München

Eine wahre Geschichte

Soeben begannen die 15. Jüdischen Filmtage am Jakobsplatz, und wie die aktuellen Ereignisse es offenbar nahelegen, widmen sich die Beiträge des ersten Quartals 2024 zeitgeschichtlichen Themen.

Den Auftakt machte der Spielfilm Irena’s Vow, zu Deutsch Irenas Schwur, der seine Premiere 2023 beim Internationalen Filmfestival in Toronto hatte. Die kanadisch-polnische Koproduktion basiert auf einer wahren Begebenheit, nämlich der Rettung von zwölf Juden, die dank der mutigen, waghalsigen Tat einer 19-jährigen Polin namens Irena Gut anlässlich der Räumung des Ghettos in Tarnopol der Deportation entgingen.

Das Drehbuch zum Film wie auch zum vorher entstandenen Theaterstück basiert auf den Memoiren der Lebensretterin. 1992 erschien die erste Ausgabe unter dem Titel Into the Flames, die der Autorin, einer gläubigen Katholikin, während des USA-Besuchs von Papst Johannes Paul II. 1995 einen päpstlichen Segen einbrachte. 1999 folgte ein weiterer Band, In My Hands, gemeinsam verfasst mit Jennifer Armstrong, der sich über eine Million Mal verkaufte.

»Ich muss den rechten Weg gehen, oder ich wäre nicht länger ich selbst!«

Irena Gut Opdyke

Darin führt Irena Gut Opdyke, wie die Ende der 40er-Jahre nach Amerika ausgewanderte Retterin seit ihrer Eheschließung 1956 hieß, aus, was Irenas Schwur ausmachte: »Ich habe mich nie gefragt: Soll ich es tun? Immer nur: Wie schaffe ich es? Jeder Schritt meiner Kindheit hatte mich zu dieser Weggabelung gebracht: Ich muss den rechten Weg gehen, oder ich wäre nicht länger ich selbst!«

Traumatische Erfahrungen

Sie hatte etliche traumatische Erfahrungen: nach Kriegsausbruch als Pflegerin in einem Lazarett verwundeter polnischer Soldaten, Vergewaltigung durch russische Soldaten, Zwangsarbeit in einer deutschen Munitionsfabrik. Ein Schlüsselerlebnis übertraf alles. Sie musste zusehen, wie ein SS-Mann auf offener Straße einer Mutter das Kind entriss und erst den Säugling und dann die Frau ermordete. Danach gab es für sie kein Halten mehr, Unglaubliches zu unternehmen, um am Ende – noch dazu mit tatkräftiger Unterstützung eines deutschen Wehrmachtsoffiziers – zwölf Jüdinnen und Juden das Leben zu retten.

Dazu lief 2008 ein Bühnenstück off-Broadway mit der Schauspielerin Tovah Feldshuh, bekannt aus dem Vierteiler Holocaust (1979), zahlreichen TV-Serien und zuletzt dem Kinofilm Armageddon (Zeiten des Umbruchs, 2022), einer jüdischen Familiengeschichte nach den Memoiren des Regisseurs James Gray. Und zwar so erfolgreich, dass es am 29. März 2009 darüber hinaus noch die Premiere am Broadway und die Aufführung in Lincoln/England schaffte. Solche sachdienlichen Angaben hatte Ellen Presser vom veranstaltenden IKG-Kulturzentrum der Europa-Premiere des Films in englischer Sprache vorangestellt.

An den Premieren des Theaterstücks in New York und Lincoln sowie des Films in Toronto und später in Los Angeles – beide Formate nach Drehbüchern von Dan Gordon – hatte Roman Haller aus München teilgenommen. Er kam selbstverständlich auch zur Europa-Premiere ins Jüdische Gemeindezentrum am Jakobsplatz. Der 79-Jährige ist der letzte Überlebende der Gruppe der von Irena Gut und Major Eduard Rügemer geretteten Juden, präzise gesagt der 13. von ihnen. Er wurde in den Tagen zwischen dem 7. und 10. Mai 1944 – genauer ließ sich der Zeitpunkt nachträglich nicht bestimmen – im letzten Versteck, einem Bunker in einem Waldstück außerhalb Tarnopols, geboren.

Irena Gut Opdyke wurde 1982 von Yad Vashem als »Gerechte unter den Völkern« geehrt.

Ellen Presser befragte Roman Haller, der kein Zeitzeuge, sondern Überlebender der sogenannten Ersten Generation ist. Eigentlich war er chancenlos; die Gruppe diskutierte sogar – aus Angst vor den Deutschen –, ob das Baby zum Schutz der Gruppe nicht erdrosselt werden sollte. Mehr als 90 Prozent des Films hält Haller für tatsachengetreu, nur der Anteil, den der deutsche Major an der Rettungsaktion habe, komme seiner Auffassung nach in Irenaʼs Vow zu kurz.

Adoptiv-Sejde für Roman Haller

Irena Gut Opdyke, die Haller Anfang der 80er-Jahre mit der Unterstützung eines Rabbiners ausfindig machen konnte und in München besuchte, wurde 1982 von Yad Vashem als »Gerechte unter den Völkern« ausgezeichnet, Major Eduard Rügemer erst 2012 posthum. Ida und Lazar Haller hatten ihre Retter umgehend nach Kriegsende gesucht, Rügemer, der schon in den 50er-Jahren starb, gefunden und zeitweise bei sich aufgenommen. Für Haller junior wurde er zum geliebten Adoptiv-Sejde (Jiddisch für Opa).

Seitdem Roman Haller, der von 2006 bis 2022 Direktor der Nachfolgeorganisation der Claims Conference war, im Ruhestand ist, geht er in Bildungseinrichtungen aller Art, um über die NS-Zeit zu sprechen. Auch Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, war bei der Vorführung von Irena’s Vow, dem man zügige deutsche Synchronisation wünscht, anwesend. Sie kannte die Eltern Haller, die bald nach ihrer Ankunft im DP-Lager Freimann ein Teil der Münchner Kehilla wurden und ihre Auswanderungspläne nicht mehr in die Tat umsetzten.

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