Das Düsseldorfer Rathaus ist vollkommen dunkel, das Riesenrad ebenfalls, mit ihm beinahe das komplette Rheinufer. Und auch am 240 Meter hohen Fernsehturm ist das Licht am Montagabend ausgeschaltet. Etwa 200 Teilnehmer des lokalen Ablegers der Gruppierung »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«, Pegida (in Düsseldorf: Dügida), stehen im Dunkeln.
Dafür strahlen die Organisatoren der Gegenveranstaltung, zu der neben Parteien, Gewerkschaften, Verbänden und Kirchen auch die Jüdische Gemeinde der Landeshauptstadt aufgerufen hatte. Rund 5500 Menschen sind zusammengekommen, um sich gegen Rassismus, Islamfeindlichkeit und Ausgrenzung zu positionieren. Auch die Terroranschläge von Paris sind Thema.
»Es ist erstaunlich, dass bei diesem nicht gerade einladenden Wetter so viele Menschen gekommen sind«, sagt Herbert Rubinstein, Vertreter des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein, nach der Gegenveranstaltung zur Dügida-Demonstration. Angemeldet hatte den islamfeindlichen Umzug Melanie Dittmer, die lange in der rechtsextremen Szene aktiv war.
Lob an Muslime Dass sie und ihre Mitstreiter keine Möglichkeit hätten, ihre Meinung in Düsseldorf zu äußern, sei ein großer Erfolg, freut sich Rubinstein. Doch er übt auch etwas Kritik an der großen Gegenveranstaltung. Denn während über die Gefahr, die der gesamten westlichen Welt durch Anschläge wie in Paris drohe, viel gesprochen werde, habe man den Antisemitismus der islamistischen Terroristen und die Morde in dem jüdischen Supermarkt etwas aus den Augen verloren. »Das Judentum ist für die meisten Leute eine Nebensächlichkeit.« Rubinstein lobt allerdings, dass sich der Kreis der Düsseldorfer Muslime deutlich gegen Antisemitismus geäußert habe. »Das ist eine Aussage, die man bisher selten gehört hat.«
Beeindruckt von der »entschiedenen und gleichzeitig friedlichen Stimmung« während der Gegenveranstaltung ist Bastian Fleermann, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf. »Die Teilnehmer sind enorm bunt zusammengewürfelt, das habe ich nicht oft erlebt. Damit wurde gezeigt, dass Düsseldorf eine Tradition als Stadt mit einer starken Zivilgesellschaft hat. Wir haben nach innen und außen eine gute Visitenkarte abgegeben.«
Was der Erfolg der Gegendemonstration für die Zukunft der Dügida-Bewegung bedeutet, muss sich noch beweisen. Nach einem Fernsehbericht, in dem Initiatorin Melanie Dittmer sagte, es sei für sie »unerheblich, ob es den Holocaust gegeben hat«, distanzierten sich lokale Mitstreiter von ihr.
Weltoffenheit Auch in Dresden bekommen die »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) immer mehr Gegenwind. So demonstrierten dort am vergangenen Samstag 35.000 Menschen für Weltoffenheit und Toleranz. Zu der Aktion hatten Oberbürgermeisterin Helma Orosz und der Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich (beide CDU), aufgerufen. Auch die Jüdische Gemeinde zu Dresden hatte schon Tage zuvor an ihre Mitglieder und Freunde appelliert, die Kundgebung unter dem Motto »Für Dresden, für Sachsen – für Weltoffenheit, Mitmenschlichkeit und Dialog im Miteinander« zu unterstützen.
Von der Bühne vor der Frauenkirche aus wandten sich neben der Oberbürgermeisterin und dem Ministerpräsidenten auch Vertreter der Wirtschaft und der Gewerkschaften sowie der Kirchen an die Zuhörer. Für das Islamische Zentrum Dresden sprach Khaldun Al Saadi, für die jüdische Gemeinde trat Nora Goldenbogen ans Mikrofon. Auch der Schlagersänger Roland Kaiser hielt eine kurze Rede. Der Entertainer warf seine Popularität in Dresden in die Waagschale und warb für Toleranz. Den Soundtrack zur Veranstaltung lieferte jedoch die Reggae-Band »Yellow Umbrella«. 35.000 Menschen auf dem Neumarkt sangen mit beim Song »No Pegida«.
Gedenken Nicht Worte bildeten jedoch den Auftakt zu der Großaktion, sondern eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer der Terroranschläge in Paris. »Je suis Charlie, aber nicht Pegida« stand auf Plakaten zu lesen. Oberbürgermeisterin Orosz sprach die Attentate auf das französische Satiremagazin »Charlie Hebdo« und den jüdischen Supermarkt »Hyper Cacher« direkt an und erklärte unter dem Beifall der Zuhörer: »Wir lassen uns durch keinen Hass spalten.«
Auch Nora Goldenbogen, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Dresden, warnte davor, sich in einen Kampf der Kulturen verwickeln zu lassen: »Krieg und Terror sind die Gefahren, nicht Muslime und Flüchtlinge.« Goldenbogen lobte die »gute Nachbarschaft«, die die Jüdische Gemeinde mit der muslimischen Gemeinschaft in Dresden pflege.
