Porträt der Woche

Endlich Lehrerin

Miriam Kouzmenko besuchte einst die Yitzhak-Rabin-Schule und unterrichtet nun dort

von Christine Schmitt  10.06.2023 22:54 Uhr

»Jeden Tag freue ich mich auf meine Arbeit«: Lehrerin Miriam Kouzmenko (25) lebt in Düsseldorf. Foto: Gustav Glas

Miriam Kouzmenko besuchte einst die Yitzhak-Rabin-Schule und unterrichtet nun dort

von Christine Schmitt  10.06.2023 22:54 Uhr

Meine Unterschrift aus der Zeit, als ich Viertklässlerin war, sehe ich jeden Tag auf einer Leinwand im Flur der Yitzhak-Rabin-Grundschule in Düsseldorf. Ich muss immer schmunzeln, wenn ich an den Moment zurückdenke, als meine damalige Klasse und ich unsere Namen auf der Leinwand verewigten.

Nun bin ich als Lehrerin an meine alte Grundschule zurückgekehrt. In den vergangenen Tagen sprachen meine Schülerinnen und Schüler oft über ihre Vorfreude auf das Fest am kommenden Sonntag. Denn dann wird das 30-jährige Bestehen der Schule gefeiert. Mit der Grundschule verbinden mich zwar keine 30 Jahre, da ich erst 25 bin, aber meine schönsten.

stärken Als ich vor über einem Jahr meinen ersten Tag als Lehrerin an der Yitzhak-Rabin-Grundschule hatte, wusste ich, nun bin ich wieder zu Hause angekommen. Denn die Zeit, als ich an diesem Ort lesen und schreiben lernte, war die bisher prägendste meines Lebens. Ich konnte ich selbst sein, fühlte mich gesehen, konnte mich frei entfalten, und meine Stärken wurden gefördert. Vermutlich waren das wichtige Gründe, warum ich mich später für das Grundschullehramtsstudium entschied.

Bei der Security hieß es an meinem ersten Arbeitstag, dass ich aber groß geworden sei – na ja, heute bin ich 15 Jahre älter als nach der vierten Klasse. Beim Betreten der Schule traf ich auf mehrere meiner damaligen Lehrkräfte. Das Gefühl war unbeschreiblich, und es erfüllt mich mit Ehre, heute mit ihnen arbeiten zu dürfen.

Das gesamte Kollegium empfing mich mit so viel Wärme – mir war bis dahin nicht bewusst, wie vertraut mir dort alles war. Mit meiner früheren Klassenlehrerin arbeite ich heute als Kollegin zusammen. Ich habe mehrere Zuhause, das habe ich gelernt, und eines ist diese Schule.

Das Präsentieren vor einer Klasse mochte ich schon als Schülerin gern.

Ich bin sehr dankbar, einen Beruf gefunden zu haben, auf dessen Ausübung ich mich jeden Tag freue und der mich mit Glück erfüllt. Wenn ich das Schulgebäude erreiche, spüre ich Zufriedenheit und eine innere Ruhe. Manchmal fühle ich mich sogar ein wenig wie ein Superstar, wenn »meine« Schülerinnen und Schüler auf mich zustürmen, mir ihre Zuneigung zeigen und mir viel erzählen.

präsentieren Obwohl ich selbst eine eher ruhige, zurückhaltende Schülerin war, mochte ich das Präsentieren vor der Klasse gern. Ebenfalls das Schreiben von Gedichten und Geschichten. Neulich lernten meine Schülerinnen und Schüler ein Gedicht über einen Vogel auswendig, das ich als Viertklässlerin schrieb. Als die Kinder es vortrugen, hatte ich zugegebenerweise etwas Tränen in den Augen.

Was ich an meiner Arbeit liebe, ist die Interaktion mit den Kindern. Wir lachen viel zusammen, und die Stunden mit ihnen sind nie langweilig. Ein Kind ist für mich wie ein »unbeschriebenes Blatt«. Ich kann mit meinen Worten viel bewirken, die Kinder im Denken prägen und Wissen weitervermitteln.

