Berlin

Erinnerung und Zukunft

Die Schirme sind tief vors Gesicht gezogen, schwer prasselt darauf der Regen. Nur die Lichter der vielen kleinen Gedenkkerzen flackern unaufhörlich. Der kalte Wind, der am Freitagmorgen über den S-Bahnhof Grunewald fegt, ist beinahe das einzige Geräusch, das die Stille durchdringt. Rund 100 Teilnehmer des Gemeindetags sind hierhergekommen, um am »Gleis 17« gemeinsam zu gedenken.

Das Münchner Ehepaar Rosendahl geht langsam die kleine Anhöhe zum Gedenkort hinauf. »Wir haben schon viel hierüber gehört und wissen, dass an dieser Stelle die Züge abgefahren sind. Nun wollten wir es uns selbst ansehen.« Vom Bahnhof Grunewald fuhren ab 1941 die Deportationszüge Richtung Theresienstadt, Riga, Lodz und später direkt nach Auschwitz. »Es ist nicht leicht, hierherzukommen«, bemerken die Rosendahls.

Erinnerung Leicht war es auch nicht für Dieter Graumann: »Ich bin selbst Sohn von Schoa-Überlebenden, und ich trage dieses Gefühl in mir«, sagt der Präsident des Zentralrats und betont: »Bei uns Juden gibt es keine Zukunft ohne die Kraft der Erinnerung an die Vergangenheit. Wir Juden sind Meister im Erinnern. Wie könnten wir vergessen, was damals in Deutschland von Deutschen uns Juden angetan wurde? Und einen Schlussstrich kann es deshalb mit uns niemals geben.«

Ganz bewusst sei dieses gemeinsame Gedenken Bestandteil des Gemeindetags, der für »Kraft, Courage, Zuversicht und Zukunft« stehe. »Aber wir Juden gründen unsere Zukunft immer auf unsere kollektive jüdische Erinnerung, auf unsere gemeinsame jüdische Kontinuität. Genau deswegen stehen wir hier, denken und gedenken.«

Und es sei eine ungeheure emotionale Kraft, die dieser Besuch hier allen abverlange, sagte Graumann. Und diese Kraft wurde beim Kaddisch, das der Berliner Gemeinderabbiner Yehuda Teichtal sagte, und beim El Male Rachamin von Kantor Isaac Sheffer deutlich.

Licht In solchen Momenten spüre man noch mehr als sonst, wie sehr man zusammengehöre. »An diesem mit Trauer und Tränen getränkten Ort setzen wir das laute Zeichen: Wir sind da!« Und nein, es sei nicht gelungen, Deutschland für alle Zeit »judenrein« zu machen.

Für Graumann ganz persönlich bedeute es ein starkes Gefühl, gemeinsam mit »euch hier zu stehen.« Das symbolisiere für ihn ein »lautes, unbeugsames, starkes jüdisches Dennoch und jüdisches Trotzdem«. »Das Leid unserer Menschen tragen wir alle immer in unseren Herzen. Nichts wird sich jemals daran ändern. Umso entschlossener sind wir, unsere neue jüdische Gemeinschaft aufzubauen.«

Auch Eva Piatyszek ist zum Gedenken am Gleis 17 gekommen. Sie hat sich ganz bewusst dafür entschieden, den Freitag damit zu beginnen. »Meine Geschwister waren auf einem der Kindertransporte. Für mich ist das Erinnern wichtig«, sagt die Braunschweigerin nach der Zeremonie. Sie hat eine Kerze angezündet und steht unweit des Ortes, von dem mehr als 50.000 Juden deportiert wurden.

Gemeinden

Blick auf ein besonderes Jahr

Die Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagte in München. Für große Begeisterung im Saal sorgte die Rede des Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder

von Katrin Richter  24.11.2024

Gastro

Wie bei Muttern

Das Flair der 1920er-Jahre trifft auf die Moderne. In Clärchens Ballhaus hat das Restaurant Luna DʼOro eröffnet. Es gibt Tatar-Igel, Spreewald-Gurken und Broiler

von Alicia Rust  24.11.2024

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in München

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt traditionell einmal im Jahr zusammen – am letzten Sonntag im November

 24.11.2024 Aktualisiert

Porträt der Woche

Familie als Sujet

Elinor Sahm ist Israelin, Künstlerin, Mutter und lebt jetzt in Berlin

von Alicia Rust  23.11.2024

Berlin

Hommage an jiddische Broadway-Komponisten

Michael Alexander Willens lässt die Musik seiner Großväter während der »Internationalen Tage Jüdischer Musik und Kultur« erklingen

von Christine Schmitt  21.11.2024

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024