Als Becky bei strömendem Regen auf einem Berg von 2500 Metern Höhe stand, komplett durchnässt und ohne Orientierung, wusste sie, dass dies ein entscheidender Moment in ihrem Leben ist. Sie, die von Genf aufgebrochen war, um über die Alpen bis nach Nizza zu wandern, die eine Pause von Menschen wollte, spürte: Allein schaffe ich das nicht. Eine Erfahrung, die für sie, mit Anfang 20, wegweisend war.
Wenn sie heute, drei Jahre später, ihre Geschichte erzählt, dann spürt sie immer noch die Kälte und die Nässe und erinnert sich mit erleichtertem Blick an die Gruppe britischer Touristen, die – ausgestattet mit einer Landkarte – sie aus der verworrenen Situation rettete.
Und auch ihr Publikum friert mit Becky und ist froh, dass dieses Abenteuer, das die junge Schweizerin in knapp vier Minuten im Storytelling-Workshop erzählt, gut ausgegangen ist.
Führungskräfte Das Publikum, das sind rund 20 junge Erwachsene aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie nehmen an »Next Step« teil, einem Leadership-Programm, das sich bereits seit 2015 an junge, hochqualifizierte jüdische Nachwuchsführungskräfte richtet. Zum zweiten von insgesamt drei Lehrgängen – der erste fand Ende Februar in Wien statt – kamen Anfang dieser Woche die jungen Erwachsenen in Berlin zusammen, um nicht nur ihre Kenntnisse im Bereich Management, Projektentwicklung oder Mediation zu vertiefen, sondern um auch rhetorisch geschult zu werden.
Das Storytelling gehört dazu. Denn ob es sich nun um eine Geschichte, ein Projekt oder einen Vortrag handelt: Alles muss dem Publikum so dargestellt werden, dass es neugierig macht. Davon ist der Storytelling-Coach Lior Shoham überzeugt.
»Ohne Lockerungsübungen gibt es keinen guten Vortrag«, sagt Lior Shoham.
Aber ohne Bewegung, das weiß der Dozent vom Hochschulzentrum IDC in Herzliya aus jahrelanger Erfahrung, geht fast nichts. Deswegen stehen vor den Präsentationen erst einmal Lockerungsübungen an. Hoch die Schultern, runter, mit den Armen wedeln, einatmen, ausatmen, ein breites Grinsen, »so ein richtig übertriebenes«, sagt Shoham, um seine Schüler in beste Vortragslaune zu bringen. Zum Schluss gibt es noch einen kräftigen Applaus, und drei, zwei, eins: Los geht’s!
Humor Vivian ist die Erste. Präzise, mit Humor und viel Offenheit erzählt sie, wie es sich anfühlt, neu im Job zu sein und vielleicht auch nicht immer gleich ernst genommen zu werden. Damit ist sie nicht allein, denn die jungen Erwachsenen, die Lehrer werden wollen, Jura studiert haben oder bereits in einem Unternehmen arbeiten, kennen diese Erfahrung – egal, ob sie aus Berlin, Wien oder Zürich kommen.
Und sie eint ein anderes Thema, dem sich die jüdische Gemeinschaft stellen muss: »Eine Herausforderung, die uns verbindet, ist es, junge Mitglieder für unsere Gemeinde zu gewinnen und/oder sie zu halten«, betont Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann.
»Bei diesem Seminar lag der Schwerpunkt darauf, wie man als Leader ein Team führt«, erläutert Botmann. »Hier hat unser Referent Daniel Neubauer, der bei der Schweizer UBS-Bank für die professionelle Weiterentwicklung von 25.000 MitarbeiterInnen zuständig ist, beeindruckende Methoden aus dem Management-Training angewendet, um den Teilnehmern bestmöglich zu vermitteln, wie sie sich und andere führen können«, fügt Botmann hinzu.
Und: Dani Neubauer stellt auch einen Bezug zur aktuellen politischen Situation her. So diskutierte er beispielsweise die Frage, warum extreme Parteien so erstarken. Seine These: »Es gab in Deutschland in den vergangenen Jahren einen Leadership-freien Raum.« Das Wie und Wann der Vision »Wir schaffen das« wurde den Menschen nicht richtig erklärt. Themen, die die Gruppe interessieren und über die sie miteinander sprechen. »Das Feedback war durchweg positiv«, bewertet Neubauer den ersten Tag des Seminars.
Zur East Side Gallery, ans Brandenburger Tor oder nächtliches Sightseeing – Next Step ist abwechslungsreich.
Daniel Botmann ist mit dem Ergebnis der Veranstaltung zufrieden: »Die Teilnehmer sind mit unterschiedlichen Erwartungen in die Next-Step-Seminare gegangen. Ihnen war es wichtig, einen Mehrwert aus dieser Veranstaltung mitzunehmen. Sie wollten mit mehr Wissen und besserem Handwerk aus dem Seminar herausgehen. Ich denke, dieser Erwartung konnten wir gerecht werden.«
Management Am Anfang stand allerdings etwas Wiederholung. So ging der 39-Jährige auf Fragen wie »Wer bin ich als Führungskraft?«, »Wie coache ich Menschen?«, »Wie gebe ich Feedback?« ein. Sich klarzumachen, wo man hinwill, welche Schritte nötig sind, um ein Team mitzunehmen, und was man in welchem Zeithorizont erreichen kann, gehört zur Grundausstattung, wenn man ein Team anleiten möchte.
Auf die Theorie folgt die Praxis, und die soll bei Next Step auch einen erholenden Effekt haben. Kein Problem in Berlin: Bei blauem Himmel besuchten die Next-Step-Teilnehmer die East Side Gallery, das Brandenburger Tor oder trafen sich zum nächtlichen Sightseeing.
»Next Step ist eine wunderbare Erfindung. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie sofort machen«, sagte Zentralratsvizepräsident Abraham Lehrer. Die Teilnehmer seien die nächste Generation. Und anders als seine Generation, die »viel guten Willen, aber wenig Erfahrung im politischen Bereich« mitgebracht habe, müssen sich die jungen Teilnehmer Techniken eben nicht durch »Learning by doing« aneignen, sondern werden durch Programme wie Next Step auf das Morgen vorbereitet.
Das Gespräch mit der Bundesvorsitzenden der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, war ein besonderes Highlight.
Dass dazu auch gehört, kritische Fragen zu stellen, wurde beim Treffen mit der CDU-Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer deutlich. »Das Gespräch«, sagt Botmann, »war natürlich ein besonderes Highlight des Seminars.« Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben »die Gelegenheit genutzt, Fragen zu stellen, die sie brennend interessiert haben«, unterstreicht Botmann.
Mit dem Gespräch war Boris aus Wien zufrieden. Der studierte Jurist fand es »sehr interessant«. Er hofft, »dass sie ihre Versprechen, wenn sie Bundeskanzlerin werden sollte, hält«. Das Seminar habe ihm vor allem gezeigt, wie wichtig der Austausch untereinander ist. Als Österreicher sei die aktuelle politische Situation im Land, mit einer rechten Partei in der Regierung, ein Problem. In der Schweiz, so hat er im Gespräch mit Teilnehmern erfahren, gebe es diese Probleme nicht.
Dort wird übrigens im November der letzte der drei Seminarblöcke von Next Step stattfinden. Hopp Schwyz, also, wie es in der Instagram-Story des Zentralrats hieß.