DIETER GRAUMANN:
Ich habe hier vor genau zehn Jahren schon einmal eine Rede zum damaligen runden Geburtstag von Salomon Korn gehalten. Und ich muss gestehen: Ich habe mir wirklich ernsthaft überlegt, ob ich diese Rede von damals heute nicht einfach noch einmal ganz genau so halten soll. (...) Dass ich aber überhaupt auf diese Idee kommen konnte – das alleine sagt aber auch schon etwas aus. Dass es nämlich Ansichten und Einsichten über Salomon Korn gibt, die sich nicht verändern und die man auch nicht modischen Zeitläuften anpassen muss: Stabil herausragend, konstante Brillanz, solide Exzellenz – das kann man gewiss auch nicht über jeden sagen.
Salomon Korn hat viele, viele Ehrenämter – aber vor allem hat er doch Persönlichkeit. Und ich will erst gar nicht beginnen, nun aufzuzählen, was er schon alles getan und geleistet hat. Halten wir uns daher doch besser an das Handfeste, das Konkrete, das immobil Beständige: Hat er doch dieses wunderschöne Gemeindezentrum, das Ignatz Bubis-Gemeindezentrum, als Architekt gebaut – sein Opus Magnum.
Als es 1986 bezugsfertig war, dachte der Architekt wohl, man dürfe dieses großartige Werk nicht einfach nur anderen, den Baudilettanten, zur alleinigen Nutzung überlassen. Wohl auch deshalb kandidierte er damals erstmals für den Gemeinderat der Jüdischen Gemeinde, wurde auch prompt in den Vorstand gewählt, dem er nunmehr schon seit 27 Jahren ununterbrochen angehört. Und seit 1999, nach dem Tod unseres unvergessenen Ignatz Bubis, ist er auch noch Vorstandsvorsitzender unserer Gemeinde. Auch das eine Rekordmarke.
Ohne Zweifel ist er einer der »Köpfe der Republik«. Ein tiefgründiger Denker, ein kreativer Nachdenker, ein kühner Vordenker. Kein Nachteil dabei ist sicher: Salomon Korn verfügt über ein außergewöhnlich umfassendes Wissen, wie es heutzutage wirklich nur ganz wenige Menschen aufweisen können. Die wahrlich mehr als eindrucksvolle Reihe deutsch-jüdischer Intellektueller führt er mit seiner Persönlichkeit so auf imponierende Weise fort.
Denn: Salomon Korn ist zweifellos ein Intellektueller – freilich im besseren Sinn des Worts. Salomon Korn ist eben gerade nicht der Typ des blassen Intellektuellen, der deprimiert und isoliert in seiner Studierstube hockt, um unablässig über die Tragik der menschlichen Existenz zu grübeln. (...) Dazu ist er doch viel zu sehr den Menschen und dem Leben zugewandt. Denn sein Wissen verbindet er immer mit dem Tun. Ihm gelingt die so selten geglückte Kombination aus Reflexion und Aktion, aus Intellektualität und Praktikabilität, aus Kontemplation und Realisation.
Gesegnet mit diesen Fähigkeiten, ist es kein Wunder: Salomon Korn hatte in der Vergangenheit schon mehrere Gelegenheiten, Präsident des Zentralrats der Juden zu werden. Er hat sie allesamt mit einer resoluten Konsequenz ausgeschlagen, die mich manchmal schon verwundert hat – (...), die ich aber immer sehr bewundert habe. (...)
Ich weiß, Salomon Korn wird gewiss nicht böse sein, wenn ich sage: Seine allerbeste Seite – ist auch jetzt an seiner Seite, nämlich seine Frau Maruscha. Wir alle wissen, wie viel Salomon Korn seine Familie bedeutet: seine Frau, Kinder, Schwiegerkinder, seine Enkelkinder. Wie gerne kokettiert er damit, man müsse Rücksicht auf ihn nehmen, da er schließlich doch schon neunfacher Großvater sei. Tatsächlich ist er gerade darauf ganz besonders stolz. Das hier ist, damit wir uns alle auch recht verstehen, eine große runde Geburtstagsfeier – aber ganz gewiss keine Pensionierungsfeier. Lieber Sallek, von ganzem Herzen: Masal Tov – und alles Glück der ganzen Welt!