Es ist eine sehr schöne Aufgabe, die aber auch eine große Verantwortung mit sich bringt. Die Kinder sollen Freude am Lernen haben, das ist mir wichtig. Ehrlich gesagt, lerne ich mich durch die Arbeit als Lehrerin täglich selbst besser kennen, sie regt mich zur Selbstreflexion an.

BELARUS Nach meinem Abitur stellte sich erst einmal die Frage, was ich in Zukunft machen möchte. Vielleicht erst einmal für einige Zeit ins Ausland? Meine ältere Schwester Julia machte mich auf ein Programm des Goethe-Instituts aufmerksam. Da gab es die Möglichkeit, ein Freiwilliges Soziales Jahr zu absolvieren.

Also bewarb ich mich und erhielt unerwartet eine Einladung nach Belarus. Dort assistierte ich im Unterricht für Deutsch als Fremdsprache an einer Partnerschule des Goethe-Instituts Belarus in Maladzyechna, einer Stadt, die etwa eine Stunde von Minsk entfernt ist. Ich übernahm auch Unterrichtsstunden und bot AGs an. Ein anderer Freiwilliger und ich leiteten ein interkulturelles Treffen in einer Bibliothek, bei dem belarussische Jugendliche und wir regelmäßig zusammenkamen.

Leider wurde das Goethe-Institut in Minsk am 31. Juli 2021 von der Regierung in Belarus als Reaktion auf die Sanktionen der Europäischen Union geschlossen. Es traf mich sehr, als ich davon erfuhr, weil ich dem Institut viel zu verdanken habe.

MÜNCHEN Der Auslandsaufenthalt trug stark zu meiner persönlichen Weiterentwicklung bei, ich verließ meine Komfortzone, und mir wurde bewusst, dass ich Lehrerin werden möchte. Ich bewarb mich an mehreren Universitäten und bekam einen Studienplatz in München, wo ich Didaktik des Deutschen als Zweitsprache, Deutsch-, Mathematik- und Kunstdidaktik studierte.

Ich verliebte mich auf Anhieb in diese Stadt und schloss Freundschaften fürs Leben, begegnete Menschen, die zu meiner Familie wurden. München wurde zu meinem Zuhause. Es ist eine sehr schöne und gemütliche Stadt. Besonders mag ich die Natur in und um München herum. Ich verbrachte viel Zeit mit Freundinnen bei langen Spaziergängen im Englischen Garten, an der Isar oder am Starnberger See.

Außerdem engagierte ich mich bei dem Verein »heimaten«, einer Plattform für interkulturellen Dialog. Schwerpunkte dieses Vereines sind die Menschenrechtsarbeit sowie die Unterstützung von jungen Geflüchteten. Ich fühlte mich in München angekommen und sah dort meine Zukunft. Doch aufgrund eines unerwarteten Krankheitsfalles in meiner Familie traf ich die Entscheidung, wieder nach Nordrhein-Westfalen zurückzukehren. Ich entdeckte Düsseldorf noch einmal neu.

multikulturalität Besonders schätze ich die Multikulturalität dieser Stadt. Mit Düsseldorf verbinde ich meine Kindheits- und Jugenderinnerungen, was es für mich zu einem besonderen Ort macht. Hier habe ich einen großen Freundeskreis, bestehend aus alten und neuen Freundschaften. Mit meinen Freundinnen und Freunden verbringe ich viel Zeit. Wir gehen gern zusammen essen oder am Rhein spazieren.

Vergnügt verbringe ich auch Zeit allein, dabei wird mir nie langweilig. Museen ziehen mich immer wieder magnetisch an. Einer meiner Lieblingskünstler ist Marc Chagall, dessen Geburtsstadt Wizebsk ich in Belarus besucht habe.

Zum Abschalten zeichne oder male ich, höre gern Musik und Podcasts.

