Vielerorts erreichen die Temperaturen schon im Mai und Anfang Juni 26 bis 30 Grad. Eis ist da mehr als willkommen. Erst recht am kommenden Sonntag und Montag, 50 Tage sind seit dem Pessachfest vergangen: Schawuot, das Wochenfest, wird gefeiert, und da sind die traditionellen Speisen milchig. Eierkuchen mit Quark, Käsekuchen, dazu Honig und frische Milch und viel Eis. Diese Tradition soll daran erinnern, dass die Tora vergleichbar mit Milch ist, die das Volk Israel wie ein unschuldiges Kind begierig aufsaugt.
Doch wer nach koscherem Speiseeis suchte, ging in der Hansestadt bislang leer aus. Das hat sich seit dem Sommer des vergangenen Jahres geändert. Damals sprach der passionierte Eishersteller Axel Steen zufällig mit seinem Milchlieferanten vom Milchhof Kruse, der schon seit mehreren Jahren einmal in der Woche seine Milchproduktion auf koschere Herstellung umstellt. Der Eismann Steen war interessiert, und so erzählte Kruse bei der nächstbesten Gelegenheit Landesrabbiner Shlomo Bistritzky von dem Gespräch mit dem Inhaber der Eismanufaktur.
Ein Jahr später ist die Idee umgesetzt. In einem recht unscheinbaren Industriehof im Nordwesten Hamburgs verkündet ein weiß-rotes Schild über dem Eingang: »Paradies-Eis«. So hat Axel Steen seine Manufaktur genannt, als er sie nach Jahren als gelernter Hotelfachmann und auf Kreuzfahrtschiffen nach seiner Rückkehr an die Elbe vor 17 Jahren eröffnete.
Handgemacht Seitdem können Privatkunden, Eiscafés und auch Supermarktketten bei Steen und seiner Mannschaft handgemachtes Eis in den verschiedensten Variationen bekommen. Gerade lädt vor der Tür ein Lastwagen 16 Europaletten voller Kartons mit veganer Eiscreme auf, um sie nach Dänemark zu transportieren.
Der Transport war übrigens auch eine der Hauptherausforderungen für die koschere Produktion. Oft bestellen die Gemeinden aus ganz Deutschland, doch stets nur recht kleine Mengen. »Unser Produkt ist leider sehr zeitsensitiv, da es gekühlt transportiert werden muss. Da ist es aufwendig, zum Beispiel zwei Kartons Eis nach Hannover zu verschicken«, erzählt Steen. Zumal die Tiefkühlspeditionen pro Palette berechnet werden, egal, ob zwei oder 20 Kartons darauf stehen. Hauptsächlich beliefert Paradies-Eis nach wie vor die jüdischen Gemeinden direkt, doch auch Supermärkte und Restaurants sind inzwischen unter den Kunden.
Der Landesrabbiner nutzt seine weitreichenden Netzwerke, um Verbindungen herzustellen. »Ich tausche mich mit anderen in WhatsApp-Gruppen aus, da gibt es welche, die sich nur mit koscheren Lebensmitteln befassen«, erzählt Bistritzky. So kam es zum Beispiel auch dazu, dass ein Restaurant in Prag nun das koschere Sorbet aus der Hamburger Manufaktur anbietet. Bistritzky hat die Hoffnung, dass sich Hamburg als Ort der koscheren Lebensmittelherstellung in Europa etablieren kann, dafür nutzt er gerne seine Verbindungen in die ganze Welt.
»Bevor ich es vergesse, nächsten Mittwoch ist wieder Produktion«, sagt Steen schnell noch dem Rabbi. Bistritzky kommt dann nämlich hinzu, wenn die normale Eisherstellung unterbrochen ist und das koschere Speiseeis gemacht wird. Allerdings gestaltet sich das weitaus weniger kompliziert als bei anderen Lebensmitteln. Denn da der Großteil der Produktion kalt geschieht, fallen viele der Reinigungsschritte weg. Nur wenn eine Speise über 40 Grad erhitzt wird, müssen die Zubereitungsutensilien danach gekaschert werden, das heißt mit 100 Grad heißem Wasser ausgekocht oder mit einem Brenner geflammt werden.
Vanilleschoten Beim Eis gilt das nur für das Aufkochen der Vanilleschoten, die wie die meisten anderen Zutaten auch frisch und nicht als Aromapasten verwendet werden. Die Lösung: Es gibt einfach einen eigenen koscheren Vanilletopf, der bei der herkömmlichen Eisherstellung nicht verwendet wird.
Neben Vanilleeis gibt es Schokoladeneis und dazu zwei sehr beliebte Parve-Sorten: Erdbeere und Mango. »Besonders am Schabbat, wo wir meistens fleischig essen, passt das Parve-Eis danach sehr gut«, schwärmt Rabbi Bistritzky, an dessen Tisch acht Kinder mit Eis versorgt werden wollen. »Von zehn bis zwölf Uhr produzieren wir ausschließlich für die Bestellungen von Herrn Bistritzky«, scherzt Steen.
Ein bisschen Eis essen allerdings auch andere Familien, auch in der Talmud-Tora-Schule steht eine Kühltruhe mit den koscheren Eisbechern. Tatsächlich wurden im vergangenen Jahr in vier, fünf Produktionen etwa 4000 Liter koscheres Eis produziert. Wie oft der Herstellungsprozess begonnen wird, liegt an den Vorbestellungen, die natürlich zum Sommer und auch jetzt kurz vor Schawuot wieder ansteigen.
In den hinteren Räumen der Manufaktur verbirgt sich das Herzstück, die Produktion. Hier werden die Zutaten per Hand abgemessen, das Eis in zwei Maschinen stundenlang gerührt, bevor es dann als fertiges Produkt abgefüllt und in die Kühlräume, die immer bei minus 20 Grad gehalten werden, gebracht wird. Die Hygienestandards sind sehr hoch, Steen erzählt vom IFS-Siegel, das kaum ein Endverbraucher kennt, das aber beim Handel mit größeren Abnehmern wichtig ist.
Produktion Mittlerweile hat er sogar einen eigenen Mitarbeiter, der sich das ganze Jahr mit den Vorgaben des Siegels auseinandersetzt. Die korrekte Einhaltung der Vorschriften war natürlich auch bei der Frage nach koscheren Produktionsbedingungen hilfreich, denn die meisten der Voraussetzungen von Rabbiner Bistritzky waren in der Eis-Manufaktur ohnehin schon erfüllt. Bei einem ersten Rundgang durch das Zutatenlager zeigte Bistritzky dem erstaunten Firmeninhaber, wie viele seiner Zutaten bereits ein Koschersiegel hatten. Letztlich musste dann für die Herstellung der vier koscheren Eissorten nur der Emulgator gewechselt werden.
Der Hamburger ist sowieso einiges gewohnt. Auf Firmenanfragen muss schon mal Eis in Orange oder Grau hergestellt werden. Und für ein englisches Food-Festival wurde Steen sogar einmal gebeten, Eis mit Bratwurstgeschmack zu produzieren. Natürlich erfüllte er den Wunsch, statt echter Bratwurst arbeitete er Gewürzmischungen in das Speiseeis ein. Und probierte das Endresultat. Urteil: »Ungewöhnlich«.