Nachruf

»Er wird uns jeden Tag fehlen«

Harry Schnabel sel. A. (1956–2023) Foto: Marco Limberg

Nachruf

»Er wird uns jeden Tag fehlen«

Trauer um Harry Schnabel, Präsidiumsmitglied des Zentralrats und Vorstand der Frankfurter Gemeinde

von Josef Schuster  14.09.2023 11:20 Uhr

Harry Schnabel ist tot. Diese Nachricht hat nicht nur mich, sondern auch viele andere Menschen, die ihn kannten, in große Bestürzung und Trauer versetzt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Jüdische Gemeinde Frankfurt haben mit ihm einen großen und verdienstvollen Mann und einen guten Freund verloren.

Die tiefe Trauer, die seine Witwe, seine Kinder, sein Bruder und seine ganze Familie über seinen so plötzlichen Tod empfinden müssen, kann ich nur erahnen. Meine Gedanken sind dieser Tage bei ihnen.

grosszügigkeit Alle, die Harry Schnabel kannten, wissen, dass er ein neugieriger, emphatischer und humorvoller Mensch war. Die Großzügigkeit, die ihn auszeichnete, floss aus einem empfindsamen Herzen. Er gab und half nicht, weil er konnte, sondern weil er wollte. Die Überzeugung, etwas zu verändern, zu bewegen und wirklich zu helfen, prägte sein Handeln. Das Große klein erscheinen zu lassen, ist dabei das Merkmal wirklicher Größe.

Alle, die Harry Schnabel kannten, wissen, dass er ein neugieriger, emphatischer und humorvoller Mensch war.

In diesem Sinne ist uns das Wirken von Harry Schnabel vielleicht manchmal zu selbstverständlich gewesen, denn jetzt, wo er uns entrissen wurde, sehen wir die riesige Lücke, die er hinterlassen hat. Er war ein Mann mit Herz und Verstand, ein großer Mensch und Bürger. Dieser Sohn der stolzen Bürgerstadt Frankfurt hatte wirklich begriffen, was es heißt, Bürger zu sein.

Der Dünkel eines Spießbürgertums war ihm zuwider, er begriff sich als einen gesellschaftlich engagierten Bürger, als ein Mitglied der Frankfurter Stadtgesellschaft, dem bewusst war, dass die Werte unserer freiheitlichen Demokratie von ihren Bürgerinnen und Bürgern täglich errungen und verteidigt werden müssen.

WERTE Als Jude wusste er dabei aus der historischen Erfahrung der Schoa und seiner eigenen Familiengeschichte, dass die Werte einer freiheitlichen Gesellschaft eben nicht selbstverständlich sind. In einer viel beachteten Rede zum Gedenken am 9. November sagte er 2018: »Jude zu sein, ist immer auch die Erinnerung an Jahrhunderte der Unterdrückung, Verfolgung und Ausgrenzung.«

Seine Eltern, Sara und Leon Schnabel aus der polnischen Kleinstadt Rejowiec, die, wie so viele dieser Städte, von den grausamen und unmenschlichen Taten der Nationalsozialisten heimgesucht wurde, überlebten Majdanek und Auschwitz und bauten sich nach dem Krieg eine neue Existenz in Frankfurt auf. Mit unablässigem Willen und bewundernswerter Tatkraft arbeiteten sich Leon und Sara Schnabel von einem Imbissstand bis zu einem eigenen Hotel hoch. Harry folgte dem kaufmännischen Vorbild seines Vaters und fand seinen beruflichen Erfolg als Diplom-Kaufmann im Immobiliengeschäft.

Unermüdlich setzte er sich für das jüdische Leben in Frankfurt und in Deutschland ein.

Unermüdlich setzte er sich für das jüdische Leben in Frankfurt und in Deutschland ein. Als begeisterter Fußballer spielte er für Makkabi Frankfurt und war von 1976 bis 2002 in dessen Vorstand tätig. In der Frankfurter Gemeinde war er viele Jahre lang als Dezernent für Finanzen und Schulen engagiert.

engagement Es wäre vermessen und schlicht unmöglich, seinem vielfältigen Wirken für das jüdische Leben in Deutschland – erwähnt sei nur sein Engagement für das Jüdische Museum oder seine Arbeit als Vorstand in der Georg und Franziska Speyer’schen Hochschulstiftung – in ein paar Sätzen gerecht zu werden.

