Das Kalenderjahr 2010 hat kaum angefangen, da steht einer der Anwärter auf das Wort des Jahres schon fest: Daisy. Auch wenn sich die Warnungen vor dem schneebringenden Tief im Nachhinein als übertrieben entpuppten und das ganz große Chaos ausblieb, brachte Daisy genug Schnee und Eis, um in manchen Regionen für erhebliche Probleme zu sorgen. Bei der jüdischen Gemeinde in Duisburg hatten man sich wegen der Wetterwarnungen bereits Gedanken über die anstehenden Gemeinderatswahlen gemacht. Sollte doch am Sonntag die Sitzung stattfinden, bei der sich alle Kandidaten vorstellen wollten. »Wäre diese Veranstaltung wetterbedingt ausgefallen, hätten wir wo möglich die Wahl verschieben müssen«, erklärte Geschäftsführer Michael Rubinstein.
knappes streugut In Nordrhein-Westfalen war zu diesem Zeitpunkt bereits das Streusalz knapp geworden. »Die Lager sind leer, deswegen werden nur noch die Hauptstraßen gestreut«, hieß es. Kindergartensand, also der Sand, der normalerweise in Buddelkisten kommt, wurde als Alternative empfohlen, und eine solche brauchten die Duisburger auf jeden Fall, denn »der Weg bis zum Eingang ist recht lang, und außerdem müssen unsere Müllcontainer einmal ums Haus gefahren werden. Unser Hausmeister braucht im Moment ganz sicher kein Fitnessstudio, so viel steht mal fest.«
Am Montag dann konnte Rubinstein dann für die bevorstehende Wahl Entwarnung geben. »Die Kandidaten haben sich vorgestellt, niemand musste wegen Wind und Wetter zu Hause bleiben.« Und auch die Gottesdienste konnten stattfinden, »der Minjan kam allerdings mit Ach und Krach zustande, das ist natürlich auch nachvollziehbar, wenn die Leute bei diesen Witterungsverhältnissen auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind.«
Ein großes Problem machen allerdings die Beerdigungen. »Wir hatten leider einen Todesfall«, erzählt Rubinstein. »Nun müssen wir dafür sorgen, dass die Beerdigung stattfinden kann.« Der Friedhof in Mühlheim ist sehr hügelig, »da muss jetzt erst einmal massiv gestreut und geräumt werden, sodass die Wege überhaupt befahrbar und begehbar sind.«
Die Fernsehbilder von der deutschen Ostseeküste hatten beeindruckend ausgesehen, an einigen Stellen drohten sogar die Deiche zu brechen. Das Rostocker Gemeindeleben beeinträchtigte Daisy allerdings kaum. »Die Lage ist entspannt«, berichtet Ilona Jejomin, für die Koordination der sozialen Angebote zuständig, am Montag nach dem Schneesturm. »Das Gemeindezentrum ist gut erreichbar, gerade ist unsere Bibliothek geöffnet, und es sind nicht weniger Leute als sonst da.« Natürlich gebe es wetterbedingt mehr zu tun als sonst im Winter: »Wir streuen, wir räumen, das ist unsere Pflicht. Wenn allerdings noch etwas Unvorhergesehenes passieren würde, wäre das sehr schwer für unseren Etat, denn wir müssen ja jetzt schon jeden Euro vier Mal umdrehen.«
Fahrdienste Ruben Herzberg, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Hamburg, berichtet, dass »gerade die älteren Gemeindemitglieder besonders große Probleme« haben. »Wir haben für Hilfebedürftige einen kleinen Fahrdienst organisiert, der aber natürlich mit dem jetzigen Bedarf nicht mithält.«Das Gemeindeleben sei aber nicht zum Erliegen gekommen, »aber natürlich haben die Senioren sehr große Angst davor, auf den glatten Bürgersteigen zu stürzen. Wir streuen und räumen selbstverständlich, aber wie es auf dem gesamten Hin- und Rückweg zur Gemeinde aussieht und ob diese Wegstrecken gefahrlos passierbar sind, weiß man nicht.« Es sei zwar »nun wirklich nicht so, dass unsere Gemeindemitglieder zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee sehen«, sagt Victoria Ladyshenski von der Jüdischen Gemeinde Kiel und lacht. Für die mehrheitlich aus der ehemaligen Sowjetunion Zugewanderten habe Daisy gleichwohl eine neue Situation gebracht: »So ein Wetter haben wir in Schleswig-Holstein noch nie erlebt.« Das Problem sei weniger der Schnee, »damit kann man fertig werden«, sondern viel mehr der Wind, der zu heftigen Verwehungen und deswegen in der Region zu Straßensperren und Zugausfällen geführt habe. Auch in Kiel sind besonders die älteren Gemeindemitglieder von Schnee und Glätte betroffen. »Viele trauen sich nicht mehr aus dem Haus, außerdem fahren die öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr so regelmäßig«, berichtet Viktoria Ladyshenski. Zum Gottesdienst seien trotzdem genügend Leute gekommen, »aber wir haben es im Voraus so gemacht, dass wir unsere Minjanim angerufen haben. Viele wohnen in der Nähe.«
Auch die Berliner Polizisten, die Synagogen und andere jüdische Einrichtungen bewachen, mussten in den vergangenen Tagen keine allzu großen Belastungen hinnehmen. Für sie gab es zusätzlich heiße Getränke. Warme Kleidung steht ihnen ohnehin zur Verfügung. Zudem wurde dort, wo es ging, zusätzliches Personal eingesetzt, damit die üblichen Wachzeiten etwas kürzer und die Pausen – zum Aufwärmen drinnen – länger wurden. Die neuen metallfarbenen Häuschen bieten ihnen bei klirrender Kälte jedoch keinen besseren Schutz als die alten. Auch sie verfügen über keine Heizung. Und trotz aller Probleme: »Ist dieses winterliche Bild, das sich uns derzeit bietet, nicht wunderschön?«, fragt Viktoria Ladyshenski.