München

Endlich wieder schön

Auch das rot gestreifte Schweinderl mit dem Münzschlitz im Rücken trägt Maske und steht bereit. »Ist ein koscheres Schwein. Hat mir jedenfalls die Freundin, von der ich es geschenkt bekommen habe, versichert.« Chaja Loulai lacht. Zumindest ist es eines, das sich an die Regeln hält.

Seit Anfang dieser Woche, 1. März, kann Chaja Loulai, gelernte medizinische Kosmetikerin und medizinische Fußpflegerin, in ihrem Münchner Kosmetiksalon wieder Kundschaft empfangen. Und bereits wenige Tage vor dem Startschuss steht die Glastür offen für die Schwabinger Frühlingsluft. Die hält Einzug, bläst schon einmal so richtig durch. »Während der Lockdowns bin ich eigentlich so gut wie nie hier gewesen. Warum auch?«, sagt Chaja Loulai. »Aus den Augen, aus dem Sinn.«

Der Terminplan ist für die ersten Tage eher überschaubar gefüllt, zeitlich stark entzerrt.

Seit Jahren kümmert sich die 56-Jährige im Laden um Gesicht und Füße der Kundschaft. Den Geschäftsraum teilt sie sich mit einer Kollegin und Freundin. Während die im oberen Raumbereich für gut sitzende Frisuren sorgt, macht Chaja Loulai ein paar Stufen tiefer Hautpflege, Pediküre, Maniküre, Enthaarungen, »das volle Programm eben«.

frühlingslaune »Dass wir das jetzt alles wieder machen dürfen, hat mich, als ich das gehört habe, ehrlich gesagt, ziemlich überrascht«, sagt Chaja Loulai, dreht sich in Frühlingslaune ein wenig hin und her auf dem Frisierstuhl, passend zu den sonnigen Farben, die sie trägt, und ihrer beneidenswert gestylten Langhaarfrisur.

»Ja ja, ich weiß schon. Das werden die Kundinnen dann natürlich wissen wollen, ob ich vielleicht heimlich beim Friseur gewesen bin«, mutmaßt sie mit einem breiten Lächeln im Gesicht. »Nee, nee, war ich nicht, aber nach all den Jahren in diesem Geschäft habe ich schon einiges mitbekommen, wie das so geht mit dem Frisieren, Föhnen, Stylen –, und dank Corona hatte ich jetzt ja auch genügend Zeit zum Ausprobieren.«

Jedenfalls findet sie es angebracht, die Kundschaft einigermaßen präsentabel zu empfangen, »nach all den Wochen, all den Monaten«.

MANIKÜRE Wie alle Läden des »nichttäglichen Bedarfs« haben die Kosmetik-, Maniküre- und Fußpflegestudios zwei harte Lockdowns hinter sich. Dass sie jetzt wieder Kunden empfangen dürfen, hat vor allem mit der Öffnung der Friseurläden zu tun, meint Loulai. Friseure und Friseurinnen müssen ihrer Kundschaft bei ihrer Arbeit ja einigermaßen nahe kommen, »und da hätte man es schwer rechtfertigen können, dass man sich nicht den Füßen der Menschen widmen darf«, meint sie.

Die Friseursalons stellen wie die professionelle Fuß- und Gesichtspflege eine »körpernahe Dienstleistung« dar, die, so die Bayerische Staatsregierung, »zum Zweck der Körperhygiene und Körperpflege erforderlich« ist.

Und so gelten für die Kosmetiksalons eben auch dieselben Regeln wie für die Friseurläden: Es ist Abstand zu halten, Masken sind zu tragen, Kontaktdaten der Kunden müssen dokumentiert werden, nur wer sich angemeldet hat, darf kommen, Infopapiere müssen ausliegen. »Wir werden sehen, wie es funktioniert und wie lange es dauert, bis es sich eingespielt hat«, sagt Chaja Loulai wenige Tage, bevor es losgeht.