Zum Abschalten zeichne oder male ich, höre gern Musik und Podcasts. Meine Playlist zeichnet sich dadurch aus, dass sie sehr gemischt ist. In einem Moment höre ich RʻnʼB oder Pop, im nächsten Moment Klassik. Außerdem tanze ich in meiner Freizeit und besuche regelmäßig eine Tanzschule. Beim Tanzen lebe ich voll und ganz im Moment, denke an nichts anderes als die Schritte und die Musik. Auch mag ich es, mich in ein Buch zu vertiefen, wobei ich am liebsten Sachbücher, Biografien oder Romane in die Hand nehme.

1993 emigrierte meine Familie nach dem Zerfall der Sowjetunion aus der Ukraine nach Deutschland. Ich selbst wurde als erstes Familienmitglied in Deutschland geboren.

UKRAINE-KRIEG 2018 reiste ich mit einem Freund erstmals nach Charkiw, in die Geburtsstadt meiner Mutter Irina und meiner Schwester Julia. Ich ging zu den Häusern, in denen meine Oma Tetyana vor und nach dem Zweiten Weltkrieg lebte, sah das Gebäude, in dem meine Schwester aufwuchs und meine Eltern viele Jahre verbrachten. Es war überwältigend und surreal zugleich, da mir meine Familie immer von diesen Orten und den Geschichten, die sie dort erlebte, erzählte.

An einem Tag besuchte ich die Schlucht Drobyzkyj Jar in Charkiw, wo die Oma und Tante meiner Oma Tetyana während der Schoa von der Wehrmacht ermordet wurden. Das Denkmal an diesem Platz wurde direkt zu Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine im Februar 2022 durch einen Beschuss beschädigt. Es vergeht kein Tag, an dem meine Familie und ich nicht an den russischen Angriffskrieg denken. Physisch sind wir in Deutschland, aber seit dem letzten Jahr sind unseren Gedanken täglich in der Ukraine, wo noch meine Verwandten väterlicherseits leben.

An oberster Stelle stehen für mich meine Familie und unser Familienhund Benny, der vor ungefähr eineinhalb Jahren in unser Leben trat. Sie sind mein wichtigstes und emotionales Zuhause.

Aufgezeichnet von Christine Schmitt

Berlin

Kai Wegner gratuliert Margot Friedländer

Die Holocaustüberlebende wird heute 103 Jahre alt

 05.11.2024

9. November 1938

»Mir war himmelangst«

Ruth Winkelmann (96) überlebte die Novemberpogrome und die NS-Zeit in Berlin

von Nina Schmedding  05.11.2024

Chabad Berlin

Ein offenes Haus

Pears Jüdischer Campus: Seit einem Jahr ist die Bildungsstätte von Chabad in Betrieb – ein Besuch

von Pascal Beck  04.11.2024

München

Trauer und Sorge um Israel

Buchvorstellung: Der »Jüdische Almanach« beschäftigt sich mit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 und dessen Folgen

von Nora Niemann  04.11.2024

Berlin

Eine Tora für Ohel Hachidusch

Dank Spenden kann sich die Gemeinde eine neue Rolle leisten. Sie stammt aus den USA

von Christine Schmitt  04.11.2024

Jewish Quiz

»Eine Riesen-Mischpacha«

Das Jugendzentrum Neschama aus München gewinnt den Wettbewerb in Frankfurt

von Eugen El  03.11.2024

Porträt der Woche

Vom Tramp zum Stammbeter

Georg Gabriel Potzies lernte Konditor, war Antiquitätenhändler und wurde religiös

von Frank Toebs  03.11.2024

Deutschland

Blick in die Zukunft

Laut Shell-Studie schauen Jugendliche optimistisch auf die nächsten Jahre. Gilt das auch für Juden?

von Christine Schmitt  03.11.2024

Berlin

»Etwas Himmlisches«

Am Donnerstagabend wurden in Berlin kleine, glitzernde Tropfen der Hoffnung gefeiert. So war die Verleihung des achten Shimon-Peres-Preises

von Sophie Albers Ben Chamo  01.11.2024