Noch können Interessierte nur mit einer VR-Brille auf dem Kopf digital durch die Räume der Jüdischen Akademie schlendern, doch höchstwahrscheinlich 2025 sollen der imposante Neubau und die restaurierte Villa in Frankfurt am Main fertiggestellt werden. Das Projekt, das an die nunmehr zehnjährige Arbeit der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden anknüpft, soll ein Leuchtturm für die jüdische Bildungsarbeit in Deutschland werden.
Aber mit welchem Programm will die Jüdische Akademie diesen Anspruch in die Realität umsetzen? »Uns muss es gelingen, dass wir ein so reiches Bildungsprogramm haben, dass diese Frage nicht mehr nötig ist«, sagte Sabena Donath, Direktorin der Bildungsabteilung, auf dem Panel »Die Jüdische Akademie: Jüdische Perspektiven auf gesellschaftliche Diskurse« am Donnerstag. »Film, Literatur, Musik, Ethik, Antisemitismus, Rassismus, Feminismus – all diese Dinge werden wir versuchen, so bunt und so stark wie möglich in dieses Bildungsprogramm einfließen zu lassen«, so Donath.
Die jüdische Perspektive muss sich nach Ansicht von Zentralratspräsident Josef Schuster auch auf politische Debatten richten. »Wenn heute der Bundestag eine Gesetzesänderung bei der Sterbehilfe berät, hat die jüdische Ethik eine ganze Menge dazu zu sagen. Ein solches Thema muss auch in der Bildungsabteilung diskutiert werden«, so Schuster.
»Nach dem 7. Oktober hat sich meine Vorstellung dramatisch verändert.«
Doron Kiesel
Damit die Jüdische Akademie thematisch, aber auch wortwörtlich mit Leben gefüllt werden kann, braucht es für Doron Kiesel, Direktor der Bildungsabteilung, jedoch mehr Personal. Aktuell führe er die Geschäfte lediglich gemeinsam mit Sabena Donath. »Im besten Fall hoffen wir, dass wir nicht zwei Studienleiter werden, sondern vier oder sechs«, sagte Kiesel. Ihm geht es auch darum, in der Akademie innerjüdische Debatten zu führen und vor allem jungen Juden zu zeigen, was das Judentum bedeutet. »Man ist zwar als Jude geboren, aber man muss unter Umständen verstehen, was das in dieser modernen und zum Teil sehr widersprüchlichen Welt bedeutet. Was heißt es, einen jüdischen Lebensentwurf zu entwickeln?«
Eine Lücke, die auch schon Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), aufgefallen ist. Die JSUD habe etwa vor einigen Wochen 20 junge Jüdinnen und Juden in Berlin versammelt, um mit ihnen über ihre postsowjetische Migrationsgeschichte zu sprechen. »Kaum einer dieser jungen Menschen hatte auch nur ansatzweise eine Ahnung von der eigenen Geschichte«, schilderte sie. Das müsse sich ändern, sagte Veiler auf die Frage von Panel-Moderatorin Ayala Goldmann, welche Schwerpunkte sie in die Programmgestaltung der Jüdischen Akademie mit einbringen wolle.
Doch die Vorstellungen, was an der Jüdischen Akademie gelehrt werden soll, wurden durch die Massaker der Hamas völlig neu sortiert. »Ich habe das Gefühl, vor den Scherben meiner eigenen Arbeit zu stehen«, sagte Sabena Donath. »Wir haben über Jahrzehnte versucht, über Antisemitismus zu lehren, und müssen verstehen, dass wir nicht verstanden wurden.«
»Nach dem 7. Oktober haben sich meine Vorstellung und meine Intention dramatisch verändert«, berichtete auch Doron Kiesel. »Ich stelle nach dem kollektiven Schock in unserer Gemeinde fest, dass offensichtlich unser Bildungssystem dramatische und gravierende Defizite hat.« Denn die Empathielosigkeit gegenüber den ermordeten israelischen Zivilisten habe auch mit der Art zu tun, wie die Verbrechen der Nationalsozialisten Kindern in nichtjüdischen Familien vermittelt werden.
»Wenn man in Deutschland groß geworden ist, mit Eltern und Großeltern, die über die Thematik gar nicht oder nur im Sinne einer Schuldabwehr über dieses Thema gesprochen haben, dann wird man emotional kalt und entwickelt keine Empathie gegenüber Menschen, die von den eigenen Familienmitgliedern ermordet wurden. Das ist uns am 7. Oktober wieder passiert«, so Kiesel.
An der Jüdischen Akademie solle deshalb in Lehrerfortbildungen vermittelt werden, wie Pädagogen dieser Empathielosigkeit entgegenwirken können, und zwar nicht mit Schockpädagogik und Leichenbergen oder neutraler Wissensvermittlung, sondern mit einem »neuen Konzept pädagogischen Verstehens«, wie Juden in Deutschland leben.
»Dieser Ort ist wahnsinnig wichtig für die junge Generation.«
JSUD-Präsidentin Hanna Veiler
Hanna Veiler ist nach den Massakern der Hamas noch deutlicher geworden, dass junge Jüdinnen und Juden in Deutschland einen Rückzugsraum brauchen. »Die Jüdische Akademie ist ein Ort, an dem wir mal Pause machen können, an dem wir nicht kämpfen müssen und uns stattdessen mit verschiedenen Diskursen beschäftigen und lernen können«, sagte sie. »Dieser Ort ist gerade wahnsinnig wichtig für die junge Generation – vor allem, weil wir ihn andernorts, beispielsweise an den Universitäten, aktuell nicht haben.«
Die Bedrohungslage für Jüdinnen und Juden in Deutschland spiegelt sich auch in dem Entwurf für die Jüdische Akademie wider. »Wir bauen ein Haus mit sehr hohen Sicherheitsmaßnahmen«, schilderte Architekt Zvonko Turkali. »Die Gläser, die wir einbauen, sind acht Zentimeter dick. Das heißt, die Konstruktion, die diese Gläser hält, ist sehr tief.« Trotzdem soll der Neubau nicht wie ein Bunker wirken, sondern wie ein offenes und einladendes Haus. Deshalb hat der wohl wichtigste Raum der Akademie, der große Lehrsaal im ersten Obergeschoss, fünf Meter hohe Decken und eine Fensterfront, die man schon von der Straße sieht.
Dieses offene Haus solle auch die Pluralität innerhalb des Judentums widerspiegeln, unterstrich Doron Kiesel. »Unsere Community ist sehr vielfältig, und das ist ja das Spannende. Diese jüdische Vielfalt in ein Gespräch miteinander zu bringen, ist ein ganz wichtiger Aspekt, der Integration und eine plurale jüdische Stimme ermöglicht.«