Das ist doch nicht meine Baustelle!» Das sagt man so lapidar, wenn man der Meinung ist, dass sich gefälligst andere um ein Problem kümmern sollen. Sächsische Handwerker hingegen machen sich fremde Baustellen zu eigen: in Haifa, Tel Aviv, Jerusalem oder Sderot. Seit 2004 reisen jedes Jahr Gruppen von Elektrikern, Maurern, Malern, Fliesenlegern und Installateuren nach Israel, um dort kostenlos die Wohnungen von Holocaust-Überlebenden zu renovieren oder soziale Einrichtungen baulich auf Vordermann zu bringen.
Organisiert werden die Handwerkereinsätze vom Verein «Sächsische Israelfreunde» mit Sitz in Rossau. Er gründete sich im Jahre 1998 anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Staates Israel mit dem Ziel, die Versöhnungsarbeit zu vertiefen. «Es ist wichtig, auch die israelfeindliche Politik während der DDR-Zeit aufzuarbeiten», meint Lothar Klein, Vorsitzender der Sächsischen Israelfreunde.
Vier- bis fünfmal jährlich organisiert der Verein sächsisch-israelische Begegnungen. Während dieser Reisen kam auch das Problem zur Sprache, dass viele Überlebende der Schoa sozial schlecht gestellt sind. Was über das Nötigste zum Leben hinausgeht, sei es ein neuer Wohnungsanstrich oder auch nur eine Waschmaschinenreparatur, können sich diese alten Menschen nicht leisten.
So entstand bei den Israelfreunden die Idee der Handwerkerreisen. Mit sechs Freiwilligen fing vor sechs Jahren alles an. Seither ist das Projekt rasant gewachsen und reicht inzwischen über Sachsen hinaus. In diesem Jahr reisten 70 Arbeitskräfte nach Israel. Die meisten sind Mitglieder des Vereins und bereit, ihren Urlaub zu opfern, die Reise aus eigener Tasche zu bezahlen und obendrein oft noch Geld zu spenden.
Motiv Für Volker Rabe, der seit 2007 jedes Jahr für zwei Wochen seine Arbeitskraft als Elektromeister zur Verfügung stellt, spielt der Glaube eine große Rolle: «Dem jüdischen Volk ist viel Leid geschehen. Und die Bibel sagt: ›Tröstet mein Volk‹.» Aber das ist es nicht allein. Hierzulande sei das Bild von Israel viel zu negativ, meint der selbstständige Handwerker aus Erlau. «Ein anderes, ein positives Bild von Israel in Deutschland, das wäre mein Herzenswunsch», sagt Volker Rabe. Direkte Anfeindungen für seine Israel-Sympathie habe er zwar noch nicht erfahren. Aber kritische Kommentare gebe es, gerade von älteren Deutschen, die die NS-Zeit selbst noch in Erinnerung haben. «Juden sind doch reich», heißt es manchmal.
Überrascht sind die Israelfreunde hingegen immer wieder von ihrer herzlichen Aufnahme in Israel. «Ich habe noch nie Ablehnung erfahren», betont der Elektromeister. Dabei war er sich anfangs durchaus nicht sicher, als Deutscher willkommen zu sein. «Das Wichtigste ist, die Menschen erzählen zu lassen. Die handwerkliche Arbeit steht oft gar nicht im Vordergrund», hat er erfahren. Manche, die aus Nazi-Deutschland geflohen sind, sprechen mit den sächsischen Helfern nach über 60 Jahren zum ersten Mal wieder Deutsch. Ein alter Mann, der als Kind Bergen-Belsen überlebte, schenkte Volker Rabe sogar seinen Wohnungsschlüssel mit den Worten: «Mein Haus ist auch dein Haus». Eine Szene, die den 50-Jährigen noch immer bewegt: «Es sind tiefe Beziehungen entstanden. Und dafür bin ich sehr dankbar.»
Freundschaften Diese Beziehungen sind für die Sächsischen Israelfreunde das stärkste Argument für die Handwerkereinsätze. Natürlich könnte man auch einfach Geld spenden. «Aber dann bleibt das Zwischenmenschliche doch irgendwo auf der Strecke», findet Rabe. Die persönlichen Kontakte hingegen seien unbezahlbar. Die Begegnungen von Mensch zu Mensch sind auch für Lothar Klein das Wertvollste: «Die Handwerker sind ja keine Psychologen. Die sind, wie sie sind. Und das macht die Begegnungen authentisch.»
Zuhören, reden, sich Zeit für die alten Menschen nehmen – das ist gar nicht so einfach, wenn man außerdem ein straffes Arbeitspensum absolvieren will. Oft übernehmen die mitreisenden Frauen die Rolle der Gesprächspartner, lassen sich vorsingen, schauen Fotos an oder putzen die Wohnung, während sich die Männer an Bädern und Böden zu schaffen machen.
Einsätze Dieses Jahr kümmerten sich die Handwerker aus dem Freistaat um insgesamt 16 Einzelprojekte. Sie arbeiteten nicht nur für Überlebende der Schoa, sondern zum Beispiel auch für Kfar Tikva, einer dörflichen Lebensgemeinschaft für behinderte Menschen, und für ein Jugendzentrum in Sderot. Immer wenn ein Team abreiste, kam eine neue Gruppe an. Diese insgesamt sechs Wochen boten Zeit, auch größere Baustellen in Angriff zu nehmen. Im Mittelpunkt der Arbeiten stand ein Seniorenheim und Begegnungszentrum für Holocaust-Opfer in Haifa.
Für den Verein sind Partnerschaften mit israelischen Organisationen unverzichtbar, um vor Ort Kontakte herzustellen und Projekte auszuwählen. So arbeiten sie seit Jahren mit der «Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem» (ICEJ) und mit dem Verein «Amcha» zusammen. Beide kümmern sich um Überlebende der NS-Zeit.
In Deutschland koordiniert Michael Sawitzki die Handwerkereinsätze. Immer zu Jahresanfang fliegt der Fliesenleger aus Claußnitz nach Israel, um die neuen Baustellen in Augenschein zu nehmen und Material und Werkzeug zu besorgen. Wenn dann im März die Handwerker anreisen, ist Sawitzki ebenfalls die ganze Zeit vor Ort – sein Chef daheim in Sachsen stellt ihn für diese Aufgabe frei.
Sawitzki rechnet damit, dass auch 2011 wieder um die 70 Handwerker in Israel tätig werden. Und das Projekt wächst weiter. Schon in diesem November reist eine Gruppe von deutschen Rentnern, die ebenfalls ehrenamtlich handwerkliche Tätigkeiten für Schoa-Überlebende übernehmen wollen. Sie sind zwar keine Profis, haben aber genug handwerkliches Geschick, um einfachere Arbeiten erledigen zu können.
Ein Schwerpunkt wird wieder die Renovierung von Privatwohnungen sein. Vielleicht geht auch der Ausbau des Senioren- und Begegnungszentrums in Haifa weiter. Mit Spenden aus Deutschland soll ein weiteres Haus erworben werden, um es zu Altenwohnungen umzubauen. Der Bedarf an günstigen oder kostenlosen Betreuungsplätzen für die Überlebenden ist groß. Auf der Warteliste des Wohnheims stehen 800 Interessenten.