Es geht uns darum, überhaupt aktiv zu werden», begründet Nina Peretz den Aufruf, den der Verein Freunde der Synagoge Fraenkelufer e.V. vor den Hohen Feiertagen verschickt hat.
Die Beterinitiative ruft darin zu Engagement für Flüchtlinge auf und bezieht damit klar Position für eine aktive Willkommenskultur seitens der jüdischen Gemeinschaft. Es gebe dringenden Handlungsbedarf, sowohl bei der Erstversorgung als auch bei der Integration der Menschen. Jeder Einzelne sei gefragt, sich dafür einzusetzen, dass die oft traumatisierten Geflüchteten nach den Strapazen der Flucht freundschaftlich aufgenommen würden, heißt es in dem Aufruf.
Vereinssprecherin Nina Peretz, die auch beruflich im sozialen Bereich aktiv ist, hatte in den vergangenen Wochen verstärkt Anfragen von Kollegen – und auch Betern, die sich engagieren wollen – bekommen, die sich danach erkundigten, welche jüdischen Initiativen es in der Flüchtlingshilfe gebe. «Es fällt auf», sagt Peretz, «dass in den Einrichtungen für Flüchtlinge vorrangig christliche und muslimische Gemeinden aktiv sind – doch wo sind wir?»
vorstoß «Als Teil der jüdischen Gemeinschaft und als engagierte Beterinnen und Beter der Synagoge Fraenkelufer sehen wir es als unsere Pflicht an, uns für ein Mehr an Willkommenskultur starkzumachen», begründen die Vereinsmitglieder nun ihren Vorstoß. «Judentum ist ohne Menschlichkeit, Barmherzigkeit und Gastfreundschaft nicht denkbar – damit diese Grundpfeiler unserer Religion nicht leere Hüllen bleiben, dürfen wir Jüdinnen und Juden nicht zur Situation der Flüchtlinge schweigen.»
Doch diese Haltung teilen nicht alle Gemeindemitglieder. Ihr sei bewusst, sagt Peretz, dass das Thema Flüchtlinge in vielen Gemeinden auch auf Skepsis stoße – vor allem aus Angst vor islamistischem Antisemitismus. Mit ihrer Initiative wirbt die Synagogengemeinde nun dafür, Ängste abzubauen.
«Chesed, Mitgefühl, und Offenheit gegenüber Fremden sind der Kern unserer Religion», betont Peretz – das gelte nicht nur für Hilfe innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. «Wenn wir den Neuankömmlingen nicht freundlich begegnen, ist die Gefahr viel größer, dass sie unter den Einfluss radikaler Strömungen geraten», ist die Beterin überzeugt.
erfahrung Aus Sicht von Joshua Weiner hilft auch der Blick in die Geschichte, um aus jüdischer Sicht Verständnis für die Flüchtlingserfahrung aufzubringen. «Unsere Eltern und Großeltern haben beides erfahren – Aufnahme und Ablehnung», sagt der Fraenkelufer-Beter.
Der Aufruf an die jüdische Gemeinschaft, sich für Flüchtlinge zu engagieren, enthält daher auch folgende Textpassage: «Bedrohung, Flucht und Vertreibung sind zudem für viele Juden eine Erfahrung, die sie direkt mit ihrer eigenen Familiengeschichte verbinden. Die meisten in Deutschland lebenden Juden haben Vorfahren, die unter Lebensgefahr fliehen mussten, die auf Barmherzigkeit ihrer Mitmenschen und auf Asyl durch andere Staaten angewiesen waren. Diese Ereignisse in der jüngsten deutschen Geschichte sind tief in unserer kollektiven Erinnerung verankert. Das Bewusstsein, dass sich solch unmenschliche Entwicklungen niemals wiederholen dürfen, nährt unsere Überzeugung darin, aktiv zu werden.»
schritte Die Synagoge am Fraenkelufer hat sich daher bewusst entschieden, konkret und nachhaltig zu helfen. Der Synagogenverein ruft Beter und Besucher dazu auf, an den Hohen Feiertagen Sach- und Geldspenden für Flüchtlingsfamilien mit in die Synagoge zu bringen. Diese werden dort gesammelt und aufbewahrt.
Nach den Feiertagen wollen die Vereinsmitglieder sie an Menschen in Wohneinrichtungen übergeben. Zudem planen sie, am Mitzvah Day, dem jüdischen Ehrenamtstag im November, ein Flüchtlingsheim zu besuchen, um Spenden abzugeben und den Tag mit den Geflüchteten zu verbringen.
Ende Oktober ist der Synagogenverein darüber hinaus Teil einer interreligiösen Lernnacht. Unter dem Titel «Refugees welcome?» wollen die Beter mit anderen religiösen und interreligiösen Gruppen diskutieren, welche Verpflichtungen gegenüber Zuwanderern in den jeweiligen jüdischen, christlichen und muslimischen Quellen zu finden sind.