Der Putz ist abgeklopft, sodass die sandfarbenen Steine wieder herauskommen. In ihren Originalzustand sind die Fenster versetzt worden, das Dach ist mit roten Ziegeln neu gedeckt und der Zigaretten-Automat neben der Eingangstür abmontiert: Die Felsberger Synagoge dürfte nun wieder so aussehen wie vor der Schoa.
Genutzt wird das Bethaus von der liberalen Gemeinde Emet we Schalom (Wahrheit und Frieden). Am 25. November wurde es in Anwesenheit von Staatssekretär Uwe Becker (CDU) und Regierungspräsident Mark Weinmeister (CDU) eingeweiht – auf die liturgische folgt damit eine weltliche Zeremonie.
Die drei Torarollen der Gemeinde brachten die Mitglieder im September feierlich ein. »Ich bin immer noch überwältigt«, sagt Sarah-Elisa Krasnov, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, »dass es hier wieder jüdisches Leben gibt.« Zu sehen, dass es nun eine richtige Synagoge gebe, hätte viele zu Tränen gerührt.
zweck Für ihn gehe ein Traum in Erfüllung, sagt Uwe Cornelius Lengen. Der 81-Jährige hatte die Sanierung vorangebracht und ist Mitbegründer des Vereins zur »Rettung der Synagoge«. Chanukka 1994 zog der ehemalige Gastronom nach Böddiger, eines der 16 Dörfer, die zu Felsberg gehören. Dort erfuhr er von der Synagoge, in der nun eine Pizzeria war.
Er beschloss, sie aufzusuchen, und feierte am nächsten Freitag heimlich Schabbat in der Ecke der Pizzeria – und freute sich, in einem Ort mit einer Synagoge zu leben, die noch so gut erhalten sei. Einmal Synagoge, immer Synagoge, dachte er sich. Sie werde derzeit nur falsch genutzt und zweckentfremdet. Dann reifte in ihm die Idee, das Bethaus wieder seiner traditionellen Bestimmung zuzuführen.
Ab 2008 stand das Konzept: Die Synagoge sollte wieder für Gottesdienste und das Gemeindeleben da sein und zusätzlich eine Begegnungsstätte für interkulturelle und interreligiöse Veranstaltungen werden und die 900-jährige Geschichte der Juden in Nordhessen vermitteln. 2013 gründete Lengen zusammen mit dem Ehepaar Annette und Christopher Willing den Rettungsverein.
Brauerei Die Synagoge ist eine der wenigen in Deutschland, die die Nazizeit nahezu unbeschadet überstanden haben. 1842 hatte es bereits erste Pläne für das Bauvorhaben gegeben, fünf Jahre später konnte die Synagoge eröffnet werden. 100 Plätze für Männer und 80 auf der Frauenempore hatte es gegeben. Um 1900 sei der Höhepunkt der jüdischen Gemeinde gewesen. Es gab Schulen, Mikwen und einen Friedhof.
1932 fing der Nazi-Terror an, am 8. November 1938 wurde die Synagoge verwüstet, 15 Torarollen sind verschollen. Die Nazis zerstörten das Innere des Bethauses. Das Inventar verbrannten sie zur Sonnenwendfeier auf der Burgwiese, so Krasnov. Während des Krieges und danach war das Gebäude unter anderem ein Abstellraum für den Leichenwagen und für die Feuerwehrleiter.
Anfang der 50er-Jahre erwarb eine Brauerei das Haus, das dann in Privateigentum überging. Mittlerweile war die Außenfassade verputzt, die Fenster vermauert. Das Gebäude wurde als Turnhalle genutzt, war Kneipe und schließlich eine Pizzeria. Christopher Willing kann sich noch gut daran erinnern, wie es unter den Felsbergern hieß, dass sie nun in den »Tempel« gehen, um ein Bier zu trinken oder eine Pizza zu essen.
Dank des Engagements der Vereinsmitglieder und vieler Spender sowie staatlicher Zuschüsse und viel Eigenleistung konnte das Haus in seinen ursprünglichen Zustand versetzt werden. Die Kosten betrugen 1,3 Millionen Euro.
gottesdienste Das Ehepaar Willing war beruflich bedingt 1994 nach Felsberg gekommen. Heute studiert Annette Willing am Abraham Geiger Kolleg und amtiert als Kantorin bei den Gottesdiensten. »Wir sind eine egalitäre Gemeinde«, sagt sie – die einzige zwischen Göttingen und Frankfurt. Die Jüdische Gemeinde Emet we Schalom wurde 1995 in Kassel gegründet.
Damals besuchten unter anderem jüdische Angehörige der amerikanischen Streitkräfte im Raum Kassel den liberalen Gottesdienst. Zwischen 2001 und 2010 befand sich der Gemeindesitz im nordhessischen Gudensberg. Seit Juni 2010 hat die Gemeinde ihren Sitz in Felsberg, in den ersten sechs Jahren fanden die Gottesdienste noch in angemieteten Räumen statt.
2016 war dem Verein das Bethaus übergeben worden. Viele junge Familien engagieren sich, etliche Gemeindemitglieder kommen aus den USA, England, Israel, Ungarn, der Ukraine und Russland. »Wir sind auch offen für nicht-binäre Lebensläufe.« Menschen der LGBT-Community nehmen die Gottesdienste wahr, die mindestens einmal in der Woche gefeiert werden. Und die Gemeinde, die 30 Mitglieder zählt, legt Wert auf Inklusion.