Wie herrlich ist es, dass niemand eine Minute warten braucht, um damit zu beginnen, die Welt langsam zu ändern!» Das Zitat aus einer Kurzgeschichte von Anne Frank aus dem Jahr 1944 diente als Motto für den «Anne-Frank-Tag», der rund um ihren 88. Geburtstag am 11. und 12. Juni erstmals in Frankfurt begangen wurde. Den Impuls dafür hatte Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, ein Jahr zuvor gegeben.
Mit der Monooper Das Tagebuch der Anne Frank des sowjetischen Komponisten Grigori Frid aus dem Jahr 1966 begann der Anne-Frank-Tag am Vorabend. Die ungewöhnliche Operninszenierung wurde in katakombenartigen Kellerräumen des «Atelierfrankfurt» im Stadtteil Ostend gezeigt. Von Studenten der Frankfurter Musikhochschule musikalisch begleitet, sang die in Israel geborene Sopranistin Shira Bitan 19 Auszüge aus Anne Franks Tagebuch.
Miterleben Ohne feste Bühne und Zuschauerraum folgte das Publikum der Sängerin durch die verwinkelten Räume. Shira Bitans Gesang, die eindringliche Musik und die beklemmenden Räumlichkeiten ließen Hoffnungen, Ängste und die zunehmende Bedrängnis von Anne Frank spürbar werden. Die Inszenierung demonstrierte aber auch Franks Lebensmut: «Und nun weiß ich, dass Tapferkeit und Lebensfreude das Allerwichtigste bedeuten!»
Am eigentlichen Geburtstag von Anne Frank folgte ein bunter Reigen von Veranstaltungen in der Stadt. Die Westend-Synagoge öffnete sich für angemeldete Besucher, eine Stadtführung folgte Anne Franks Spuren. Die Preisverleihung des bundesweiten Comicwettbewerbs «Welt retten» und diverse Kunstaktionen im öffentlichen Raum wandten sich vor allem an jugendliche Besucher.
Im Museum Judengasse fand ein Seminar zum Thema «Biografien im Holocaust ermordeter Frankfurter Jüdinnen und Juden und die Gedenkstätte am Neuen Börneplatz» statt. Fünf Lehrerinnen nahmen an der von Sophie Schmidt und Gottfried Kößler geleiteten Fortbildung teil. Ihre Beweggründe reichten von der Erforschung der NS-Geschichte der eigenen Schule bis zur Recherche einer Pädagogin aus Boston für einen geplanten Klassenausflug nach Frankfurt.
Börneplatz Die Teilnehmerinnen besichtigten die Gedenkstätte am Neuen Börneplatz mit ihren 12.000 in die Friedhofsmauer eingelassenen Gedenksteinen für die ermordeten Frankfurter Juden und erhielten Einblicke in die Datenbank der Gedenkstätte, die biografische Angaben zu etwa 12.700 ermordeten Frankfurter Juden enthält. Sie habe «viele Anregungen für ihren Unterricht» erhalten, sagte eine Teilnehmerin.
Der erste Frankfurter Anne-Frank-Tag klang mit einer abendlichen Podiumsdiskussion im Stadthaus aus. Die Schriftstellerin Lena Gorelik, die Journalistin Melissa Müller und der Schauspieler Lion Wasczyk diskutierten mit der Moderatorin Bärbel Schäfer über Anne Franks Aktualität in der Gegenwart. «Ich glaube, dass Anne Frank ein Riesenvorbild ist, wie sie sich in einer eingeengten Situation immer wieder aufrafft, Hoffnung zu haben, und immer weitermacht», sagte Melissa Müller, die eine Anne-Frank-Biografie verfasst hat.
Lena Gorelik würdigte das Humorvolle an Franks Tagebuch. Sie bekannte: «Für mich ist Anne Frank eher eine Inspiration als eine Ikone.» Lion Wasczyk, der in dem Fernsehfilm Meine Tochter Anne Frank von 2014 mitspielt, warb für das Medium Film, das Jugendlichen helfen könne, in die Thematik einzusteigen. Melissa Müller beklagte, wie sehr in der Arbeit mit Jugendlichen die Zeitzeugen fehlten. Anne Frank habe indes auch heute noch etwas zu sagen, betonte Müller: «Es ist eine Stimme, die man hören sollte.»