Nun wächst zusammen, was eigentlich schon immer zusammengehörte – das meinen jedenfalls Ud Joffe und Michail Tkach. Die beiden sind Vorsitzende jüdischer Gemeinden und leben in Potsdam. Der 49-jährige Joffe ist der Chef der Synagogengemeinde. Der 78-jährige Tkach hat den Vorsitz der Jüdischen Gemeinde inne. So ist zumindest momentan noch der Status quo. Schon bald könnten die beiden Männer eine Art Doppelspitze einer neuen, fusionierten Großgemeinde bilden. Das ist das Ziel der zwei bedeutendsten jüdischen Gemeinden in Potsdam.
Nach Jahren des Streits und der Auseinandersetzung arbeiten die beiden Gemeinden seit einem Jahr kooperativ zusammen. Außen vor bleibt die dritte jüdische Gemeinde – die Gesetzestreuen mit ihrem Vorsitzenden Shimon Nebrat. Sie lehnen den Bau der Synagoge als »Etikettenschwindel« ab, am Planungsprozess haben sie sich gar nicht erst beteiligt. Es handele sich um ein landeseigenes Kulturzentrum, das als Synagoge präsentiert werden solle, meint Shimon Nebrat. Würde nun die Fusion der beiden anderen Gemeinden erst einmal offiziell vollzogen, entstünde in Potsdam mit etwa 700 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde Brandenburgs.
Angebot »Unsere beiden Gemeinden, die Jüdische Gemeinde Potsdam und die Synagogengemeinde, haben mittlerweile gemeinsame Gottesdienste gefeiert. Die Synagogengemeinde baut um und kann ihre sonstigen Räumlichkeiten zurzeit nur eingeschränkt nutzen. So haben wir unser Dach zur gemeinsamen Nutzung mit angeboten«, sagt Michail Tkach.
Die jetzige Zusammenarbeit stimme ihn sehr hoffnungsvoll. Ud Joffe pflichtet seinem Kollegen bei: »In der Vergangenheit hatten wir häufig Dissens und waren das eine oder andere Mal anderer Meinung. Jetzt haben wir aber ein sehr gutes Arbeitsverhältnis gefunden. Der Streit ist beendet.« Ein Satz, der viele in Potsdam aufatmen lässt. Mit der Versöhnung der jüdischen Gemeinden könnte es in absehbarer Zeit zum Baustart für den lange erwarteten Synagogenbau in der Schlossstraße gegenüber dem neuen Landtag kommen. Doch entscheidende Fragen sind weiter offen.
Der Bau der von vielen Gemeindemitgliedern so sehnsüchtig erwarteten Synagoge war es doch schließlich, der die Gemüter innerhalb der Community erhitzt und letztlich zur Spaltung der Gemeinde geführt hatte. Insbesondere die moderne Fassade hatte Kritiker auf den Plan gerufen und zum offenen Streit geführt.
Moratorium Die Brandenburgische Landesregierung als Geldgeberin des Projekts hatte im Frühjahr 2011 ein Baumoratorium verhängt. Seither liegt das mit einem Bauzaun abgesteckte Gelände in bester Innenstadtlage brach. Der Entwurf für den Synagogenbau selbst wurde in der Folge immer wieder diskutiert, boykottiert und mehrfach überarbeitet. Die mit äußerster Härte geführten Debatten kreisten immer wieder um Fragen des richtigen Raum- und Nutzungskonzepts sowie der Fassadengestaltung. Auf einen Nutzungsplan hat man sich inzwischen einigen können.
Ende März gründeten die beiden Gemeinden die gemeinsame »AG Synagoge«. Ein wichtiger Schritt, der als Resultat des Versöhnungsprozesses gesehen werden kann. Der Kompromiss: Der Gemeindesaal kommt ins Erdgeschoss. Der Gebetsraum soll ins erste Obergeschoss, und die Büros und Konferenzräume werden im gesamten Haus untergebracht.
Architekt Jost Haberland zeigt sich erleichtert. »Über die Jahre habe ich den Konflikt in der Gemeinde architektonisch moderiert. Jetzt haben wir zusammen ein konsensfähiges Konzept erarbeitet, das realistisch genehmigt werden kann. Bis zum Baubeginn ist es aber dennoch ein langer Weg«, erklärt der Berliner Architekt, der mit seinem Entwurf für die Synagoge 2009 den international ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen hatte. Die Gemeinden hätten mit ihrer Einigung den Weg frei gemacht. In der jetzigen Atmosphäre konnten auch ästhetische Fragen geklärt werden.
Die Potsdamer Gemeinden wollen zusammen die Trägerschaft für den Neubau übernehmen. Das klingt naheliegend. Schließlich werden in erster Linie die Potsdamer Gemeindemitglieder die Synagoge nutzen. »Wir haben alle Voraussetzungen, um jüdisches Gemeinschaftsleben im vollen Umfang zu organisieren. Rabbiner sind da, wir selbst haben ein Jugendzentrum, eine Sonntagsschule für die Kinder, kulturelle Angebote und vieles mehr«, erklärt Gemeindevorstand Tkach selbstbewusst.
Um den Streit innerhalb der Gemeinden zu moderieren, hatte das Kulturministerium seinerseits im Juni 2015 die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) als Vermittler ins Spiel gebracht und als möglichen Träger präsentiert. Die Perspektive mit einer Art Zentralverwaltung aus Frankfurt am Main, dem Sitz der ZWST, hat den Versöhnungsprozess in Potsdam und die Einigung mit Architekt Haberland zweifelsohne vorangebracht. Nach dem Frieden zwischen den beiden Gemeinden stellt sich aber die Frage: Welche Rolle kann und soll die Zentralwohlfahrtsstelle künftig spielen?
Mittler Ud Joffe meint: »Wir brauchen die ZWST nicht.« Das Kulturministerium hält dagegen. »Wir wollen, dass die Zentralwohlfahrtsstelle mit im Boot bleibt«, betont Ministeriumssprecher Stephan Breiding. Die ZWST sei ein unverzichtbarer Mittler und ein verlässlicher Partner. Die grundlegende Ablehnung durch die Gesetztestreuen sieht Breiding hingegen gelassen. Wenn sie sich nicht an einer Einigung beteiligen wollen, werde auch ohne sie gebaut.
»Acht Jahre haben es die Gemeinden nicht geschafft, sich auf den Synagogenbau zu einigen. Wir wollen das Endlosprojekt jetzt endlich zum Laufen bringen. Wir nehmen den Gemeinden nichts weg«, erklärt der ZWST-Präsident Abraham Lehrer. Wenn der Betrieb eine Zeitlang gut laufe und die Gemeinden dazu bereit seien, wolle man die Trägerschaft den lokalen Akteuren übertragen. »Ich bin mir sicher, dass die Gemeindemitglieder die Angebote der Synagoge auch dann wahrnehmen, wenn sie von uns als ZWST betrieben wird«, sagt Lehrer. Am Ende gehe es schließlich um ein gutes Ergebnis vor allem für die Gemeindemitglieder.
Das wünschen sich die Gemeindevorsitzenden Joffe und Tkach ebenso wie die Gemeindemitglieder. Das wünschen sich Architekt Haberland und die Brandenburger Regierung. Das wünschen sich die Potsdamer, die wollen, dass ihre Stadt nicht länger die einzige Landeshauptstadt in Deutschland ohne Synagoge ist. »Ich bin verhalten optimistisch«, beschreibt Architekt Jost Haberland seinen Gemütszustand. Ein Optimismus, der Belohnung verdient hätte.