Herr Rosenblatt, auch in Corona-Zeiten können die ZWST-Ferienlager für Kinder und Jugendliche stattfinden. Wie ist der Prozess der Entscheidung verlaufen?
Wir waren uns schon zu Beginn der Pandemie und dem damit verbundenen Ausnahmezustand bewusst, dass wir die Machanot nicht ersatzlos streichen werden. Wir wussten nur nicht, in welcher Art und Weise es uns möglich wäre, diese auszuführen, ob digital, lokal oder überregional. Die jüngsten Lockerungen und Verordnungen ermöglichen uns nun, die Machanot unter strengen Hygienemaßnahmen in Deutschland durchzuführen.
Ab März zeichnete sich schon ab, dass es mit dem Verreisen diesen Sommer schwieriger wird. Wie haben Sie darauf reagiert?
Die Eltern der angemeldeten Kinder wurden bereits unmittelbar nach Pessach darüber informiert, dass wir an drei Szenarien zur Durchführung der Machanot arbeiten. Gerade Kinder und Jugendliche haben unter dem Lockdown am stärksten gelitten. Viele brauchen gerade jetzt ein Sommerangebot. Auch darin sehen wir als Wohlfahrtsverband unsere soziale Aufgabe.
Wie haben Sie die Zeit des Lockdowns genutzt?
Sämtliche Veranstaltungen, Seminare und Fortbildungen wurden digital angeboten. In Kooperation mit den Jugendzentren wurde ein aufeinander abgestimmtes wöchentliches Programm entwickelt. So wurden seit Mitte März über 100 Online-Sessions durchgeführt. Parallel dazu nahmen die regulären mehrmonatigen inhaltlichen Vorbereitungen für die Sommer-Machanot ihren Lauf. Madrichim-Teams wurden gebildet.
Es sollte nun also schnell gehen?
Ja. Der erste Turnus beginnt bereits am 5. Juli. Einen Tag nach der Entscheidung des Vorstands gingen die Briefe und zusätzlichen Einverständniserklärungen an die Eltern raus. Derzeit sind wir intensiv mit der Umsetzung der Hygienekonzepte beschäftigt. Die kurze Vorbereitungszeit bedeutet für uns eine Mammutaufgabe. Aber die Vorfreude ist umso größer.
Wie war die Resonanz?
Überraschend gut. Rund 70 Prozent der angemeldeten Kinder und Jugendlichen halten an der Anmeldung fest. Wobei wir in diesem Jahr weniger auf die Zahlen schauen. Viele Eltern sind nach der langen schulfreien Zeit auf Betreuungsangebote in der Ferienzeit angewiesen. Viele von ihnen sind sehr dankbar, die von uns erarbeiteten Hygienekonzepte werden insgesamt gut aufgenommen.
Mussten Sie die Konzepte beim Amt einreichen?
Die jeweils verantwortlichen Gesundheitsämter erhalten unsere Hygienekonzepte. Für unsere Bildungsstätte in Bad Sobernheim ist dies bereits erfolgt.
Wird es trotz der Einschränkungen eine schöne Zeit?
Nach vielen Wochen der Isolation wünschen die Kinder und Jugendlichen den sozialen Kontakt. Also allein der Umstand, seine Freunde zu treffen beziehungsweise neue Freunde kennenzulernen, wird für die Teilnehmenden positiv sein. Wir unsererseits werden alles unternehmen, um den Kindern eine gute Zeit zu ermöglichen.
Israel und Italien sind als Domizile gestrichen, es geht in den Schwarzwald und nach Sobernheim. Wie war das Feedback?
Die Eltern haben sehr verständnisvoll darauf reagiert, dass die Auslandsreisen nicht stattfinden können. Nach der wochenlangen Isolation ist das Reiseziel für die meisten Teilnehmenden ohnehin zweitrangig. Die Kinder und Jugendlichen sind überglücklich, Freunde zu treffen und die eigenen vier Wände endlich einmal wieder verlassen zu können.
Mit welcher Begründung sagen Familien ab?