PLEXIGLASWAND Sie ist gut vorbereitet. Jeder zweite Sitz am Frisiertisch vor der Spiegelwand wurde herausgenommen, zusätzlich wurden zwischen die Plätze Plexiglasscheiben eingezogen. »Ich habe mir gestern noch einen Videoclip von der Handwerkskammer angesehen«, sagt Chaja Loulai, die sich zwar von der Bayerischen Landesregierung recht gut informiert fühlt, aber trotzdem meint, dass sich »jeder schon auch selbst anstrengen muss, um alles mitzubekommen«.

Der Film demonstrierte, wie sich Fachkräfte aus dem Kosmetik- und Fußpflegebereich optimal in ihrem Arbeitsalltag verhalten sollten. »Puh, das war schon einigermaßen anspruchsvoll«, sagt sie. Sie hat den Link an ein paar Kolleginnen weitergeschickt, woraufhin eine von ihnen zurückgeschrieben hat: »Da bleibt man doch am besten gleich zu Hause.«

Das findet Loulai zwar übertrieben, denkt aber schon auch, »wenn man alles so macht, wie es da gezeigt wird: wenn man nach jedem Kunden den Boden mit fettlösendem Mittel putzt, ständig die Maske wechselt, die Fenster aufreißt, dann braucht man sicher doppelt so lange wie bisher«.

Während des Lockdowns hat sie auch Kundschaft verloren – viele mieden öffentliche Verkehrsmittel.

Manchmal sei nicht alles so richtig durchdacht, es fehle einfach die Logik, sagt sie. Zum Beispiel habe es sie geradezu »geflasht«, als es hieß, ab dem 1. März dürfe in ihrer Brache wirklich alles wieder gemacht und angeboten werden. »Okay. Alles mit Maske. Ich mit Maske, der Kunde, die Kundin mit Maske. Und bei der Fußpflege hat man ohnehin Abstand. Aber wenn ich eine Kosmetikbehandlung des Gesichts mache?«

In solchen Situationen werde sie für sich entscheiden und zwar im Sinne »größter Sicherheit«. Zur Maske solle sie noch ein Schutzschild tragen, durch das sie aber nicht besonders gut sehe, »und das bei dieser diffizilen Aufgabe, wenn es um Haut geht«. »Vielleicht lasse ich mir eine Spezialbrille anfertigen, die rundum geschlossen ist«, überlegt Chaja Loulai.

HAUSBESUCHE Der Terminplan ist für die ersten Tage eher überschaubar gefüllt, zeitlich stark entzerrt. »Wir müssen ja aufpassen, dass sich niemand in die Quere kommt und dass nicht zu viele gleichzeitig im Salon sind.« Wenn Leute bei ihr anrufen und sich einen baldigen Termin wünschen, bittet sie um Verständnis. »Jetzt haben wir es zusammen so lange ohne Gesichts- oder Fußpflege ausgehalten, jetzt halten wir das auch noch ein paar Tage länger aus«, sagt sie dann.

Medizinisch notwendige Pflege durfte Loulai auch während des Lockdowns schon durchführen. Auch bei den Menschen zu Hause. Sie hat das aber nur gemacht, wenn dafür auch eine schriftliche Bestätigung des Arztes vorlag. »Abzählbar wenige haben mich da angefordert.«

Überhaupt hat Chaja Loulai während des Lockdowns Kundschaft verloren. »Viele wollten, obwohl es medizinische Gründe für eine Fußpflege gab, nicht mehr mit der U-Bahn unterwegs sein, auch während der Lockerungen. Vielleicht haben sie auch entdeckt, dass es eine Fußpflegerin bei ihnen um die Ecke gibt.«

ÜBERBRÜCKUNGSHILFE Das mit der Überbrückungshilfe habe beim ersten Lockdown ganz gut geklappt, berichtet die Kosmetikerin. »Es kam eine Summe, von der ich einen kleinen Teil ›parken‹ konnte«, was auch gut gewesen sei, weil »die Gelder jetzt noch nicht wieder geflossen sind«. Da müsse man einfach sehen, wie es weitergehe.

