Dresden

»Er war ein großer Kämpfer«

Dresden hat Abschied genommen von Heinz-Joachim Aris. Familie, Freunde, Wegbegleiter, Vertreter der Stadt und des Landes, der Verbände und Kirchen begleiteten den ehemaligen Geschäftsführer von Gemeinde und Landesverband sowie Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland auf seinem letzten Weg. Die Trauerhalle, die vor dem Bau des neuen Gemeindezentrums mehr als 50 Jahre der Gemeinde zu Dresden als Synagoge gedient hatte, konnte die vielen Trauernden nicht fassen. Am 24. März war Aris nach schwerer Krankheit im Alter von 82 Jahren verstorben.

Aris war beliebt, angesehen, respektiert. Das sprach aus den Reden von Rabbiner Alexander Nachama, der Gemeindevorsitzenden Nora Goldenbogen und ganz besonders aus den Worten von Zentralratsvizepräsident Mark Dainow. So bat dieser auch sogleich um Verzeihung, dass er nicht nur die Grüße des Zentralrats, allen voran seines Präsidenten Josef Schuster, der aufgrund eines Trauerfalles in der eigenen Familie nicht kommen konnte, übermittele. Er spreche hier vor allem als Freund, sagte Dainow.

Offenheit Seine Stimme brach immer wieder ab, als er über seinen Weggefährten beim Zentralrat sprach. In Aris habe man einen klugen, weisen, besonnenen Mann verloren, zu dem jeder mit seinen Sorgen kommen konnte, »immer hatte er ein offenes Ohr und wollte helfen«, sagte der Vizepräsident, der von seinem Kollegen Abraham Lehrer begleitet wurde. »Vielen war er damit eine große Stütze, die jetzt schmerzlich fehlt«.

Der Vizepräsident meinte damit nicht nur die Gemeindemitglieder, Vertreter von Vereinen wie etwa den Vorsitzenden der Sächsischen Israelfreunde, Lothar Klein, den Ansprechpartner in Sicherheitsfragen, den ersten Kriminalhauptkommissar Michael Rommel, oder Sachsens Staatsministerin für Kultus, Brunhild Kurth, sowie ihren Vorgänger Roland Wöller, die Mitarbeiter der Staatskanzlei, mit denen Aris gemeinsam den Staatsvertrag zwischen Land und Landesverband aushandelte. Gemeint waren auch die Mitarbeiter des Zentralrats selbst, für die Aris unter anderem als Personalreferent zuständig war.

»Achim war durch und durch Kämpfer für die jüdische Gemeinschaft. Mit großer Leidenschaft setzte er sich für seine Gemeinde in Dresden sein, die er so beherzt nach dem Zweiten Weltkrieg mit aufgebaut hat«, sagte Dainow. Damit gelte Aris als einer der Pioniere, »die uns heute für alle Zeit Vorbild bleiben, da sie das Fundament für ein neues jüdisches Leben in Deutschland legten«, so der Vizepräsident.

Rabbiner Alexander Nachama zeichnete in seiner Trauerrede das Leben von Heinz-Joachim Aris nach: vor, in und nach der Schoa. Die Rettung vor der Deportation nach Theresienstadt hatten die Geschwister Renate und Heinz-Joachim sowie ihr Vater Helmut den britischen Streitkräften zu verdanken. »Die Bombardierung Dresdens hat uns das Leben gerettet«, habe Aris immer gesagt.

Verbundenheit Vor allem aber beschrieb Nachama einen tief mit der jüdischen Gemeinde und Gemeinschaft Dresdens verbundenen Mann, der nur während seines Studiums der Wirtschaftswissenschaften seine Heimatstadt für knapp fünf Jahre Richtung Leipzig verlassen hatte. Damals, so habe Aris einmal behauptet, habe er vielleicht nicht alle Feste der Dresdner Gemeinde mitgemacht, erzählte Nachama und fügte hinzu, dass er das eigentlich nicht glaube.

