Das Münchner Literaturfest widmete der wohl bedeutendsten Philosophin des 20. Jahrhunderts kürzlich eine »Lange Hannah-Arendt-Nacht«. Dazu steuerten die Literaturhandlung und der Piper-Verlag auf der einen sowie dtv auf der anderen Seite mit zwei neuen Büchern im Literaturhaus vor ausverkauften Reihen den aktuellen Aufhänger bei.
Rachel Salamander moderierte ein Gespräch zwischen Marie Luise Knott, durch vorherige Publikationen ausgewiesene Arendt-Kennerin und Mitherausgeberin des Sammelbandes Wir Juden. Schriften 1932 bis 1966, und dem israelischen Soziologen Natan Sznaider. Dieses fing bereits streitbar an – und zwar in der Diskussion über den Titel des Bandes. Warum sollten sich Nichtjuden von einem Buchtitel wie Wir Juden angesprochen fühlen, stand als Frage im Raum. Denn dieser führt in jedem Fall zu einer anderen Wahrnehmung, als es eine Formulierung wie »Über Juden« nahegelegt hätte.
schoa Für Knott war vor allem relevant, dass eine Lücke im deutschsprachigen Schrifttum von Hannah Arendt geschlossen werden konnte. Einige der 21 Texte in dem Sammelband waren bereits bekannt, andere wie »Privilegierte Juden«, im Januar 1946 in »Jewish Social Studies« veröffentlicht, sind erst jetzt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich geworden. Das ist schon deshalb spannend, weil etwa Arendts Reflexion über das Jüdischsein zwischen Paria und Parvenü, Ausgegrenztheit und Dazugehören-Können beziehungsweise -Wollen gerade einmal ein Jahr nach dem Ende der Schoa erschien.
In den Jahren 1949/50 bereiste die Philosophin Deutschland auf der Suche nach sicherungsfähigem jüdischen Kulturgut.
In den Jahren 1949/50 bereiste die Philosophin Deutschland auf der Suche nach sicherungsfähigem jüdischen Kulturgut. Wer wie Arendt Juden als nationales Kollektiv begriff, dem die europäische Emanzipation nicht in jeder Hinsicht Gutes brachte, wer wie sie das Narrativ von Verfolgung und Vorurteil durchbrechen wollte, verdient es, mit frischer Neugier gelesen zu werden.
biografie Dazu gehört dann auch das Medium der Graphic Novel. Dieses wählte der Cartoonist Ken Krimstein, um Die drei Leben der Hannah Arendt im wahrsten Sinne des Wortes nachzuzeichnen. Im Gespräch mit dem Schauspieler und Autor Hanns Zischler, der für die Übersetzung der Bildergeschichte gewonnen wurde, verriet er, was ihm zu Hannah Arendt, »einer wirkmächtigen Ikone des 20. Jahrhunderts«, durch den Kopf ging, nämlich ihre Biografie »einer neuen Generation nahezubringen«.
Er musste drei Lebensabschnitte, ihre Kindheit, ihre Anfänge in Europa und ihr Leben in New York, bildhaft unter einen Hut bringen. Also ein altersloses, doch charakteristisches Gesicht für sie finden, das er nach umfangreichen Recherchen im Passfoto auf einem Bibliotheksausweis von 1939 ausmachte. Mit dunklen Augenbrauen dargestellt und als einzige Figur des Bandes in grüner Farbe gekleidet, funktioniert das überzeugend gut.
Hannah Arendt: »Wir Juden. Schriften 1932 bis 1966«. Zusammengestellt und herausgegeben von Marie Luise Knott und Ursula Ludz. Piper, München 2019, 464 S., 34 €
Ken Krimstein: »Die drei Leben der Hannah Arendt«. Übersetzt von Hanns Zischler. dtv, München 2019, 243 S., 16,90 €