Herr Rabbiner Radbil, glauben Sie, dass Ihre Herkunft aus der Ukraine ein Vorteil war, sich in der Gemeinde einzufinden?
Bisher ja, denn unsere Gemeinde besteht zu 95 Prozent aus russischen Muttersprachlern. Für sie ist es, wie für jeden anderen Menschen auch, einfacher, ihre Anliegen in ihrer Muttersprache zu formulieren. Seelsorge und Gespräche mit älteren Menschen werden leichter, da Russisch auch meine Muttersprache ist. Einige kommen nun zum ersten Mal in die Religionskurse, weil ich sie auch auf Russisch anbieten kann.
Wie haben Sie Ihr erstes Jahr hier erlebt?
Diese Zeit ist sicherlich der Höhepunkt meiner bisherigen Karriere – es war sehr aufregend. Jede Woche gibt es Vorträge im Rahmen des Moraschaprogrammes, zu dem rund 20 junge Erwachsene kommen, um etwas über das Judentum zu lernen. Ein großes Projekt ist der jüdische Kindergarten, welcher im März 2013 eröffnet werden soll. Mittlerweile gibt es in sechs Freiburger Bäckereien koscheres Brot, und wir bemühen uns zudem, dass in Zukunft auch koscheres Fleisch zu einem günstigen Preis erworben werden kann. Gerade wird unsere Mikwe renoviert. Wir hoffen, dass die Arbeiten bis Rosch Haschana abgeschlossen sind. Und im September bieten wir ein Seminarwochenende für Jugendliche an.
Worum geht es bei dem Seminar?
Es ist eine Vorbereitung auf die Hohen Feiertage. Wir haben Michael Blume eingeladen, Religionswissenschaftler aus Stuttgart, der über die Verknüpfung von Wissenschaft und Religion spricht. Landesrabbiner Moshe Flomenmann redet über die Hohen Feiertage, und ich referiere über die Bedeutung des Schofar.
Richtet sich das Seminar nur an orthodoxe Jugendliche?
Nein, die meisten Teilnehmenden sind liberal, obwohl sie wissen, dass unsere Gemeinde orthodox geführt wird. Ich gestalte den Gottesdienst nach diesen Richtlinien, dennoch melden sich viele Jugendliche für das Seminar an. Liberal und orthodox, das muss kein Hindernis sein.
Wird es eine Wiederholung geben?
Ich wünsche mir, dass das Seminar keine einmalige Sache bleibt, sondern regelmäßig stattfindet. Am liebsten alle drei Monate. Wenn jüdische Jugendliche an Freiburg denken, sollen sie an einen Ort denken, wo sie einen koscheren Schabbat feiern können, mit interessanten Vorträgen und einer lebhaften Gemeinde. Das ist mein Ziel.
Was hat es mit dem von Ihnen erwähnten jüdischen Kindergarten auf sich?
Es soll ein gemischter Kindergarten werden, jüdische und nichtjüdische Kinder, der schon früh zur Verständigung zwischen den Kulturen und Religionen betragen soll. Im Kindesalter ist es noch am leichtesten, gegen Vorurteile zu arbeiten. Dieses Projekt ist besonders wichtig, da wir die jüdischen Kinder schon früh an das Judentum und seine Traditionen heranführen wollen.
Sie sind in der Kinder- und Jugendarbeit sehr engagiert. Ist das Ihr Plan für die Zukunft?
Mein Wunsch für die Zukunft ist eine Verjüngung der Gemeinde – Freiburg für junge jüdische Familien attraktiv zu gestalten, damit sie sich hier niederlassen. Da wir eine Einheitsgemeinde sind, die orthodox geführt wird, können wir Anlaufstelle für alle religiösen Ausrichtungen des Judentums sein: orthodox, liberal oder säkular. Bei uns sind alle willkommen.
Mit dem Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Freiburg/Br. sprach Julia Nikschik.