Das Haus, in dem wir eigentlich eher zufällig untergekommen sind, atmet deutsche Geschichte. In München kennt es jeder Taxifahrer. Wenn man sagt, »bringen Sie mich zum Savoy-Haus«, sagt er »in Ordnung« und fährt los Richtung West-Schwabing. Gebaut wurde es 1911, und es haben dort oft Leute gelebt, die irgendwie stadtbekannt waren.
In den 20ern sind unter den Bewohnern auffallend viele Juden gewesen, nach dem Krieg bevölkerten das Haus dann eher schillernde Persönlichkeiten. Leni Riefenstahl hatte da zum Beispiel ein Zimmer. Man hatte das »Haus Savoy« zu einem Langzeitmiethotel umfunktioniert. Das war was Neues in Deutschland. Beim italienischen Wirt unten verkehrten später Franz Josef Strauß oder Arnold Schwarzenegger, in den Büroräumen im Rückgebäude arbeitete Bernd Eichinger. Da war also richtig etwas los. Viel Unruhe für alle, die eigentlich nichts als wohnen wollten.
Das wird wahrscheinlich auch der Grund gewesen sein, warum ich vor Kurzem Besuch bekommen habe. Ich saß in meinem Büro, es klopft an und draußen stehen ein paar ältere Herrschaften. Einer von ihnen ergreift das Wort: »Sie sind doch hier der Chef«, sagt er, »dann können Sie uns doch sicher erklären, was hier überhaupt passiert.« Sie waren ein bisschen in Sorge. Ich glaube, sie dachten, dass wir hier eine Spielhölle führen oder so etwas. Ich habe sie in unseren Souterrainräumen herumgeführt, habe ihnen das Atelier des bestohlenen Künstlers, das Geisterhaus und die Kammern des Tutanchamuns gezeigt. Das hat ihnen gefallen, und sie waren beruhigt, auch weil sie jetzt nicht mehr diesen Lärm, den ein Gastronomiebetrieb mit sich bringt, erwarten mussten.
Ein Herr aus dem Haus ist dann noch einmal zu mir herunter gekommen, hat sich unser Konzept genauer erklären lassen und dann fast aus heiterem Himmel gesagt: »Sagen Sie mal, Sie haben doch sicher einen jüdischen Hintergrund, oder?« Ich habe bejaht und er hat gesagt: »Ist das nicht seltsam, ich habe mir das gleich irgendwie gedacht, so etwas spüre ich einfach ...« Und dann wollte er wissen, woher ich stamme, seit wann ich da bin, und heute reden wir uns mit unseren Vornamen an.
studium Gekommen bin ich Ende April 1999 und zwar aus Moskau, wo ich 1980 geboren wurde. Wir haben die üblichen Stationen durchgemacht, Nürnberg, Landshut. Ich war damals 19 und ziemlich gespannt, welchen Verlauf mein Leben nehmen würde. Ich hatte wirklich keine Ahnung. Wir haben in einem vierstöckigen Wohnheim für jüdische Kontingentflüchtlinge gewohnt. Viele Kinder rannten herum, und viele Damen hielten sich in der Küche auf, kochten die ganze Zeit und quatschten. Ich fand das irgendwie lustig und hatte noch kein Gespür dafür, dass das hier einmal mein Land werden sollte. Eher fühlte ich mich, als ob ich mit meinen Eltern auf Reisen wäre.
In Moskau hatte ich die Städtische Bauakademie beendet, eine Ausbildung, von der die deutschen Behörden nicht sonderlich beeindruckt waren. Ich habe also erst einmal in Landshut einen Sprachkurs besucht, dann – für ein halbes Jahr – noch einen in Nürnberg. Das ist vielleicht die beste Zeit meines Lebens gewesen: ständig unter jungen Leuten und nicht übermäßig belastet mit Arbeit. In Augsburg habe ich mein deutsches Abi gemacht, habe angefangen, Wirtschaftsinformatik zu studieren, habe es abgebrochen, dann BWL studiert. Ich war schon 27 Jahre alt, und es hat mir nicht sonderlich Spaß gemacht, wobei ich im Nachhinein sagen muss, dass ich bei allem, was ich danach ausprobiert habe, von diesen paar Semestern profitiert habe.
