Der Gynäkologe zieht das Ultraschallgerät überrascht zurück. »Wollen Sie keinen Jungen?« Die junge Mutter stammelt rasch: »Doch, doch, natürlich!«, verlässt die Praxis aber dennoch mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ein Junge – das bedeutet für die säkulare Jüdin, sich Gedanken über eine Beschneidung machen zu müssen. Oder aber, ein jüdisches Kind ohne Brit Mila aufwachsen zu lassen. Das kommt für sie aber eigentlich nicht infrage.
Die nächsten Tage verbringt die Frau vor dem Computer und surft im Internet. Abgesehen vom religiösen Aspekt – was bedeutet eine Brit für das Kind? Welche Schmerzen muss es erdulden?
undramatisch Sie lässt ihren Sohn beschneiden, denn das Pro überwiegt das Contra. »Und ich habe es auch nicht bereut«, sagt die Mittdreißigerin heute. »Die Heilung verlief so schnell und undramatisch – und wenn er sich später entscheidet, sein Judentum religiös leben zu wollen, steht dem zumindest nicht der Gang zum Urologen im Wege.« Doch nach dem Kölner Urteil ist das jetzt nicht mehr so einfach möglich.
Die Offenbacherin Judith hatte bei ihrem dritten Sohn – dessen Vater kein Jude ist – auf eine Brit verzichtet. »Beim Duschen und Waschen hat der Kleine immer geweint«, erinnert sie sich. »Ich habe mir so oft gewünscht, ich hätte ihn auch beschneiden lassen.« Sie würde jeder Mutter dazu raten.
»Ich habe nicht das Gefühl, dass ich meinem Sohn mit der Brit Mila etwas angetan habe«, sagt auch Polina Lissermann, Präsidentin von »Jewish Experience«. Beim Schnitt habe der Kleine einen Tropfen Wein bekommen, danach »habe ich ihn gestillt, das ist sowieso die beste Beruhigung«, sagt die junge Juristin. Sorgen wegen des Weins habe sie sich nicht gemacht. »Unter Juden ist Alkoholismus ja nicht gerade weit verbreitet, da wird offensichtlich nichts geprägt«, sagt Lissermann lachend.
Die Hebamme, die in den ersten zehn Tagen nach der Geburt kommt, habe auch die Nachsorge durchgeführt. »Das war für den Kleinen offensichtlich alles schmerz- und problemlos, wir haben ihm nicht einmal ein Paracetamol-Zäpfchen oder sowas geben müssen«, sagt Lissermann. Nach drei Tagen sei alles verheilt gewesen – bei Säuglingen gehe das ja zum Glück sehr schnell.
Heilungsprozess Ganz im Gegensatz zu älteren Kindern – oder, wie von den Gesetzeshütern neuerdings vorgeschlagen, bei Erwachsenen. »Ich kenne Männer, die sich im Erwachsenenalter haben beschneiden lassen«, sagt Sarah Neumann, jüngste Tochter des Darmstädter Gemeindevorsitzenden. »Das war ein sehr schmerzhafter Heilungsprozess.«
Bei den Brit ihrer Neffen habe sie hingegen »weder den Moment des Beschneidens noch die Heilung als belastend für das Kind« erlebt. Für die Schwangere, die im August ihr erstes Kind erwartet, steht deshalb auch fest, dass es bei einem Sohn eine Brit geben wird. »Dies stand für mich nie zur Diskussion! Das gehört einfach zur Tradition, und das lasse ich mir von keinem Gericht verbieten«, sagt Neumann mit Vehemenz.
So sieht es auch die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland: »Die Beschneidung ist für das Judentum seit jeher ein unverzichtbarer Bestandteil. Schätzungsweise fast eine Milliarde Männer weltweit sind beschnitten, meist aus religiösen, kulturellen oder präventiv gesundheitlichen Gründen, aber wohlgemerkt in der Regel ohne medizinische Indikation – handelt es sich hier um millionenfache Körperverletzung?«, fragen die Rabbiner.
Laut Studien, für die afrikanische Länder wie Kenia oder Ruanda herangezogen wurden, haben beschnittene Männer ein deutlich vermindertes Risiko, an Aids zu erkranken. So hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur »Verhütung von Aids und zu anderem gesundheitlichem Nutzen« ein Handbuch zur frühkindlichen männlichen Beschneidung unter lokaler Betäubung herausgegeben.
Dennoch: »Mit dem vom Kölner Landgericht gefällten Urteil macht sich eventuell jeder an einer Beschneidung direkt Mitwirkende strafbar«, moniert die Rabbinerkonferenz. Quittieren die Mohalim nun ihren Dienst? »Mitnichten«, weiß Polina Lissermann. Das Thema sei auch beim »Drei-Rabbiner-Wochenende« von Jewish Experience in Frankfurt ein großes Thema gewesen. Die Mohalim würden schon allein deshalb weiter ihren Dienst tun, damit niemand mit seinem Neugeborenen ins Ausland reisen müsse. Und weil ein unbeschnittener Jude beispielsweise nicht zur Tora aufgerufen werden oder bei einem Seder mitmachen darf.
Mizwa So gestaltet sich auch für Neumann die Suche nach einem Mohel relativ einfach. »Man darf sich erst nach der Entbindung festlegen«, weiß Neumann. Zwei oder drei Mohalim seien aber schon in der engeren Auswahl – deren Pläne müssten ja schließlich auch mit dem Geburtstermin vereinbar sein.
Und wie wird der Mohel für seine Tätigkeit entlohnt? »Eigentlich nicht, denn das ist eine Mizwa«, sagt Lissermann. Es sei aber üblich, dem Mohel »etwas« zu geben und auch dessen Reisekosten zu übernehmen. Wenn die Familie kein Geld hat, sammelt die Gemeinschaft.
Schließlich sei es allen wichtig, dass »das Kind gleich von Anfang an seine Identität bekommt«, meint Lissermann. Bleibe dies verboten, schränke es das Erziehungsrecht der Eltern ein. Sie könne zwar nachvollziehen, argumentiert die Juristin, dass die Beschneidung als Körperverletzung gewertet werde, die Frage laute aber, ob es dafür eine Rechtfertigung gibt, sodass die Gesellschaft es dulden muss.