Der Sprecher des Islamischen Zentrums verurteilte die Terrorattacken von Paris auf das Schärfste, warnte aber zugleich vor Vorurteilen und davor, Flüchtlinge pauschal zu kriminalisieren. Menschen muslimischen Glaubens müssten in Dresden einen »demütigenden Kampf um Vertrauen« führen, so Al Saadi.
Auch Ministerpräsident Tillich fand deutliche Worte. Es gebe Grenzen des politischen Anstandes: »Wer gegen alles Fremde polemisiert und Ängste gegen Ausländer, Flüchtlinge und Asylsuchende schürt, mit dem lässt sich nicht sachlich reden«, sagte Tillich, indirekt an Pegida gewandt. Gleichwohl kündigte er für die nächsten Tage »viele Gesprächsangebote« auf kommunaler und Landesebene an.
Das Gespräch mit Pegida zu suchen, hält auch Heinz-Joachim Aris, Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden, für den einzigen gangbaren Weg. »Die 18.000 Pegida-Anhänger, die am vergangenen Montag aufliefen, sind ja nicht alles Rechte. Da vermischen sich berechtigte Sorgen mit idiotischen Losungen.«
Beunruhigung Die Jüdische Gemeinde Dresden nimmt Pegida dennoch nicht auf die leichte Schulter. Es herrsche »große Beunruhigung«, so Aris, auch wenn es bisher keine Pegida-Slogans gegen Juden gab. Allein die Massenauftritte der antiislamischen Organisation seien beängstigend. »Fehlen nur noch die Fackeln«, kommentiert Aris, selbst Überlebender der NS-Zeit, in Anspielung auf Nazi-Aufmärsche.
Die Politik hätte schneller auf das Phänomen Pegida reagieren müssen, meint der Landesvorsitzende. Dass Dresdens Anspruch auf Weltoffenheit und die Wirklichkeit nicht immer im Einklang sind, kritisieren auch die demonstrierenden Mitglieder der Jüdischen Gemeinde. Auf Schildern forderten sie, diese Weltoffenheit endlich auch zu leben.
Aris wünscht sich allerdings auch mehr Teilnahme der Gemeindemitglieder an politischen Ereignissen. Gerade die Zuwanderer könnten Erfahrungen in die Diskussionen einbringen, ist er überzeugt.
Intoleranz Schon jetzt steht fest, dass Intoleranz und rechtes Gedankengut die Juden in Dresden und Sachsen auch in den kommenden Wochen weiter beschäftigen werden. Der Landesverband wird Anfang Februar eine Erklärung zu Pegida abgeben.
Die Pegida-Demonstrationen sind nicht das einzige Problem. In einem Monat gedenkt Dresden wieder der Zerstörung der Stadt in Zweiten Weltkrieg. Aus diesem Anlass werden regelmäßig sogenannte Gedenkmärsche von Neonazis angemeldet. Auch in diesem Jahr werden Dresdner Bürger dagegen eine Menschenkette bilden. Die Jüdische Gemeinde ist dabei und lädt im Anschluss zu einem offenen Gottesdienst in die Synagoge ein.
Wie wichtig die Demonstration am Samstag war, zeigte sich am Montag. Mit mehr als 25.000 Teilnehmern laut Angaben der Polizei gingen sogar mehr Anhänger der Pegida als je zuvor in den vergangenen Wochen auf die Straße. Gleichzeitig protestierten in der sächsischen Landeshauptstadt abermals etwa 9000 Menschen gegen die Islamfeinde.
Gegendemonstranten In Leipzig versammelten sich etwa 30.000 Gegendemonstranten. Ihnen standen rund 4800 sogenannte Legida-Anhänger gegenüber. In München gingen etwa 20.000 Gegendemonstranten auf die Straße, in Hannover 19.000, und in Berlin beteiligen sich etwa 4000 Menschen an dem Protest.
Zur Kundgebung des Münchner Pegida-Ablegers kamen laut Polizei rund 800 Menschen, in Hannover waren es rund 150 bis 200 Anhänger, und dem Marsch in der Bundeshauptstadt hatten sich zum Auftakt am Brandenburger Tor 400 Menschen angeschlossen. Nach 500 Metern mussten die Bärgida-Anhänger jedoch umkehren, weil der Weitermarsch zum Roten Rathaus durch Gegner blockiert wurde.
Die Polizei in Saarbrücken schätzte am Montagabend die Zahl der Pegida-Gegendemonstranten in der saarländischen Landeshauptstadt auf 9000, im Vergleich zu etwa 300 Pegida-Anhängern. Mehr als 3500 Menschen demonstrierten am Montagabend in Hamburg für Freiheit und Demokratie. (mit epd)