Ulm

»Ein niederträchtiger Anschlag«

Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter Baden-Württembergs, spricht bei einer Mahnwache vor der Synagoge in Ulm. Foto: picture alliance/dpa

Sie ist schlicht, die Fassade der Ulmer Synagoge: Der mal helle, mal etwas dunklere Stein des Gotteshauses ist Dietfurter Kalkstein. Ein Naturstein, der in der Nähe von Treuchtlingen in Bayern abgebaut wird. Eine Kalksteinplatte misst 1,20 mal 0,90 Meter.

Mehr als acht dieser Platten sind seit dem Anschlag am Samstagmorgen verkohlt, rußig und tiefschwarz. Das, was äußerlich zu sehen ist, hat die Gemeinde tief ins Mark getroffen. Eine Tat zwischen Entsetzen und Fassungslosigkeit. Ein bislang Unbekannter hatte am Samstagmorgen aus einer Flasche eine Flüssigkeit an der Fassade der Synagoge ausgeleert und angezündet. Nur weil ein Passant dies beobachtete und umgehend die Feuerwehr rief, konnte der Brand schnell gelöscht werden.

Zeugen Hinweise auf den Täter gibt es bislang keine. Auch auf den Zeugenaufruf seien noch keine Hinweise eingegangen, sagte ein Sprecher der Polizei in Ulm am Montag. »Es gibt gewisse Spuren, die aber nicht sofort Rückschlüsse auf den Täter ermöglichen. Wir haben Spuren gesichert, wir haben auch die Videoaufnahme«, bestätigte Baden-Württembergs Landeskriminaldirektor Klaus Ziwey am Dienstag der Jüdischen Allgemeinen.

Das seien Ansatzpunkte für die Täterermittlung. »Wir ermitteln mit großem personellen Einsatz und Fachexpertise«, betonte Ziwey. Spezialisten des Staatsschutzes, Cybertechnik und der Kriminaltechnik seien beteiligt. Das Landeskriminalamt unterstütze die Ermittlungen intensiv. »Wir wissen nicht, wer der Attentäter ist. Coronabedingt ist er mit Maske und Hoodie aufgetreten, sodass man nichts von ihm sehen kann«, sagte Susanne Jakubowski, Vorstandsmitglied der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW), dieser Zeitung.

Die Spuren vom Tatort würden nun ausgewertet. Der Sprecher bestätigte, dass auch im Internet Videoaufnahmen zu sehen sind, die die Tat an der Synagoge der Jüdischen Gemeinde zeigen. Die Ermittler prüften nun, wie diese Aufnahmen ins Internet gelangten. Zum entstandenen Schaden am Gebäude konnte der Sprecher zunächst keine Angaben machen. Menschen waren bei dem Anschlag nicht verletzt worden.

Empörung Die Tat hat in Ulm und bei zahlreichen Politikern im Land für Empörung gesorgt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verurteilte die Tat als »niederträchtig«. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) erklärte: »Brandsätze gegen Synagogen zu werfen, ist widerwärtig.« Wer versuche, eine Synagoge anzuzünden, den werde die volle Härte des Rechtsstaates treffen: »Wir sind dankbar und froh, dass jüdisches Leben bei uns stattfindet, und wollen, dass dieses jüdische Leben bei uns möglichst sorgenfrei und unbeschwert sein kann.« Deshalb schütze man jüdisches Leben und bekämpfe Antisemitismus entschieden, sagte der Innenminister.

Viele hätten eine solche Tat bereits befürchtet, sagt Ulms Rabbiner Shneur Trebnik.

Der Antisemitismusbeauftragte der baden-württembergischen Landesregierung, Michael Blume, teilte mit, man müsse sich auch in Baden-Württemberg der bitteren Wahrheit stellen: Während die allgemeine Kriminalität sinke, radikalisiere sich der Antisemitismus weiter. Er habe die Einladung der Jüdischen Gemeinde angenommen, mit ihr am Samstagabend den Gottesdienst zum Ausklang des Schabbats zu begehen. »Der Antisemitismus radikalisiert sich wieder, doch diesmal lassen wir unsere jüdischen Gemeinden nicht alleine«, sagte Blume.