Chaja Loulais Mann ist ebenfalls selbstständig. Er ist jetzt plötzlich fast ausschließlich da, und das sei nach vielen Jahren wirklich einmal wieder etwas Neues, freut sich Loulai. Denn eigentlich ist er in Mailand beschäftigt, fliegt jede Woche einmal hin und zurück. »Wir waren jetzt fast ein ganzes Jahr am Stück zusammen! Und es hat supertoll funktioniert! Fast ein bisschen Honeymoon!«, schwärmt Chaja.

Der Lockdown bot Zeit für andere Tätigkeiten. Jeder Schabbat wurde besonders schön und aufwendig vorbereitet, »und es wurde viel, viel gekocht«.

Auch für Joel, den Sohn, der mit seinen 16 Jahren gerade in einem Alter ist, in dem Eltern »eher uninteressant werden, es sei denn, man braucht etwas«, ist das eine besondere Erfahrung. Außerdem wurde geputzt, aufgeräumt, weggeworfen, aussortiert, jeder Schabbat besonders schön und aufwendig vorbereitet, »und viel, viel gekocht«. Chaja Loulai mag es sehr, im Haus zu werkeln. »Und dafür war jetzt Zeit.« Und sogar den Sport hat sie, laut eigener Aussage »der unsportlichste Mensch überhaupt«, für sich entdeckt. Sie hat jetzt tatsächlich online mit Yoga angefangen und damit »alle Wehwehchen auskuriert«.

UNVERNUNFT So ganz glaubt Chaja Loulai jedenfalls noch nicht daran, dass es das jetzt mit dem Lockdown war. »Ich denke, wir müssen noch einmal zumachen, auch weil ich die Unvernunft der Menschen kenne.« Dabei erinnert sie sich an Debatten, die sie ganz am Anfang der Pandemie mit Kunden führen musste.

»Die kamen herein mit Maske, kamen herunter zu mir und setzten die Maske ab. ›Wir kennen uns doch‹, haben sie gesagt. Ich entgegnete daraufhin: ›Setzen Sie bitte wieder die Maske auf.‹ Und dann setzten sie sie wieder auf, und die ganze Nase guckte heraus. ›Nein, so geht das nicht‹, sagte ich. Also, manchen mangelt es einfach an Selbstdisziplin.«

Auf der Straße schaut sich Chaja Loulai den Kosmetiksalon noch einmal von außen an. »Okay, diese ganze Krise ist alles andere als schön. Aber, was wir auch wissen: Es gibt viel, viel Schlimmeres.«

Berlin

Hommage an jiddische Broadway-Komponisten

Michael Alexander Willens lässt die Musik seiner Großväter während der »Internationalen Tage Jüdischer Musik und Kultur« erklingen

von Christine Schmitt  21.11.2024

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024

Volkstrauertag

Verantwortung für die Menschlichkeit

Die Gemeinde gedachte in München der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs

von Vivian Rosen  20.11.2024

München

»Lebt euer Leben. Feiert es!«

Michel Friedman sprach in der IKG über sein neues Buch – und den unbeugsamen Willen, den Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023 zu trotzen

von Luis Gruhler  20.11.2024

Aus einem Dutzend Ländern kamen über 100 Teilnehmer zum Shabbaton nach Frankfurt.

Frankfurt

Ein Jahr wie kein anderes

Was beschäftigt junge Jüdinnen und Juden in Europa 13 Monate nach dem 7. Oktober? Beim internationalen Schabbaton sprachen sie darüber. Wir waren mit dabei

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Porträt

»Da gibt es kein ›Ja, aber‹«

Der Urgroßvater von Clara von Nathusius wurde hingerichtet, weil er am Attentat gegen Hitler beteiligt war. 80 Jahre später hat nun seine Urenkelin einen Preis für Zivilcourage und gegen Judenhass erhalten. Eine Begegnung

von Nina Schmedding  19.11.2024