Vor zwei Wochen war ich bei meinem Bruder in Berlin zu Besuch. Ich habe mich sehr gefreut, ihn zu sehen. Er ist im Februar nach Berlin gezogen. Leider! Ich hätte ihn viel lieber bei mir in der Nähe und würde ihn gerne öfter sehen. Wir waren beim Fußballspiel Herta gegen Eintracht. Das Spiel war zwar nicht ausschlaggebend für meine Berlinreise – nur ein schöner Nebeneffekt.
Fußball spiele ich seit meinem dritten Lebensjahr. Das war weit verbreitet in unserer Familie. Großes Vorbild war mein elf Jahre älterer Bruder: Er spielte, und mein Vater spielte auch – aber er ist bereits verstorben, im Februar 2009. Damals war ich zwölf Jahre alt. Das hat mein Leben geprägt, und es gibt kaum einen Tag, an dem ich nicht an meinen Vater denke. Mehr möchte ich über ihn und seinen Tod nicht sprechen.
Fussball Ich spiele von Anfang an bei Makkabi Frankfurt. Vor Kurzem war ich bei der Maccabiah in Israel, ich gehörte zur deutschen U18-Fußballmannschaft. Leider haben wir nur das erste Spiel gewonnen und es nicht in die Zwischenrunde geschafft. Die Umstände waren nicht optimal. Hohe Temperaturen, nur 13 Spieler im Kader und fünf Spiele in sechs Tagen. Uns fehlte die Kraft. Wir hatten nicht viele Lehrgänge und nicht genug Zeit, uns in der Gruppe aufeinander einzustimmen. Manche Jungs waren nicht fit genug. Ich bin zwar nicht der Fitteste, aber ich konnte in jedem Spiel gut laufen.
Zu den Spielen mussten wir von unserem Hotel in Haifa mit dem Bus fahren. Wir haben viel Zeit im Bus verbracht, auch das hat Kraft geraubt. Ich persönlich hatte mir mehr vorgenommen für unser Team bei der Maccabiah. Trotzdem: Wir haben das Beste daraus gemacht, hatten Spaß und haben viel gelacht an den Abenden im Hotel. Allerdings hatten wir gehofft, dass dort auch Teilnehmer aus anderen Ländern sind, damit wir neue Leute – auch Mädchen – hätten kennenlernen können. Das wäre schöner gewesen.
In der zweiten Ferienhälfte war ich mit meiner Familie unterwegs. Wir waren unter anderem bei der Batmizwa von einer unserer besten Freundinnen. Immer, wenn ich in Israel bin, fühle ich mich wie zu Hause. Das Leben dort ist einfacher, die Menschen sind warmherzig, nehmen einen schnell auf. Leider spreche ich kaum Hebräisch. Ich würde es gern besser können.
Nach dem Abi will ich ein Jahr lang reisen und Sprachen lernen. Ich werde für zwei bis drei Monate nach Kanada gehen, um mein Englisch zu perfektionieren. Mal schauen, ob ich auch einen Aufenthalt in Israel unterbringen kann, um Hebräisch zu lernen. Ich bin gerne in Israel – aber nur als Urlauber. Dauerhaft dort zu leben, kann ich mir nicht vorstellen.
Lehrer Seit einem Jahr bin ich auf einem Internat nicht weit entfernt von Frankfurt. Es ist ein privates Gymnasium bei Fulda. Gewechselt habe ich, weil ich auf der Schule, auf der ich vorher war, von den Lehrern nicht ausreichend Unterstützung bekommen habe. Auf dem Internat ist die Atmosphäre gut, es läuft viel besser als früher. Ich gehe jetzt in die 12. Klasse, bin also im Abschlussjahrgang.
Anfangs war es nicht einfach im Internat. Am meisten haben mir meine Freunde und der Fußball gefehlt. Aber ich komme ja an den Wochenenden nach Hause. An der Verbindung zu meinen besten Freunden hat sich nichts geändert. Wir haben uns früher unter der Woche auch nicht so oft gesehen, da war jeder sehr mit der Schule beschäftigt. Etliche von ihnen kenne ich noch aus dem Kindergarten oder aus der Zeit in der Lichtigfeld-Schule. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich viele Freunde habe. Wir gehen zusammen aus oder zu Konzerten, unterhalten uns über dies und das, was in der Woche so passiert ist, und auch über Frauen – aber nicht über Politik!