Der Vorfall von Samstag lasse die Menschen wieder einmal fassungslos zurück, erklärte der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner. »Die Frage, ob jüdische Einrichtungen nicht nur in Baden-Württemberg besser geschützt werden sollten, wirkt nach den Erfahrungen der letzten Monate und Jahre in Deutschland nur noch hilflos und ignorant.«

Heubner betonte: »Mit jedem Anschlag auf jüdische Gebäude und jüdisches Leben wächst die Angst der Überlebenden des Holocaust, dass die Schlacht gegen den aktuellen Antisemitismus in Wirklichkeit längst verloren ist und sie ihren Kindern und Enkelkindern eine Welt hinterlassen, in der auch ein neues Auschwitz möglich sein kann.«

Mahnwache Um ihre Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde zu zeigen, versammelten sich am Samstagabend mehr als 100 Menschen vor der Synagoge in Ulm. An der Kundgebung nahmen unter anderem Barbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, Ulms Gemeinderabbiner Shneur Trebnik, Antisemitismusbeauftragter Michael Blume und Oberbürgermeister Gunter Czsisch (CDU) teil. In allen Kirchen Ulms wurde am Sonntagmorgen für die Jüdische Gemeinde in Ulm gebetet, anschließend folgte eine Solidaritätsbekundung auf dem Münsterplatz.

Der Ulmer Rabbiner Trebnik lobte den Zusammenhalt in der Gesellschaft. »Die Solidarität und Zivilcourage, die wir in den letzten Stunden erlebt haben, ist enorm und beruhigt uns«, sagte er am Sonntag. Dass ein Passant nicht wegschaue, sondern ohne zu zögern Polizei und Feuerwehr anrufe und dass Menschen füreinander einstünden, sei ein wichtiges Signal – auch für seine Gemeinde, die nach der Tat beunruhigt sei und sich Sorgen mache.

In Ulm wurden unterdessen die Schutzmaßnahmen an der Synagoge noch einmal massiv verstärkt.

Mit einigen seiner Kollegen habe er bereits nach dem Schabbat telefoniert, sagte Trebnik. Alle Rabbiner hätten gehofft, dass es nicht zu einem Brandanschlag auf eine deutsche Synagoge komme, aber viele hätten eine solche Tat bereits befürchtet.

molotowcocktail Nach Ansicht des Rabbiners müssten noch klarer Grenzen gezogen werden, was erlaubt sei und wo Hass beginne. »Die Täter ziehen die Grenzen immer weiter, da haben wir ein Problem.« In der Nacht zum 13. Mai hatte ein Unbekannter eine Scheibe an der Mannheimer Synagoge zerschlagen: »Ist das ein solch großer Unterschied zu unserer Tat?«, fragte Trebnik.

Klar sei, dass der Täter den Anschlag geplant hatte: »Ich glaube nicht, dass ein normaler Mensch einfach mal so mit einem Molotowcocktail auf die Straße läuft.« Seine Botschaft an die Gesellschaft: »Wenn wir zusammenhalten und füreinander einstehen und nicht wegschauen, wenn etwas passiert, wird unser aller Leben sicherer und friedlicher.«

In Ulm sind unterdessen laut Klaus Ziwey die Schutzmaßnahmen an der Synagoge noch einmal massiv verstärkt worden. Landesweit variierten die Maßnahmen: »Die Polizei passt die Gefährdungsbewertung fortlaufend an – im Dialog mit den Ansprechpartnern und Gemeinden vor Ort, wir machen keine Bewertung, die länger und pauschal Bestand hat.«

sicherheit Susanne Jakubowski berichtet: »Wir haben an unseren Sicherheitsvorkehrungen erst einmal nichts geändert. Wir haben seit Januar 2020 einen zusätzlichen Sicherheitsvertrag mit dem Land Baden-Württemberg. Nach Halle hat man uns verstärkt zu verstehen gegeben, dass man uns finanziell unterstützen will – mit baulichen und auch technischen Maßnahmen, aber auch personell.«

»Wir gehen nach einer Prioritätenliste vor und arbeiten sie ab. Wir verstärken alle unsere Zweigstellen, ungeachtet des Vorfalls in Ulm«, so Jakubowski. Andere Sicherheitsmaßnahmen hätten den Anschlag in Ulm nicht verhindern können, meint sie: »Bei uns sitzt niemand 24 Stunden am Tag an sieben Tagen in der Woche im Pfortenraum und beobachtet die Kameras. Es hätte keiner gemerkt, deswegen kann es jederzeit wieder passieren.«

Unterdessen haben Fraktionen von Grüne, CDU, SPD und FDP im Landtag ein Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt und am Mittwoch eine Resolution gegen Judenhass und Ausgrenzung verabschiedet. (mit epd, dpa, kat)

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