Üblicherweise werden Menschen, die über eine bestimmte Zeitperiode aus eigenem Erleben zu berichten wissen, Zeitzeugen genannt. Die Ausstellungsmacher, die im Januar im Brandenburger Landtag eine biografische Porträtschau mit sieben »Überlebensgeschichten der Schoa« – so der Untertitel – vorstellten, nannten die Porträtierten keineswegs weniger zutreffend »Augenzeugen«.
Eigentlich sollte die so titulierte Ausstellung anschließend im Berliner Gemeindehaus in der Fasanenstraße gezeigt werden, musste aber coronabedingt verschoben werden. Seit Donnerstag ist sie dort nun für die Öffentlichkeit zugänglich.
SCHULEN Seit Jahren schon reisen sieben Schoa-Überlebende regelmäßig aus ihrer Wahlheimat Israel auf Einladung nach Brandenburg, um Schülern zu erzählen, was sie im Machtbereich des NS-Staates einst erleiden mussten, als sie im Alter ihrer Zuhörer waren. Dabei bringen sie den nachgeborenen Kindern und Jugendlichen Leitsätze mit, die nun neben ihren Bildporträts auf den Ausstellungstafeln stehen.
»Ihr seid nicht schuld, was eure Großeltern vor 75 Jahren getan haben«, steht auf seiner Tafel.
Der heute 89-jährige George Shefi etwa hatte als Kind die Pogromnacht erlebt, ehe er mit einem der Kindertransporte in Richtung England geschickt wurde. Auf einem Berliner Bahnhof hat er sich von seinen Eltern verabschiedet, die er nie wiedersehen durfte. »Ihr seid nicht schuld, was eure Großeltern vor 75 Jahren getan haben«, steht auf seiner Tafel. Aber auch die Verpflichtung, »zu lernen und daran zu erinnern, was damals geschah«.
Halina Birnbaum, die als Einzige in ihrer Familie das Warschauer Ghetto und verschiedene KZs überlebte, ist heute eine bekannte israelische Schriftstellerin. Die Schoa ist ein wesentliches Thema ihrer Literatur. Sie hinterließ ihren jugendlichen Zuhörern zum Nachdenken einige Zeilen metaphorischer Poesie.
INITIATIVE Michael Gilead-Goldmann, Shoshana Direnfeld, Tamar Landau, Zipora Feiblowizsch – hinter jedem dieser Namen steht jeweils ein ganz individuelles Schicksal. Was sicher auf alle gleichermaßen zutrifft, ist jener Satz, der auf der Tafel neben dem Porträt von Michael Maor steht. Er, dem im Januar 1945 die Flucht von einem Todesmarsch gelang, ehe er sich bis nach Palästina durchschlug, sagt: »Es ist nicht leicht, sich zu erinnern – und schwer, zu vergessen!«
Es ist der Initiative von Susanne Krause-Hinrichs von der F.C. Flick Stiftung und der Kuratorin Elke-Vera Kotowski vom Moses Mendelssohn Zentrum zu verdanken, dass jenen diese Ausstellung gewidmet wurde, die regelmäßig den Weg von Israel nach Brandenburg auf sich nehmen, um als Augenzeugen zu Schülern zu sprechen.
Die Porträtierten sind Zeitzeugen, die regelmäßig nach Brandenburg reisen, um mit Schülern zu sprechen.
Und Kai Abresch, der eigentlich Architektur- und Medizinfotograf ist, dass er jedem und jeder von ihnen auf beeindruckende Weise ein Gesicht gab. Hierfür hat er private Reisen nach Israel genutzt, um die Porträts in vertrauter Umgebung zu machen.
STIFTUNG Im Katalog steht, dass der Stifter Friedrich Christian Flick im »Gedenken an die Opfer und Überlebenden des nationalsozialistischen Terrorregimes« sich »der daraus erwachsenden historischen und gesellschaftspolitischen Verantwortung« bewusst sei. Das war er allerdings im April 2005 erst nach massiver öffentlicher Kritik.
Nach langer Weigerung überwies er schließlich fünf Millionen Euro, etwa ein Prozent seines geschätzten Privatvermögens, an den Zwangsarbeiterfonds »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«. Dabei hatten in den Kriegsjahren bis zu 60.000 Zwangsarbeiter das Familienvermögen der Flicks kräftig vermehrt.
Susanne Krause-Hinrichs und ihrem Team kommen mit zahlreichen Projekten jener historischen und gesellschaftspolitischen Verantwortung nach. Davon zeugt auch die Ausstellung »Augenzeugen«.
Der Umstand, dass die Besucher auf dem Weg zur Ausstellung im Gemeindehaus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin eine Sicherheitsschleuse durchqueren müssen, ist ein Beweis dafür, dass das Thema Judenhass an Aktualität nichts eingebüßt hat.