Einige Eltern haben Ängste vor größeren Zusammenkünften. Ich kann diese Entscheidung absolut nachvollziehen. Wiederum andere haben die Sommerferien zwischenzeitlich alternativ geplant. Ganz ehrlich: Ich habe nicht erwartet, dass wir dennoch derart schnell so viele Zusagen erhalten.
Sie stocken auch Ihr Personal auf?
Ja, wir werden die Zahl der Gesundheits- und Krankenpflegekräfte erhöhen. Auch das Reinigungspersonal werden wir erweitern, um die Hygieneanforderungen sicherzustellen.
Fahren behinderte Kinder mit?
Selbstverständlich! Ob Kinder mit oder ohne Einschränkungen, alle sind uns willkommen, da gibt es keinen Unterschied. Über das Gesher-Inklusionsprojekt haben wir ausgebildete Madrichim, die Kinder und Jugendliche mit Einschränkungen dabei unterstützen, genauso viel Spaß auf Machane zu haben wie alle.
Wie sieht die Anfahrt aus?
Wir werden versuchen, alle Teilnehmenden mit gecharterten Bussen anreisen zu lassen. Auch hier werden wir uns an die Hygienevorschriften halten.
Was sagen die Madrichim?
Ich bin wahnsinnig stolz auf sie. Die Teams haben die Machanot inhaltlich größtenteils durchgeplant, weil sie sich schon vor Wochen in Gruppen zusammengetan und das Thema ausgearbeitet haben. Es ist ein Erfolg für uns, dass sich alle gegenseitig unterstützen. Ohne so viel ehrenamtliches Engagement hätten wir das nicht schaffen können.
Kommen alle mit? In den vergangenen Jahren waren es um die 150 Madrichim.
Hier ist noch viel im Fluss. Dies liegt insbesondere daran, dass sich bei einigen Madrichim wegen Corona die Prüfungszeiträume an den Unis verschoben haben. Viele Ehemalige haben sich aber gemeldet und uns angeboten, dass sie einspringen, wenn es zu Engpässen kommt. Ich finde es toll, denn diese Solidarität und Bereitschaft zu helfen zeichnet uns als jüdische Gemeinschaft aus.
Sonst sind um die 700 Kinder mitgefahren. Wie viele werden es nun?
Dieses Jahr geht es nicht darum, unsere Zahlen zu steigern. Die Gesundheit und Sicherheit unserer Teilnehmenden hat nochmal auf ganz besondere Weise Priorität. In Bad Sobernheim können wir beispielsweise pro Turnus nur 58 Kinder nehmen. Alle, die sich vor Corona angemeldet haben, nehmen wir. Zusätzlich bekommen wir ständig Anfragen, die müssen allerdings warten. Aber wenn ein Platz frei ist, dann gern. Wir möchten für alle jüdischen Kinder in Deutschland da sein. So, wie es unsere Kapazitäten zulassen, sind wir das auch.
Wie sieht die Belegung aus?
Die Kinder und Jugendlichen werden ausschließlich in Doppelzimmern untergebracht. Sämtliche Programme werden in Kleingruppen von maximal zehn Personen stattfinden. Die Mahlzeiten werden ebenfalls in Kleingruppen erfolgen. Das Max-Willner-Heim in Bad Sobernheim und das Haus im Schwarzwald werden zu maximal 50 Prozent belegt, um die entsprechenden Abstandsregelungen zu gewährleisten.
Wie schafft man so etwas organisatorisch?
Ohne die Mitarbeiter der ZWST und der vielen ehrenamtlichen Helfer, die ihre Unterstützung anbieten, wäre es nicht möglich. Es beeindruckt mich zu sehen, wie hochmotiviert sich alle in die kurzfristige Organisation der Machanot einbringen.
Also, Sie können ruhig schlafen?
Ruhigen Schlaf gibt es während der drei Sommerfreizeiten prinzipiell nie. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit unseren vielen engagierten ehrenamtlichen Kräften den Kindern und Jugendlichen auch in diesem Sommer eine abwechslungsreiche und fröhliche Zeit in jüdischer Atmosphäre bieten werden. Es wird also auch in diesem Jahr unser Motto gelten: One Machane can change everything!
Mit dem Leiter des Kinder-, Jugend- und Familienreferats der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) sprach Christine Schmitt.