Stuttgart

Ernste Worte

Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg Foto: picture alliance/dpa

An eine solche »Zeitenwende« hatte niemand gedacht. Mit diesem Motto für die 20. Jüdischen Kulturwochen in Stuttgart wollte die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) die großartige Entwicklung der Gemeinden in Deutschland feiern. Nun hat der grauenvolle Terroranschlag der Hamas auf Israel dem Wort Zeitenwende eine neue Bedeutung gegeben. Bei der Eröffnung der Kulturwochen im Stuttgarter Rathaus verharrten die zahlreichen Gäste stehend im Gedenken an die Opfer und beim Gebet von Rabbiner Yehuda Pushkin sowie dem Gesang von Kantor Nathan Goldman.

»Die Welt hat sich verändert und verdüstert«, so Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, er erkenne Deutschland nicht wieder. Denn auch in Stuttgart zeigen seither nicht nur überwältigend viele Menschen ihre Solidarität mit Israel, die Stadt sei auch Schauplatz von pro-palästinensischen Demonstrationen mit Hass-Parolen. Eine »Täter-Opfer-Umkehr«, die IRGW-Vorstandssprecherin Barbara Traub »nach der größten Vernichtung der Juden seit der Schoa unerträglich« nannte. Aber die Angst vor eventuellen Anschlägen sollte nicht siegen: »Wir wollten uns nicht zurückdrängen lassen«, erklärte Traub das Festhalten an den Kulturwochen, die bis zum 19. November mit 37 Veranstaltungen zu Musik, Literatur, Theater, Film und Kabarett die ganze Fülle jüdischen Kulturschaffens bieten und mit einem historischen Symposium die vielen Zeitenwenden in der Geschichte des europäischen Judentums sichtbar machen. Denn immer wieder hatten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert gesellschaftliche Umbrüche den Juden Verfolgung und Diskriminierung gebracht.

»Der Antisemitismus war nie weg«, stellte Aron Schuster, Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle (ZWST) der Juden in Deutschland, in der Podiumsdiskussion, ebenfalls zum Thema Zeitenwende, fest. Denn es ist vor allem der Antisemitismus von links, der nicht nur Josef Schuster erschüttert. Isabell Fezer, Bürgermeisterin und christliche Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ), prangerte »das gefestigte antisemitische Ressentiment im deutschen Kulturbetrieb« an: »Es ist nicht hinnehmbar und für mich völlig unverständlich. Warum stehen Künstler nicht gegen Antisemitismus auf, nachdem das Kulturleben in Deutschland und weltweit von so vielen jüdischen Künstlern bereichert worden ist?« »Offenbar«, so Schuster, »wird akzeptiert, dass Israel vernichtet werden soll.« Die Antwort von Generalkonsulin Talya Lador-Fresher war eindeutig: »Die Hamas muss vernichtet werden.«

Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragter, sieht angesichts des Rechtsrucks noch größeres Unheil heraufziehen und forderte Wachsamkeit: »Nehmt die Gefahr ernst, wir müssen wehrhaft sein.«

Es bleibt bei der Zeitenwende: »Auch nach diesem Krieg wird nichts mehr sein wie zuvor«, prophezeite Aron Schuster. So düster wollte Barbara Traub niemanden auf die Kulturwochen einstimmen: »Die Hoffnung ist Kernstück unserer Religion.«

Berlin

Hommage an Broadway-Komponisten

Michael Alexander Willens lässt die Musik seiner Großväter während der »Internationalen Tage Jüdischer Musik und Kultur« erklingen

von Christine Schmitt  21.11.2024

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024

Volkstrauertag

Verantwortung für die Menschlichkeit

Die Gemeinde gedachte in München der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs

von Vivian Rosen  20.11.2024

München

»Lebt euer Leben. Feiert es!«

Michel Friedman sprach in der IKG über sein neues Buch – und den unbeugsamen Willen, den Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023 zu trotzen

von Luis Gruhler  20.11.2024

Aus einem Dutzend Ländern kamen über 100 Teilnehmer zum Shabbaton nach Frankfurt.

Frankfurt

Ein Jahr wie kein anderes

Was beschäftigt junge Jüdinnen und Juden in Europa 13 Monate nach dem 7. Oktober? Beim internationalen Schabbaton sprachen sie darüber. Wir waren mit dabei

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Porträt

»Da gibt es kein ›Ja, aber‹«

Der Urgroßvater von Clara von Nathusius wurde hingerichtet, weil er am Attentat gegen Hitler beteiligt war. 80 Jahre später hat nun seine Urenkelin einen Preis für Zivilcourage und gegen Judenhass erhalten. Eine Begegnung

von Nina Schmedding  19.11.2024