Zweifellos hatte Harry Schnabel wesentlichen Anteil daran, dass Frankfurt heute wieder eine bedeutende und große jüdische Gemeinde hat, die fest in der Stadtgesellschaft verwurzelt ist. Für ihn verband sich das immer mit der Einsicht, dass dem ein unwiederbringlicher Verlust vorausging – die Vernichtung des jüdischen Lebens in Frankfurt durch die Nationalsozialisten unter aktiver Mitwirkung oder zumindest Duldung der Bürger der Stadt. Vor diesem abgründigen Hintergrund hat er das jüdische Leben in Frankfurt nie als eine Selbstverständlichkeit empfunden.

Persönlich habe ich es als ein großes Glück und eine Bereicherung empfunden, mit Harry Schnabel auch im Zentralrat, zunächst ab 2015 in seiner Funktion als Mitglied des Direktoriums und dann ab 2017 im Präsidium, zusammenarbeiten zu dürfen.

Unvergessen bleibt sein unermüdlicher Einsatz für die Jüdische Akademie des Zentralrats in Frankfurt.

Unvergessen bleibt sein unermüdlicher Einsatz für die Jüdische Akademie des Zentralrats in Frankfurt, bei deren lang erwarteter Eröffnung er uns schmerzlich fehlen wird. Nicht zuletzt geht das Memorandum of Understanding zwischen der Goethe-Universität Frankfurt und der Jüdischen Akademie, das ich im vergangenen Jahr unterschreiben durfte, auf Harry Schnabels Initiative und Wunsch zurück, die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen in die Arbeit der Akademie einfließen zu lassen.

ZIVILCOURAGE Bildung war für Harry Schnabel sicherlich ein zentrales Lebensthema. Die Entwicklung, die die I. E. Lichtigfeld-Schule in Frankfurt genommen hat, hat ihn mit Glück erfüllt. In der Bildung sah er eine Grundvoraussetzung für unser Zusammenleben und eben keinen Selbstzweck: »Erziehung und Bildung entfalten sich erst, wenn sie mit Zivilcourage und Herzensbildung angereichert werden.«

Genau das war Harry Schnabels Verständnis von bürgerschaftlichem Engagement: Das Wissen und der Mut, mit Herz für unsere Überzeugungen gesellschaftlich einzutreten, gehören zusammen. Bildung ist nicht die Anhäufung von Wissen, sondern sie soll uns auch zu eigenständig denkenden und urteilenden Persönlichkeiten ausbilden. Das kann natürlich nicht eine rein jüdische Aufgabe sein. Nein, es ist eine Aufgabe für die jüdische Gemeinschaft, wie auch für die deutsche Mehrheitsgesellschaft.

Dieses stetige Zusammendenken und Zusammenwirken von jüdischer Gemeinschaft und Gesellschaft ist eine große Lebensleistung von Harry Schnabel. Seine Tatkraft, seine Neugierde, seine Menschlichkeit werden uns jeden Tag fehlen – aber dieser wundervolle Mensch wird in unseren Herzen bleiben. Sicherlich wäre es ihm, dem großen Bescheidenen, am liebsten, wenn wir uns an ihn erinnern, indem wir uns sein Wirken zum Vorbild nehmen. Das sollte für uns alle ein Auftrag sein.

Porträt der Woche

Austausch mit Gleichen

Maria Schubert ist Gemeindesekretärin in Magdeburg und tanzt gern

von Alicia Rust  18.04.2025

Feiertage

Hymne auf die Freiheit

Der Alexander-Moksel-Kindergarten führte im Gemeindezentrum ein Pessach-Musical auf

von Vivian Rosen  17.04.2025

Berlin

Mazze als Mizwa

Das Projekt »Mitzvah Day« unterstützt die Berliner Tafel mit einer Lebensmittel-Spende

von Katrin Richter  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Jewrovision

»Schmetterlinge im Bauch«

Nur stilles Wasser trinken, noch einmal gut essen, dann geht es auf die Bühne. Die Moderatoren Masha und Gregor verraten, wie sie sich vorbereiten und mit dem Lampenfieber umgehen

von Christine Schmitt  16.04.2025

München

Hand in Hand

Ein generationsübergreifendes Social-Media-Projekt erinnert an das Schicksal von Schoa-Überlebenden – Bayern-Torwart Daniel Peretz und Charlotte Knobloch beteiligen sich

von Luis Gruhler  15.04.2025

Literatur

Die Zukunft Israels hat längst begonnen

Der Schriftsteller Assaf Gavron stellte im Jüdischen Gemeindezentrum seinen aktuellen Erzählband vor

von Nora Niemann  14.04.2025

Porträt der Woche

Eigene Choreografie

Galyna Kapitanova ist IT-Expertin, Madricha und leitet eine Tanzgruppe

von Alicia Rust  14.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025