Als Naftali Bennett im Juni 2021 das Amt des Ministerpräsidenten antrat, herrschte in Israel eine krisenhafte Lage, die, obwohl nur drei Jahre zurückliegend, mit der heutigen Situation nichts mehr gemein hat. Vorausgegangen war damals die vierte vorgezogene Neuwahl innerhalb von nicht einmal zwei Jahren.
Das Parlament befand sich in einer Pattsituation, in der weder Benjamin Netanjahu noch Yair Lapid mit ihren Parteienbündnissen eine absolute Mehrheit erreichen konnten.
Die Folge: Bennett und seine rechts von Netanjahu stehende Partei Yamina fanden sich trotz eines bescheidenen Wahlergebnisses mit nur sieben von 120 Sitzen in der bemerkenswerten Rolle wieder, die Regierungsbildung entscheidend zu beeinflussen. In einem historischen Schritt wandte sich Bennett gegen seinen ehemaligen Regierungspartner Netanjahu und bildete entgegen vorheriger Zusagen eine breite Koalition, die erstmals sogar eine arabische Partei an einer israelischen Regierung beteiligte.
»Es braucht jetzt wieder eine solche Regierung, eine Rechte wie Linke, Religiöse wie Säkulare umfassende Regierung«, erklärte Bennett kürzlich in einem Gespräch mit Guy Katz im Jüdischen Gemeindezentrum am Jakobsplatz. Entscheidend sei, so Bennett, die künstliche Spaltung der israelischen Gesellschaft durch ein neues Einheitsbewusstsein zu ersetzen.
Gerade die starke junge Generation in Israel mache ihm Hoffnung, so Bennett
Die Spendenorganisation Keren Hayesod hatte in Kooperation mit der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern zu dem Gespräch eingeladen. Grußworte hielten an diesem Abend im bis auf den letzten Platz gefüllten Hubert-Burda-Saal der World Chairman der Organisation, Sam Grundwerg, und der Vorsitzende der Münchner Sektion, Amir Borenstein. Im Publikum befanden sich neben IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, Vizepräsident Yehoshua Chmiel und die israelische Vizekonsulin Kasa Bainesai-Harbor sowie der neue US-Generalkonsul James Miller bei einem seiner ersten offiziellen Termine in München.
Im Gegensatz zu den aktuellen Parteivorsitzenden der Knesset und insbesondere zu Ministerpräsident Netanjahu erreicht Bennett in Umfragen derzeit hohe Beliebtheitswerte. Eigentlich hatte er sich 2022 aus der Politik zurückgezogen. Auch an diesem Abend wich er Fragen rund um ein mögliches Comeback aus. Daran, dass es seiner Meinung nach in Israel einen Politikwechsel brauche, ließ er indes keinen Zweifel. Insbesondere kritisierte er die aktuelle Kriegsführung: »Eine funktionierende Strategie für Israel war immer der kurze Krieg mit hoher Intensität. Die aktuelle Strategie ist einer von geringer Intensität und sehr langer Dauer. Das erschöpft das Land und beschädigt Israels Ansehen in der Welt.« Entweder müssten die Geiseln militärisch befreit oder aber ein Deal erreicht werden, auch wenn dies auf kurze Sicht als Niederlage interpretiert werden könnte.
Im Kampf gegen den Antisemitismus gelte es unterdessen, standhaft zu bleiben
Nachdrücklich betonte Bennett, dass in kontroversen politischen Fragen Einheit durch pragmatische Lösungen hergestellt werden könne. So lehne er einen palästinensischen Staat zwar weiterhin ab, für eine Regierungsbildung habe er selbst aber auch Partner berücksichtigt, die eine solche Lösung befürworteten. Ziel müsse sein, so Bennett, »die Spannungen mit den Palästinensern zu reduzieren und ihre Würde und Autonomie zu verbessern, ohne dabei unsere Sicherheit aufzugeben«.
Diese Diskussion müsse angesichts des Krieges aber eindeutig vertagt werden. Auch mit Blick auf den Streit um die Justizreform, die das Land in der ersten Jahreshälfte 2023 heftig aufgewühlt hatte, erklärte Bennett, es sei »ein einfacher Kompromiss zu erreichen«.
Die Spaltung der israelischen Gesellschaft hingegen habe das Land geschwächt. Es sei deshalb kein Zufall gewesen, dass die Hamas diese Schwäche für ihren terroristischen Angriff ausnutzen konnte. Im 7. Oktober erkannte Bennett dementsprechend einen »Totalausfall des Staates« und forderte, dies auch anzuerkennen: »Wir müssen ehrlich sein und sagen, dass wir hier völlig versagt haben.« Das Trauma in der Bevölkerung sitze tief, die Menschen hätten Angst. »Sie fragen sich ernsthaft, ob es Israel in Zukunft noch geben wird.« In eine ähnliche Kerbe hatte zuvor bereits der World Chairman des Keren Hayesod, Sam Grundwerg, geschlagen und in seinem Grußwort betont, dass die zahlreichen Traumata in der israelischen Gesellschaft auf lange Sicht auch politisch negative Folgen für das Land haben könnten.
Trotz alledem zeigte Naftali Bennett sich an diesem Abend im Ton optimistisch und positiv und verwies unter anderem auf die große Hilfsbereitschaft der israelischen Bevölkerung angesichts des Terrors. Gerade die junge Generation in Israel mache ihm Hoffnung für die Zukunft; wörtlich sprach er von der »stärksten Generation, die das Land je hatte«.
Von der Münchner Gemeinde zeigte sich der prominente Gast beeindruckt
Für die künftigen wirtschaftlichen Entwicklungen, deren Zentrum Bennett vor allem in der künstlichen Intelligenz sieht, seien die jungen Menschen bestens gewappnet. Im Kampf gegen Antisemitismus gelte es unterdessen, standhaft zu bleiben: »Entschuldige dich niemals dafür, dass du jüdisch bist.« Hauptprobleme seien hier der radikale Islam auf der einen und die radikale Linke auf der anderen Seite. Von der Münchner Gemeinde zeigte sich der prominente Gast beeindruckt und betonte, gerade die lebendigen jüdischen Gemeinden außerhalb Israels bewiesen ohne jeden Zweifel, dass »wir eine starke Gemeinschaft sind«.