ZWST

»Es ist auch eine große Chance«

Aron Schuster über die Überalterung der Gemeinden, deren Rolle als moderner Dienstleister und die Bedeutung der Religion

von Hans-Ulrich Dillmann  14.08.2019 17:28 Uhr

Aron Schuster, Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) Foto: Uwe Steinert

Aron Schuster über die Überalterung der Gemeinden, deren Rolle als moderner Dienstleister und die Bedeutung der Religion

von Hans-Ulrich Dillmann  14.08.2019 17:28 Uhr

Herr Schuster, in den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder jährlich um durchschnittlich rund 1000 Personen gesunken. Was sind die Gründe?
Die Zuwanderer, die in den vergangenen drei Jahrzehnten gekommen sind, waren überwiegend älter. Heute spüren wir die demografischen und sozialen Auswirkungen. Bundesweit verzeichnen wir in jedem Jahr mehr Sterbefälle als Geburten. Die Mitgliederzahlen gehen leicht zurück, gleichzeitig steigen die Sozialausgaben in den Gemeinden.

Evangelische und katholische Kirchen machen für starke Mitgliederverluste auch Säkularisierungstendenzen in der Gesellschaft verantwortlich. Gilt Ähnliches auch für jüdische Gemeinden?
Diese Entwicklung spiegelt sich in der Mitgliederstatistik der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) nicht wider. Dennoch müssen wir uns natürlich die Frage stellen: Was können wir tun, um die Gemeinden so attraktiv zu gestalten, dass es nicht zu Austritten kommt? Die demografischen Auswirkungen sind für uns signifikanter. Viele Gemeinden sind überaltert.

Wo setzt die ZWST an?
Wir sind seit Jahren dabei und intensivieren den Austausch mit den Gemeinden, um gemeinsam zu analysieren, wo und wie es Unterstützungsbedarf gibt, damit Gemeinden ihr Angebot vor Ort aufrechterhalten, ausweiten und ihre Strukturen zielgerichtet verstärken können. Mit Bundesprogrammen wie zum Beispiel dem Bundesfreiwilligendienst, der Migrationsberatung und dem Digitalisierungsprojekt Mabat bieten wir strukturelle Unterstützung. Durch zahlreiche Seminarangebote bilden wir haupt- und ehrenamtliches Personal fort.

Woran mangelt es in den Gemeindestrukturen?
Die Nachfrage in den Gemeinden vonseiten der Seniorinnen und Senioren steigt. Die Sozialabteilungen mittlerer und kleiner Gemeinden stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen, weil eine umfassende Versorgung älterer Menschen personell und finanziell nur schwer zu stemmen ist.

Und im Jugendbereich?
Die ZWST ist der treibende Motor der Nachwuchsförderung für die Gemeinden. Jahr für Jahr bilden wir zahlreiche Jugendleiter aus, die dann Verantwortung in den Gemeinden übernehmen sollen. Wir beobachten derzeit in der Generation der jungen Erwachsenen im Alter von bis zu 30 Jahren zahlreiche Eigeninitiativen und viel Dynamik. Die Gemeinden müssen die Türen für diese Gruppe weit öffnen. Diese Generation hat den Anspruch, mitzureden. Sie will nicht nur Angebote wahrnehmen, sondern sie will auch mitgestalten. Diesem Wandel müssen wir Rechnung tragen und gemeinsam mit der Zielgruppe Angebote entwickeln.

Kann der Spagat gelingen?
Ja. Das ist die große Herausforderung. Daher benötigen wir sehr diversifizierte Antworten. So wird beispielsweise in unserem Kinder-, Jugend- und Familienreferat der Instagram-Channel mit Inhalten gefüllt, um junge Leute zu erreichen, während das Sozialreferat in erster Linie zum Telefonhörer greift. Aber es ist auch eine große Chance, dass alle Aktivitäten unter einem Dach stattfinden können.

Sind die jüdischen Gemeinden fit für die Zukunft?
Die Synagoge bildet den Kern des Gemeindezentrums, aber alles andere hat den Charakter eines sozialen Dienstleisters. Wir werden zukünftig mehr Synergien finden und Parallelstrukturen vermeiden müssen. Gemeinden werden wir neue Wege der Zusammenarbeit gehen und stärker im Verbund agieren.

Mit dem Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) sprach Hans-Ulrich Dillmann.

Gemeinden

Blick auf ein besonderes Jahr

Die Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagte in München. Für große Begeisterung im Saal sorgte die Rede des Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder

von Katrin Richter  24.11.2024

Gastro

Wie bei Muttern

Das Flair der 1920er-Jahre trifft auf die Moderne. In Clärchens Ballhaus hat das Restaurant Luna DʼOro eröffnet. Es gibt Tatar-Igel, Spreewald-Gurken und Broiler

von Alicia Rust  24.11.2024

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in München

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt traditionell einmal im Jahr zusammen – am letzten Sonntag im November

 24.11.2024 Aktualisiert

Porträt der Woche

Familie als Sujet

Elinor Sahm ist Israelin, Künstlerin, Mutter und lebt jetzt in Berlin

von Alicia Rust  23.11.2024

Berlin

Hommage an jiddische Broadway-Komponisten

Michael Alexander Willens lässt die Musik seiner Großväter während der »Internationalen Tage Jüdischer Musik und Kultur« erklingen

von Christine Schmitt  21.11.2024

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024