Ich habe Politik und Wirtschaft als Leistungsfächer. Um auf dem aktuellen Stand zu sein, informiere ich mich über politische Ereignisse vor allem im Internet, meist über die n-tv-App. Was mich besonders interessiert, ist die Europäische Union und die damit verbundene Politik. Nicht besonders interessieren mich Naturwissenschaften. Wofür ich mich begeistere, das ist Musik: Hip-Hop, ja, das interessiert mich. Leider kam ich nie dazu, ein Instrument zu lernen. Sicherlich hätte ich an Gitarre Spaß gehabt.
Familie Wenn ich am Freitagnachmittag gegen 15 Uhr nach Hause komme, ruhe ich mich erst einmal aus. Danach treffe ich meine Freunde und gehe zur Westend-Synagoge. In der Regel feiern wir zu Hause Kabbalat Schabbat mit Familie und Freunden. Wir sind traditionelle Juden, wie meine Mutter es formuliert. Mein Vater stammte aus einer jüdischen Familie aus Polen, als kleines Kind kam er nach Deutschland. Meine Mutter ist aus Frankfurt. Manchmal werde ich gefragt, was es mit meinem Vornamen auf sich hat. Gianni heiße ich wegen der Liebe meiner Eltern zu Italien. Manche meinen, dass ich italienisch aussehe. Das finde ich nicht.
Am Wochenende bin ich abends oft mit meinen Freunden unterwegs, meist in Frankfurter Klubs. Da kann es manchmal sehr spät werden. Aber wenn ein Spiel ansteht, mache ich nicht so lange. Am Sonntag bereite ich mich auf die Schule vor. Früher, als ich noch nicht im Internat war, habe ich am Sonntagabend zusammen mit meiner Mutter Filme geguckt, im Fernsehen oder auf DVD. Jetzt fahre ich gegen 19 Uhr zurück ins Internat.
Dort beginnt mein Tag um 7 oder um 8 Uhr, je nachdem, wann der Unterricht losgeht. Ich schlafe lieber etwas länger, als dass ich frühstücke. Deswegen esse ich erst in der ersten großen Pause etwas. Um zwölf Uhr gibt es dann Mittagessen, und von 13 bis 14.30 Uhr ist wieder Unterricht. Nachmittags haben wir Zeit zur freien Verfügung, zwischen 17.30 und 19 Uhr ist Studierzeit, Abendessen gibt es von 19 bis 20 Uhr, danach ist wieder für eine Stunde Studierzeit.
Die Abende verbringe ich mal in der Raucherecke mit den anderen – obwohl ich nicht rauche –, und manchmal bin ich in meinem Zimmer, das ich mit einem Mitbewohner teile. Wir kommen gut miteinander aus, aber wir unterhalten uns eher selten, weil er nicht besonders gesprächig ist, er legt sich früher schlafen. Ich höre dann noch Musik. Es ist okay, mit jemandem ein Zimmer zu teilen, das bin ich gewohnt von Machanot, Ferienlagern.
Restaurant Einmal in der Woche, mittwochs, dürfen wir abends raus. Ich mache an dem Abend nichts Besonderes; manchmal gehe ich mit anderen ins gegenüberliegende Restaurant. Gut am Internat ist, dass ich durch das Leben hier besser lernen kann und auch deutlich bessere Noten bekomme.
Und gut ist auch, dass ich neue Leute kennengelernt habe und dass ich im Internat Sport treiben kann. Ich gehe jeden Tag in den Kraftraum und trainiere. Manchmal treffe ich mich mit ein paar Leuten zum abendlichen Kicken. Fußball ist meine Leidenschaft! Als ich noch zu Hause in Frankfurt gewohnt habe, hatte ich dienstags, donnerstags und manchmal auch montags Training – und am Wochenende Turniere. Damals habe ich in zwei verschiedenen Jugendmannschaften gespielt.
Was ich später beruflich tun möchte, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall will ich studieren. Es gibt mehrere Optionen: vielleicht in Richtung BWL oder Sportmanagement. Mit der Berufswahl befasse ich mich aber erst ab Herbst. Jetzt geht’s erst einmal ums Abi. Ich habe mir vorgenommen, mehr für die Schule zu tun und es mit mindestens 2,2 zu bestehen.
Aufgezeichnet von Canan Topçu