Herbert Rubinstein hatte die Premiere des Theaterstücks Blindekuh mit dem Tod von der ersten Reihe aus verfolgt. Der 89-Jährige ist eng verbunden mit dem besonderen Projekt, fließen doch seine Lebenserinnerungen maßgeblich mit ein. »Bei der Premiere musste ich mich enorm zusammenreißen auf der Zeitreise zurück in meine Geburtsstadt, um nicht durch die Emotionen dieser sehr in die Tiefe gehenden Inszenierung den Halt zu verlieren«, so das langjährige Mitglied der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.
Das Stück Blindekuh mit dem Tod basiert auf wahren Lebensgeschichten von vier jüdischen Kindern, die während des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat Czernowitz fliehen mussten und den Genozid an den Juden der Bukowina überlebten. »Ich wurde von sehr vielen Zuschauerinnen und Zuschauern im Anschluss angesprochen, und die einhellige Meinung war, dass Blindekuh mit dem Tod als Theaterstück etwas Herausragendes sei und in die derzeitige Zeit gehört«, so Herbert Rubinstein nach der gut besuchten Premiere im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses.
Grundlage des Theaterstücks ist die gleichnamige Graphic Novel, die in der Ukraine als Schulbuch erschienen ist. Im Rahmen des Projekts »Erinnerung lernen/Tracks of Memory« der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf entwickelte ein Team des Jüdischen Museum Czernowitz einen Comic, um authentische Erlebnisse von überlebenden Kindern der Schoa in der Bukowina aufzuzeigen.
Zwei der überlebenden Kinder treffen sich im Alter und blicken zurück.
»Wenn es am Tag der geschilderten Geschichte 1941/42 geregnet hat, dann regnet es auch im Buch«, unterstreicht Mitautorin Anna Yamchuk die authentische Herangehensweise. Die Zielgruppe waren zunächst ukrainische Kinder und Jugendliche, später weitete sich das Projekt aus.
Die Bühne schlicht, die verschiedenen Figuren verkörpert durch nur zwei Darstellende. Leon Wieferich und Natalie Hanslik schlüpften in die verschiedenen Rollen und gaben durch ihr eindringliches Schauspiel dem Stück eine Tiefe. Das Theaterstück über gestohlene Kindheiten, zerbrochene Träume und das Überleben in der Hölle des Zweiten Weltkriegs richtet sich an ein Publikum ab 14 Jahren. Die Theaterfassung wurde von Stefan Fischer-Fels (Dramaturgie) und dem Regisseur Robert Gerloff bearbeitet.
Zwei der überlebenden Kinder – neben Herbert Rubinstein seine gute Kindheitsfreundin Miriam Taylor – treffen sich im Alter bei einem Besuch ihres Geburtsortes und blicken gemeinsam zurück. Sie zeichnen Lebenswege nach, geben Einblick in die Schrecken der Schoa. Stets mit dem Fokus, wie Kinder die Zeit damals erlebt haben. Aber auch, was sich nach dem Krieg entwickeln konnte, wie das Leben der Überlebenden sich entfaltet hat.
Dokumentarische Elemente spielen ebenso hinein wie Erklärungen zu historischen und religiösen Begrifflichkeiten, dabei bleibt die Inszenierung getragen von einer sensiblen Darstellung der persönlichen Erinnerungen.
Und irgendwann spielen die Darstellenden »Blindekuh« – während des Krieges, im Schatten des Genozids. Man kann darin ein Symbol für den Verlust von Unschuld und Sicherheit sehen. Ergänzt wurden die Lebensgeschichten der vier in Czernowitz geborenen Kinder um gesungene Gedichte von Selma Meerbaum. Sie kam im Alter von 18 Jahren in einem rumänischen Zwangsarbeitslager ums Leben. Ihre Werke zählen zum literarischen Erbe der von den Nazis ausgelöschten jüdisch-deutschen Kultur der Bukowina. »Die Texte über Leben, Liebe, Freiheit gingen unter die Haut«, kommentierte Herbert Rubinstein.
Wenige Tage nach der Aufführung in Düsseldorf wurde das Stück in Czernowitz gezeigt
Zunächst ein Comic, sind nun sogar zwei Theaterinszenierungen entstanden. Denn auch in Czernowitz wurde eine Inszenierung entwickelt, die wenige Tage nach der Düsseldorfer Premiere aufgeführt wurde.
»Dass unser Zeitzeugenprojekt über die Holocaust-Erinnerung von vier Kindern aus Czernowitz nun in Form von zwei Theaterstücken in Czernowitz und Düsseldorf inszeniert wurde und Tausende Jugendliche erreichen wird, berührt uns natürlich alle sehr«, betont Museumsdirektor Mykola Kuschnir.
»Es lebe das Leben, es lebe die Freiheit, es lebe die Menschlichkeit. Das Gute wird gewinnen, wir arbeiten gemeinsam daran.« Diese Grußworte sandte Herbert Rubinstein in einer berührenden Pessach-Botschaft an das Projekt »Tracks of Memory« und die Stadtgesellschaft von Czernowitz anlässlich der dortigen Premiere wenige Tage nach der in Düsseldorf. Dramaturg Fischer-Fels und Matthias Richter, Projektkoordinator von »Tracks of Memory«, konnten vor Ort in der Ukraine sein.
Die beiden Düsseldorfer erlebten eine weitere und ganz andere kreative Umsetzung der Geschichten. Die Pläne gehen weiter. Im Januar nächsten Jahres sollen beide Stücke in Czernowitz aufgeführt werden. »Darin stecken viele Jahre Arbeit, aber das merkt man der Sache auch an«, hebt Matthias Richter hervor. In Düsseldorf sind weitere Aufführungen geplant, am 30. Mai auch eine mit englischen Übertiteln. Einige sind bereits ausverkauft. Am 7. Mai wird zudem ein Publikumsgespräch mit dem Zeitzeugen Herbert Rubinstein sowie Matthias Richter vom Verein Städtepartnerschaft Düsseldorf-Czernowitz stattfinden.