Seit dem Ende des Pessach-Festes sammeln die Kinder in Israel Stöcke, Zweige sowie Holzscheite und wetteifern miteinander, wer am meisten Brennmaterial für das große Lagerfeuer zusammenbekommt. Und auch in vielen jüdischen Gemeinden und Familien hierzulande laufen die Vorbereitungen für das Grillfest, das am 33. Tag der Omerzählung (10. Mai) gefeiert wird.
Gila und Isaak, die einen »Nahkauf«-Laden im Frankfurter Ostend betreiben, haben bereits eine Großbestellung an ihren Lieferanten in Straßburg geschickt: zarte Hähnchenschenkel und -brüste, saftige Schnitzel und deftige Hamburger-Scheiben, alles natürlich koscher und vor allem ideal geeignet, um auf loderndem Feuer zu garen.
Aber man kann es sich auch einfacher machen und sich selbst zur Party einladen, an diesem Freudentag, der die lange Trauerzeit, zu der das Omerzählen seit der Zerstörung des Tempels geworden ist, für einen Moment unterbricht. Wie in jedem Jahr veranstaltet Chabad auch dieses Mal wieder an vielen Orten in Deutschland Lag-BaOmer-Feste, mit Luftballons, Musik, einer Riesenrutsche und üppigem Barbecue. Man muss nur auf die Facebook-Seite von Chabad gehen. Ein Klick genügt, und schon ist man als Gast registriert und willkommen. Die Gästeliste verrät sogar, wer sonst noch so vorbeischauen wird.
Fleischlos Vielleicht möchte man aber auch daheim bleiben, ein paar Tofu-Cevapcici in die Bratpfanne werfen und die DVD mit dem künstlichen Kaminfeuer einlegen. Auch virtuell kann Lag BaOmer schön sein, denn auf YouTube gibt es eine Riesenauswahl von Videos über Lagerfeuer auf der ganzen Welt zu sehen.
Am beeindruckendsten ist ein Mitschnitt aus Meron im Norden Israels, jenem Ort, wo Rabbi Schimon bar Jochai (Raschbi) begraben liegt, der der Legende nach am Tag des 33. Omer verstarb. Doch kurz vor seinem Tod hatte er noch eine größere Zahl seiner Anhänger erstmals in die Geheimnisse der Kabbala eingeweiht.
Die schwankenden Aufnahmen – vermutlich hat der Kameramann selbst mitgetanzt – zeigt eine wogende, singende Menge von Tausenden chassidischen Männern, schwarze auf- und abhüpfende Hüte, so weit das Auge reicht, und irgendwo mittendrin wabern auch ein paar Flammen in einer Emaille-Wanne. So feiern sie Lag BaOmer als Geburtsstunde der jüdischen Mystik.
Und während andere an diesem Tag in die Flammen schauen und darin den Widerschein der Signalfeuer erkennen, mit denen sich die tapferen Rebellen des Bar-Kochba-Aufstandes in den Bergen Judäas von Gipfel zu Gipfel verabredete Zeichen gaben und der 24.000 getöteten Schüler Rabbi Akiwas gedenken, symbolisiert das entzündete Licht für die Chassiden die Erleuchtung, die mit diesem Tag über die Gefolgschaft des großen Raschbis kam.
Grill Kaschern Wem die Flammen zu gefährlich sind, vor allem, wenn Kinder mitfeiern, kann auch einen Elektrogrill verwenden. Aber ist der auch koscher? Denn das gilt es ebenfalls zu gewährleisten. Nichts leichter als das, einfach vor Festbeginn den Thermostat für eine halbe Stunde voll aufdrehen, damit auch der letzte, möglicherweise unreine Essensrest vollständig verglühen kann.
Und was darf überhaupt auf den Grill? Der Tradition nach nimmt man vor allem »Dinge, die man in die Flammen werfen kann«, erinnert sich Galit Gur von der Krabbelstube »Arche Noah« im Frankfurter Westend an die Freuden ihrer Kindheit: »Wir haben Kartoffeln in Alu gewickelt und so lange schmoren lassen, bis die Folie außen ganz schwarz war«, erzählt sie. Mit Zwiebeln kann man ähnlich verfahren. Die meisten Kinder indes bevorzugen mittlerweile Marshmallows, aber die sollte man wohl lieber auf ein Stöckchen spießen und vorsichtig über den Flammenspitzen rösten.
»Ich persönlich empfehle Einweggrills«, sagt indes Rabbiner Andy Steiman. »Die gibt’s an jeder Tankstelle. Außerdem hat man bei denen kein Problem mit der Kaschrut.« Sicher seien sie außerdem. »Das ist mir mittlerweile, vor allem seit ich Familienvater bin, wichtig.«
Es gab andere Zeiten im Leben des Rabbiners: »Als ich noch bei den US-amerikanischen Streitkräften als Militärseelsorger tätig war, hatte sich bei uns das Ritual eingebürgert, dass ein oder zwei Soldaten mit dem Flammenwerfer vorbeikamen, um unser Grillfeuer zu entfachen.« Heute arbeitet Steiman als Rabbiner im Alten- und Pflegeheim der Emma-und-Henry-Budge-Stiftung. Selbstverständlich wird auch dort Lag BaOmer gefeiert, in diesem Jahr sogar gleich zweimal.
Am 10. Mai erwarten die Bewohner des Heimes Besucher aus vielen Teilen der Welt, Angehörige oder Nachfahren von Frankfurter Juden, die deportiert und ermordet wurden. Beim gemeinsamen Essen wird man natürlich Gegrilltes servieren. Drei Tage später, am 13. Mai, wenn das traditionelle Frühjahrsfest auf dem Paul-Arnsberg-Platz im Frankfurter Ostend stattfindet, wird Steiman auch mit einer Gruppe von älteren Leuten daran teilnehmen.
Würstchen Im vergangenen Jahr hat der Rabbiner dort eigenhändig die Geflügelwürstchen auf dem Grill gewendet: »200 Stück haben wir davon verkauft!« Das Hinweisschild, dass dieses Grillgut koscher sei, habe wohl vor allem viele nichtjüdische Festbesucher neugierig gemacht. Oder waren es doch eher die leckeren Saucen, ein Direktimport aus den USA und nicht der Appetit auf interreligiösen Erkenntnisgewinn?
Jedenfalls hat sich während des Festes eine neue multikulturelle Melange herausgebildet, bei der es den Rabbiner noch heute schüttelt, wenn er nur daran denkt: Geflügelwürstchen in Pitabrot, das ganz pappig und aufgeweicht ist von den Unmengen an Senf und Hummus, die man zu gleichen Teilen auch darein schmiert.