Herr Schramm, die UNESCO hat die jüdischen Stätten des Mittelalters in Erfurt als neues Weltkulturerbe ausgezeichnet. Wie haben Sie die Entscheidung am zweiten Tag von Rosch Haschana erlebt?
Ich kam gerade aus Kanada zurück, hatte mich zuvor übers Internet bei der Trauerfeier für meine verstorbene Freundin aus Ungarn, die Auschwitz-Überlebende Éva Fahidi-Pusztai, zugeschaltet. Dann bin ich schnell zu der Veranstaltung im Rathaus in Erfurt aufgebrochen. Und ich muss sagen, es hat mich sehr beeindruckt, weil der Saal voller Menschen war. Und dann kam die Nachricht. Erfurt freut sich sehr.
Nach den SchUM-Städten gibt es nun ein weiteres jüdisches Weltkulturerbe in Deutschland. Hatten Sie damit gerechnet?
Gehofft hatte ich es auf jeden Fall. Ich finde, man könnte etwas großzügiger mit dem Lob sein, dass es wahr geworden ist. Vor allem für die, die sich unermüdlich dafür eingesetzt haben. Es ist ja schon toll, dass zweimal hintereinander jüdisch-mittelalterliches Erbe aus Deutschland ausgezeichnet wurde. Ich hätte mir auch vorstellen können, dass das UNESCO-Komitee der Meinung ist, dass einmal ein anderes Land an der Reihe sein könnte. Es ist sehr angenehm, dass unsere Bewerbung zum Erfolg geführt hat. Vielleicht könnte man auch einmal den muslimischen Ländern, die im Komitee sitzen, »Danke« sagen, dass sie für uns gestimmt haben.
Welche Auswirkung hat die Ehrung?
Generell bedeutet die Auszeichnung auch eine Stärkung des Selbstbewusstseins unserer Gemeinde. Der erste praktische Schritt wird sein, dass wir versuchen, Einfluss zu nehmen. Gemeinsam mit der Stadt werden wir an einem Tisch sitzen, beispielsweise beim geplanten UNESCO-Dokumentationszentrum im Stadtzentrum. Wir möchten, dass es einen Brückenschlag zwischen der jüdischen Geschichte der vergangenen 900 Jahre in Thüringen bis heute gibt. Das heißt auch, dass wir nicht nur Mittelalter abbilden, sondern jüdisches Leben von heute.
Wie könnte das aussehen?
Ich denke da an ein koscheres Restaurant und an einen Saal, wo wir auch Teile unseres jüdischen Festivals durchführen können. Wir haben ja ein sehr gutes Verhältnis zur Stadt Erfurt. Die ersten Gespräche wird es in den nächsten Monaten über die Struktur des Zentrums geben. Wir brauchen einen Akzent, der die jüdische Geschichte von der ersten Stunde bis heute abbildet.
Wird Erfurt durch die internationale Ehrung noch interessanter für Juden?
Auf jeden Fall. Und sie wird uns helfen, unseren jüdischen Kindergarten aufzubauen. Die Atmosphäre, die in Erfurt und Thüringen ohnehin gut ist, wird sich noch weiter verbessern. Viele unserer Mitglieder kommen aus der Sowjetunion, einige aus Israel und den USA. Viele Westdeutsche wissen nicht, dass die Lage für Thüringer Juden besser ist als in manchen Alt-Bundesländern.
Mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen sprach Christine Schmitt.