Jedenfalls habe ich dann irgendwann zusammen mit meinem Freund Sergej ein perfektes Konzept für unser »EscapeGame« entworfen. Das muss ich überhaupt einmal sagen über uns jüdische Kontingentflüchtlinge oder über die Leute aus der jüdischen Community: Von uns sitzt doch kaum einer herum und tut nichts. Alle machen etwas, sind fleißig wie Ameisen, bauen irgendetwas Superinteressantes auf. So fängt es doch an, und dann steht einem irgendwann die Welt offen. Ich denke da oft an meinen Großvater, der nicht einmal studieren durfte. Er hatte halt den ganz normalen Antisemitismus abbekommen. Das ist für mich heute unvorstellbar.
religion Vom Judentum in meiner Familie hatte ich als Junge in Moskau nicht so viel mitgekriegt. Natürlich: Die Großeltern haben Jiddisch gesprochen, mein Vater hat oft mit seinen Freunden die Synagoge besucht. Von den jüdischen Feiertagen habe ich vor allem erfahren, weil regelmäßig von der jüdischen Verwandtschaft aus Israel Festtagsgrüße ankamen. Dass ich einen Fuß in eine Synagoge gesetzt habe, das ist zum ersten Mal in Augsburg passiert. Entsprechend beeindruckt war ich und habe gleich alles, was ich finden konnte, darüber nachgelesen. Meine Frau hat in der Sonntagsschule der Augsburger Gemeinde die Kids in Deutsch unterrichtet. Und natürlich kennen wir heute die russisch-jüdische Szene in Augsburg. Augsburg ist ja keine allzu große Stadt, da läuft man sich über den Weg und spürt etwas Verbindendes.
Als ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal nach Israel gereist bin, habe ich das sehr genossen. Ich hatte das Gefühl, nicht als Tourist dort zu sein, sondern als Freund von Freunden, die dort wohnten. Auch habe ich mir immer vorgestellt, wie es gewesen wäre, wenn wir dorthin ausgewandert wären. Meine Eltern hatten das ja wirklich anfänglich vorgehabt. Die Reise war sehr intensiv, und danach wollte ich dann unbedingt meine Eltern dazu bewegen, ebenfalls einmal in dieses Land zu reisen. Erst waren die zwei ängstlich, wegen all dem, was man so aus den Nachrichten erfährt, aber dann sind sie doch gereist, und es hat ihnen wirklich gut getan.
Heute ist die Auswanderung nach Israel kein Thema mehr für mich. Ich habe hier in Augsburg, wo ich wohne, und in München, wo ich arbeite, Fuß gefasst, und außerdem gehört zu unserer kleinen Familie mittlerweile auch ein kleiner Junge von zweieinhalb Jahren, der voller Begeisterung dabei ist, wenn er zuschauen darf, wie in unseren geheimnisvollen Räumen gearbeitet und gebastelt wird.
schlüssel Leute, die zu »EscapeGame« kommen, lassen sich zuerst einmal einsperren. Damit beginnt das Spiel. Entstanden ist die Idee für solche Fluchtspiele, glaube ich, in Asien. In Russland sind sie schon länger sehr verbreitet, und weil ich so etwas immer gerne gespielt habe, habe ich mich natürlich riesig gefreut, als dann endlich die ersten dieser Art nach Deutschland, nach München, gekommen sind. Meinem Freund und mir kam die Idee, mitzumischen. Bei uns ist das Interessante – und damit unterscheiden wir uns von den anderen Anbietern – , dass es nicht darum geht, irgendwelche Schlüssel zu suchen oder Rechenaufgaben zu lösen und solche Dinge. Bei uns ist das meiste digital, und wir bieten einige Überraschungseffekte. Besonders schön finde ich es immer, wenn sich beim Spielen die Generationen gegenseitig helfen.
Es gibt Aufgaben, die haben die Kinder im Nullkommanix gelöst, während die Älteren noch mit Denken beschäftigt sind, manchmal ist es genau umgekehrt. Im Geisterhaus spukt es jedenfalls, beim Künstler wurde geklaut, und in den Kammern des Tutanchamuns ist man als Abenteurer auf der Suche nach Schätzen.
Das Geschäft läuft im Moment wirklich top. Es ist ein richtiger Hype. Manche Besucher wollen gar nicht mehr damit aufhören. Während die Leute versuchen, irgendwie aus den Räumen herauszukommen, beobachten wir sie über unsere Kameras. Wir schauen, wie es läuft und wie sie sich fühlen, wobei ein bisschen Angst zu haben, fast dazu gehört. Ein Spiel dauert etwa eine Stunde. Wenn wir an guten Tagen komplett ausgebucht sind, bedeutet das, dass im Stundentakt bis zu 30 Gruppen kommen. Da geht es wirklich rund.
Da bin ich dann natürlich entsprechend geschafft, wenn ich zu später Stunde mit dem Auto zurück nach Augsburg fahre. Zuhause ist es dann gar nicht so einfach, abzuschalten. Ich komme ins Grübeln und denke zum Beispiel über unseren Plan nach, in München einen zweiten Standort aufzubauen. Und dann vielleicht noch einen dritten in Augsburg?
Aufgezeichnet von Katrin Diehl