»Die Gemeinde, das war sein Leben«, fasste die Gemeindevorsitzende Nora Goldenbogen zusammen. Auch sie kämpfte gegen ihre Tränen an. In ihrer kurzen Rede dankte sie Aris für sein Engagement für die Juden in Dresden und vor allem für die russischsprachigen Zuwanderer. Mit seinem Charme, seinem ureigenen Humor und auch seinen russischen Sprachkenntnissen habe er schnell die Herzen und den Respekt der Zuwanderer gewonnen, so Goldenbogen. Die Gedenkfeiern am 9. Mai der Veteranen der Roten Armee habe er nie verpasst. »Dabei stimmte er dann immer ihre Kampflieder an, dafür war er berühmt.«

»Wenn eine große Persönlichkeit geht, weinen die Wände«, zitierte Rabbiner Nachama ein Rabbinerwort. »Seit Freitag weinen die Wände dieser Trauerhalle, aber auch die der neuen Synagoge.« Jeder Raum, jeder Gegenstand atme Aris’ Gegenwart. Mit dem El Male Rachamim schloss das Trauergebet, das vom Synagogenchor begleitet wurde.

Trauer Auf einem schwarzen Wagen wurde der Sarg, bedeckt mit einem schwarzen Tuch, das nur ein weißer Magen David zierte, zum Grab der Familie Aris gefahren. Rund 200 Trauergäste folgten der Familie, Ehefrau Eva und den Töchtern Katrin und Sabine.

Die Schwester Renate Aris bedankte sich beim anschließenden Kiddusch im Gemeindezentrum bei Mitgliedern und Freunden, die den letzten Weg ihres Bruders begleitet hatten, unter ihnen Präsidiumskollege Küf Kaufmann aus Leipzig, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz, Ruth Roescher, sowie viele andere mehr.

Elena Tanaeva, Sozialarbeiterin der Gemeinde, dankte für die »Herzlichkeit, mit der er uns empfing«, die Aris nicht nur ihr persönlich, als sie 1998 nach Dresden gekommen war, sondern allen Zuwanderern entgegenbrachte. Johanna Stoll, Schatzmeisterin der Gemeinde, erinnerte an die gute Zusammenarbeit im Vorstand mit ihm. Es gab niemanden, der nicht bereits jetzt Heinz-Joachim Aris schmerzlich vermisste.

Forschung

Vom »Wandergeist« einer Sprache

Die Wissenschaftlerinnen Efrat Gal-Ed und Daria Vakhrushova stellten in München eine zehnbändige Jiddistik-Reihe vor

von Helen Richter  14.01.2025

Nachruf

Trauer um Liam Rickertsen

Der langjährige Vorsitzende von »Sukkat Schalom« erlag seinem Krebsleiden. Er war ein bescheidener, leiser und detailverliebter Mensch

von Christine Schmitt  14.01.2025

Porträt der Woche

Keine Kompromisse

Rainer R. Mueller lebt für die Lyrik – erst spät erfuhr er von seiner jüdischen Herkunft

von Matthias Messmer  12.01.2025

Familien-Schabbat

Für den Zusammenhalt

In den Synagogen der Stadt können Kinder und Eltern gemeinsam feiern. Unterstützung bekommen sie nun von Madrichim aus dem Jugendzentrum »Olam«

von Christine Schmitt  12.01.2025

Köln

Jüdischer Karnevalsverein freut sich über großen Zulauf

In der vergangenen Session traten 50 Neumitglieder dem 2017 gegründeten Karnevalsverein bei

 11.01.2025

Vorsätze

Alles neu macht der Januar

Vier Wochen Verzicht auf Fleisch, Alkohol und Süßes? Oder alles wie immer? Wir haben Jüdinnen und Juden gefragt, wie sie ihr Jahr begonnen haben und ob sie auf etwas verzichten

von Brigitte Jähnigen, Christine Schmitt, Katrin Richter  09.01.2025

Würdigung

»Vom Engagement erzählen«

Am 10. Januar laden Bundespräsident Steinmeier und seine Frau zum Neujahrsempfang. Auch die JSUD-Inklusionsbeauftragte Jana Kelerman ist dabei

von Katrin Richter  09.01.2025

Gedenktag

Uraufführung mit den »Violins of Hope«

Ein besonderes Konzert anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz hat sich das Rundfunk-Sinfonieorchester vorgenommen. Es interpretiert ein Werk für die Geigen, die die Schoa überstanden haben

von Christine Schmitt  08.01.2025

Universität

Preise der »World Union of Jewish Students« in Berlin vergeben

Die weltweite Vertretung jüdischer Studierender hat ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert und besonders verdienstvolle Personen und Verbände ausgezeichnet

 07.01.2025