Lebhaft diskutiert das Publikum über die Lesung von Bozena Keffs Ein Stück über Mutter und Vaterland. Es ist Halbzeit bei der Jüdischen Musik- und Theaterwoche Dresden. Das Buch der polnischen Autorin hat es in sich: Es ist eine persönliche und bitterböse Abrechnung der Tochter einer Schoa-Überlebenden mit ihrer Mutter und mit ihrem Vaterland Polen. Das Thema passte perfekt zum diesjährigen Schwerpunkt »Nachbarn im Osten« des jüdischen Kulturfestivals. Die Autorin selbst war erkrankt, doch Michael Zgodzaj, der Keffs Stück ins Deutsche übersetzt hat, gelang es, dem Publikum den brisanten Text näherzubringen.
Bozena Keff, 1948 in Warschau geboren, hat in ihrer Heimat einen Namen als Dichterin, Literaturwissenschaftlerin, Filmkritikerin, Publizistin und Universitätsdozentin. Als sie 2008 in Polen Ein Stück über Mutter und Vaterland veröffentlichte, platzte sie damit mitten in die Diskussion über ein Tabuthema: Antisemitismus in Polen.
Debatte Ausgelöst hatte die Debatte vor allem der Wissenschaftler Jan Tomasz Gross mit seinen Büchern über Verbrechen an Juden, die durch Polen verübt wurden. In ihrem Stück zitiert und ironisiert Keff antisemitische Klischees ihres Heimatlandes »bis es wehtut«, wie Michael Zgodzaj sagt.
Wie schmerzhaft die Auseinandersetzung der Polen als Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands mit eigenen Verbrechen gegen jüdische Nachbarn immer noch ist, machte die Diskussion in Dresden deutlich. Jadwiga Schöne von der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Sachsen nannte Polen ein »sehr tolerantes Land« und wollte den Vorwurf des Antisemitismus nicht stehen lassen.
Dass Opfer von Gewalt und Krieg aber nicht immer automatisch die besseren Menschen sind, macht Keffs Buch vor allem anhand der Auseinandersetzung der Erzählerin mit ihrer Mutter deutlich. Die Mutter, die vor den Nazis gerade noch fliehen konnte, aber ihre Familie durch den Holocaust verlor, quält die Tochter mit ihren Klagen in Endlosschleife und ihrem Anspruch auf permanente Aufmerksamkeit. Der Tochter kommt die Mutter wie ein Vampir vor, der sie aussaugt und ihr kein eigenes Leben lässt: »Ich habe nichts, was wirklich mir gehört.«
Blasphemie Keff wagt die doppelte Blasphemie: Zum einen greift sie den Egoismus der Schoa-Überlebenden an, die ihr Trauma an die nächste Generation weitergeben und sie mit dieser Bürde allein lassen. Keff knüpft damit an Art Spiegelmans Maus-Comic an, der ebenfalls das schwierige Verhältnis der Überlebenden und ihrer Nachkommen in den Fokus rückt. Zusätzlich demontiert Keff das traditionelle Bild der liebenden, fürsorglichen Mutter, das vor allem in der polnischen Gesellschaft nach wie vor gepflegt wird. In ihrem Stück ist die Mutter ein sadistisches Ungeheuer. Ein Opfer, das die Tochter zu seinem Opfer macht.
Keine leichte Kost, die Bozena Keff in ihr Stück mit mythologischen Anklängen und einem Chor wie in der griechischen Tragödie gepackt hat. Was der polnische Theaterregisseur Jan Klata aus Keffs autotherapeutischem Stück gemacht hat, war im Rahmen der Jüdischen Musik- und Theaterwoche Dresden als Deutschlandpremiere mit dem Teatr Polski Wroclaw zwei Tage später im Kleinen Haus des Staatsschauspiels ebenfalls zu sehen.