Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat mit tiefer Trauer auf die Nachricht des Todes von Rabbiner Henry G. Brandt reagiert. Rabbiner Brandt zählte zu den prägenden Persönlichkeiten im liberalen Judentum sowie im jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland, betonte Zentralratspräsident Josef Schuster.
»Rabbiner Brandt hat über Jahrzehnte mit Klugheit und einem großen Wissen den jüdisch-christlichen Dialog geführt«, so Schuster weiter. Dabei sei es Rabbiner Brandt gelungen, auch in schwierigen Phasen den Gesprächsfaden nie abreißen zu lassen. Beharrlich und ohne den eigenen Standpunkt zu verleugnen, habe er immer wieder Brücken zu den Kirchen geschlagen.
Schuster würdigte auch Brandts Arbeit als Landes- und Gemeinderabbiner sowie als Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK). »Rabbiner Brandt war im besten Sinne Lehrer und Ratgeber. Er hinterlässt eine große Lücke. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie.«
STIMMEN Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sagte: »Mit ihm verlieren Deutschland und die jüdisch-deutsche Gemeinschaft eines ihrer wichtigsten Gesichter und eine ihrer eindringlichsten Stimmen.« Wie kaum ein Zweiter habe Brandt dazu beigetragen, nach der völligen Zerstörung durch die Nationalsozialisten das jüdische Leben in seinem Geburtsland Deutschland wieder aufzubauen.
Der Berliner Gemeinderabbiner Jonah Sievers erklärte für die Allgemeine Rabbinerkonferenz: »Wir sind unendlich traurig über den Tod unserer Lehrers Rabbiner Dr. Brandt. Er war ein aufrichtiger und mutiger Mensch, der die Sache des liberalen Judentums und Klal Israels vertreten hat, auch wenn es nicht immer einfach war. Viele von uns, auch ich persönlich, haben ihm viel zu verdanken. Auch sein Engagement im Jüdisch-Christlichen Dialog war wegweisend, besonders in einer Zeit als sich von jüdischer Seite nicht viele für diesen Dialog interessiert haben.«
»Mit ihm verlieren Deutschland und die jüdisch-deutsche Gemeinschaft eines ihrer wichtigsten Gesichter und eine ihrer eindringlichsten Stimmen.«
Charlotte knobloch
»Mit großer Trauer und in tiefer Dankbarkeit für die letzten Jahrzehnte müssen wir Abschied von unserem Gemeinderabbiner Dr. h.c. Henry George Brandt nehmen«, erklärte Irith Michelsohn, Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld. Bis zum letzten Tag habe er die Gemeinde »rabbinisch begleitet, beraten und auf den progressiven jüdischen Weg geführt«.
Zwi Rappoport, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, sagte: »Mit dem Tod von Dr. Henry Brandt sel. A. hat die jüdische Gemeinschaft in Deutschland einen Ihrer profiliertesten Vertreter verloren. Ich hatte das Privileg, mit ihm neun Jahre in seiner Funktion als Landesrabbiner von Westfalen-Lippe zusammenzuarbeiten. Seine menschliche und geistige Größe habe ich stets bewundert.«
»In den letzten Jahren der aktiven Tätigkeit von Rabbiner Henry G. Brandt in der Augsburger Gemeinde durften wir gemeinsam am Gemeindeleben teilnehmen«, erinnert sich David Schwezoff, Landesrabbiner von Rheinland-Pflalz. »Ich war damals frisch orthodox ordinierter Rabbiner und Kantor in der Gemeinde. Rabbiner Brandts Offenheit hat uns beiden die Möglichkeit gegeben, die Mitglieder, die verschiedenen Strömungen des Judentums folgen, in unserer Einheitsgemeinde mit liebevoller Fürsorge zu unterstützen«, so Schwezoff.
Rabbiner Brandt habe auch den interreligiösen Dialog und soziales Engagement als wesentliche Bestandteile seiner Mission betrachtet. »Damit hat er gezeigt, dass es unsere Pflicht ist, Frieden auf der Grundlage von Liebe, Linderung und Wahrheit zu schaffen.«
Friedhelm Pieper, evangelischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, brachte die Trauer der Gesellschaften, die Rabbiner Brandt in 31 Jahren seines Vorsitzes geprägt hat, auf den Punkt: »Wie werden wir seine so energische Stimme im jüdisch-christlichen Dialog wirklich vermissen!«
Rabbiner Henry G. Brandt starb am Montag im Alter von 94 Jahren. Das teilte der ARK-Vorsitzende Rabbiner Andreas Nachama am Montagabend mit.
BIOGRAFIE Der gebürtige Münchner Brandt wurde 2005 zum Gründungsvorsitzenden der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands gewählt; 2019 wurde er nach seinem Rückzug Ehrenvorsitzender auf Lebenszeit. Zudem war Brandt unter anderem Ehrenpräsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Mitglied des Gesprächskreises »Juden und Christen« im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und Teilnehmer regelmäßiger Treffen von Rabbinern und Bischöfen.
Für sein Wirken wurde Henry G. Brandt vielfach ausgezeichnet.
Brandt wurde am 25. September 1927 in München als Heinz Georg Brandt geboren. Als Elfjähriger erlebte der Schuhhändler-Sohn, wie am 9. November 1938 SA-Männer seinen Vater verhafteten. Als dieser bald darauf wieder entlassen wurde, floh die Familie über Großbritannien ins damalige Palästina. Nach dem Krieg war Brandt Flottenoffizier in der israelischen Marine. Danach studierte er Nationalökonomie in Belfast. Später wandte er sich dem Rabbinatstudium zu, das er 1966 am Leo Baeck College in London abschloss. Es folgten Stellen in Leeds, Genf, Zürich und Göteborg.
1983 kehrte Brandt nach Deutschland zurück, wo er unter anderem bis 1995 Landesrabbiner von Niedersachsen und danach bis 2005 von Westfalen-Lippe war. Im Jahr 2004 wurde Brandt Rabbiner für Schwaben-Augsburg und für Bielefeld.
Seinen Ruf als Brückenbauer zwischen den Religionen festigte Brandt, als er 2008 in der Kontroverse um die Karfreitagsfürbitte für die Juden am Gespräch festhielt. Die Neufassung der Fürbitte von Papst Benedikt XVI. billige die Judenmission, hieß es - andere Vertreter des Judentums sagten daher ihre Teilnahme am Osnabrücker Katholikentag ab. Brandt blieb gleichwohl kritisch: So prangerte er im Jahr 2018 einen Aufsatz des emeritierten Papstes zum Verhältnis von Christen und Juden an, da darin das Judentum als »defizitär« dargestellt werde.
Für sein Wirken wurde Brandt vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem Bundesverdienstkreuz, dem Bayerischen Verdienstorden, dem Klaus-Hemmerle-Preis und der Ehrenbürger-Würde Augsburgs. ja/epd/kna