröhlichkeit gelingt. Deshalb würden dieses Mal zusätzlich drei Projekte zur Würdigung vorgestellt: Das von Hadar Kess gegründete Projekt Sunflowers betreut 800 Kinder, die am 7. Oktober ihre Eltern verloren haben, bietet psychologische Unterstützung und Beratung an. Mit seinen Daily Postcards gedenkt der Künstler Zeev Engelmayer jeden Tag der Geiseln, die von den Hamas-Terroristen nach Gaza verschleppt wurden. Seine bunten Bilder spiegeln Schmerz und Wunschdenken, »gegen die Dunkelheit«.
Shomrim ist eigentlich ein Zentrum für investigativen Journalismus, doch um den hunderten durch die Ereignisse des 7. Oktober traumatisierten Journalisten zu helfen, richtete die Organisation einen Hilfsfond ein.
»Wir sind nicht hier, um euch zu helfen, wir brauchen eure Hilfe, um anderen zu helfen« SAHI
Der Hauptpreis des insgesamt mit 20.000 Euro dotierten Shimon-Peres-Preises ging an PowHer und Link Bridge: PowHer ist ein deutsch-israelisches Projekt, das Frauen aus Berlin, Tel Aviv, Jerusalem und Deir al-Asad zusammengebracht hat, um Austausch und Empowerment über kulturelle Grenzen hinweg zu ermöglichen.
Link Bridge hat die Zusammenarbeit zweier Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen ermöglicht, um das schreckliche Geschehen des 7. Oktober auch Menschen mit zusätzlichen Barrieren verständlich zu machen.
»Herausragende Unterstützung der israelischen Gesellschaft«
Übergeben wurden die Preise von Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Die Schirmherrin der Preisverleihung, Außenministerin Annalena Baerbock, war nicht gekommen. Man dürfe den Glauben an Frieden niemals aufgeben, erinnerte Lindner an das Vermächtnis von Shimon Peres. Trotz der anhaltenden Gewalt im Nahen Osten könnten wir uns heute für einen Moment einer hoffnungsvollen Zukunft zuwenden, so Lindner.
Und schließlich wurde die israelische Initiative Sahi für evakuierte Jugendliche mit dem Shimon-Peres-Sonderpreis ausgezeichnet, der mit 10.000 Euro dotiert ist und das Projekt für seine »herausragende Unterstützung der israelischen Gesellschaft« ehrt. »Wir sind nicht hier, um euch zu helfen, wir brauchen eure Hilfe, um anderen zu helfen« war das Motto, unter dem die Jugendlichen in verschiedenen Städten dabei geholfen haben, Menschen in Not mit Hilfspaketen zu versorgen.
Das Lächeln von CEO und Mitgründer Avraham Hayon leuchtete noch heller als das Outfit von Kiewel. »Was uns Kraft gibt, sind die Jugendlichen, die wieder auf die Beine gekommen sind«, sagt er. Bei all dieser Trauer seien sie Lichtpunkte, etwas Himmlisches.«
Das hätte auch Moses Mendelssohn gefallen.