SALOMON KORN:
Der bekannte deutsche Historiker Theodor Mommsen bemerkte nach einer Laudatio auf ihn: »Es wird mich Wochen kosten, all das Gesagte zu widerlegen.«
Rückblickend waren die mein Leben betreffenden Prophezeiungen nur zu Beginn vielversprechend – als meine Mutter unmittelbar nach meiner Geburt voraussagte, ich würde eines Tages ein Doktor sein, eine Freundin ihr dagegen in der festen Überzeugung widersprach: nicht Doktor, sondern Professor – alle weiteren Einschätzungen meines zukünftigen Werdegangs fielen dagegen eher pessimistisch aus.
Mit vier Jahren schlupfte ich fast wöchentlich unter der Kasse des einzigen Kinos im DP-Lager Zeilsheim hindurch, vornehmlich, um im »Dritten Reich« gedrehte opulente Revue- und Tanzfilme, meist in Schwarz-Weiß, staunend zu verfolgen, ohne jemals eine Kinokarte gelöst zu haben.
Eine Voraussetzung für das Architekturstudium an der von mir bevorzugten TH Darmstadt war die bestandene Aufnahmeprüfung. Bei meinem damaligen Größenwahn bezüglich meiner beruflichen Begabung hatte ich nicht die geringsten Zweifel daran, diese Aufnahmeprüfung zu bestehen. Nachdem alle Namen derjenigen, die die Prüfung bestanden hatten, verlesen waren und ich meinen nicht darunter fand, ging ich zum Prüfungsleiter und bat ihn allen Ernstes nachzuschauen, ob er meinen Namen nicht übersehen hatte. Er sah nach und bemerkte dann bedeutungsvoll: »An Ihrer Stelle würde ich mir überlegen, einen anderen Beruf zu ergreifen.« (...)
Nach meiner Promotion trat ich als freier Mitarbeiter in das Büro der Architektengemeinschaft Gerhard Balser ein, wo ich mich 1979 am Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen für ein jüdisches Gemeindezentrum in Frankfurt am Main beteiligte. Die Bearbeitungszeit betrug zehn Wochen, Abgabetermin war Mitte Januar 1980. In den ersten Wochen brachte ich nichts Brauchbares zu Papier. (...)
In meiner Verzweiflung fing ich an, als eine Art Beschäftigungstherapie ein Umgebungsmodell des Wettbewerbsgeländes zu basteln. Was ich auf dem zweidimensionalen Plan nicht erkannt hatte, trat umso deutlicher im dreidimensionalen Modell zutage: (...) Um das Gemeindezentrum harmonisch der Nachbarbebauung anzupassen, musste der Baukörper geknickt werden – ganz unvorhergesehen war damit zugleich die alles bestimmende Entwurfsidee geboren: der Knick, der Riss, die optische Störung als Symbol eines jüdischen Gemeindezentrums in Deutschland nach 1945.
Im Frühjahr 1980, nach der Wettbewerbsentscheidung, begann meine 19 Jahre währende Zusammenarbeit mit Ignatz Bubis. Sie war zunächst alles andere als harmonisch, und es dauerte geraume Zeit, bis wir uns zusammengerauft hatten und schließlich Freunde wurden. (...)
Mit den Gedichten von Andreas Gryphius, Conrad Ferdinand Meyer und Hugo von Hofmannsthal verbinde ich am heutigen Tag tiefe Dankbarkeit für meine Familie – meine Frau, unsere Kinder, unsere Schwiegertöchter und Enkel –, die mich mit Liebe und Verständnis stützt und stets wohlwollend begleitet, Dankbarkeit für die Freunde und langjährigen Weggefährten, die mir im Laufe der Jahrzehnte zugewachsen sind, darunter auch meine rotarischen Freunde, Dankbarkeit für all jene Menschen, mit denen ich vertrauensvoll zusammenarbeiten durfte und darf, Dankbarkeit für meine Kollegen und Freunde im Gemeinderat und Vorstand der Jüdischen Gemeinde, insbesondere Beni Bloch, Dieter Graumann, Leo Latasch, Harry Schnabel und André Mares sowie meine Kollegen und Freunde im Präsidium und Direktorium des Zentralrats der Juden.
Und schließlich Dankbarkeit, zu den glücklichen und privilegierten Menschen zu zählen, die auf dem besten aller Kontinente, in der vitalsten, zentral gelegenen kleinsten Großstadt der Welt leben dürfen.