Eine bewegende Begegnung mit der Vergangenheit: Die Schule, die Ralph Giordano 1940 verlassen musste, weil er Jude ist, ehrt ihn mit einer Feierstunde, einen Tag nach seinem 90. Geburtstag. »Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück«, singt der Schulchor. Und Giordano bekennt, sichtlich bewegt, dass es keinen Ort gebe, an dem er an diesen Tag lieber sein wolle, »als hier in der Aula meiner alten Schule«.
Rund 200 Gäste – Freunde, Kollegen, Lehrer und Schüler – sind am Donnerstagmittag der Einladung der Gelehrtenschule des Johanneums, des Vereins »Bertini-Preis« und der Hamburger Autorenvereinigung gefolgt.
Autorenvereinigung Im Namen der Autoren sagt Peter Schmidt, wie stolz seine Hamburger Kollegen auf den Mann seien, den sie als »moralische Instanz« betrachteten. Man wünsche sich, auch in Zukunft seine »mahnende Stimme zum Erhalt der zivilisatorischen Errungenschaften« vernehmen zu können. Giordano habe ein beispielloses Werk geschaffen. Schmidt nannte ihn »einen Kämpfer der Verteidigung unserer Kultur und der Aussicht auf eine bessere Zukunft«.
Giordanos Freund, der Schriftsteller Günter Kunert, ist wegen einer Grippe nicht ins Johanneum gekommen. Seine Festrede wird verlesen. Für ihn ist Giordano einer der Aufklärer, die »in unserem moralisch beschädigten Land« unbedingt nötig seien. Der Zwang, Zeugnis ablegen zu müssen, schaffe die Motivation. Er kenne keinen, der kompromissloser dachte und agierte, stellt Kunert fest. Mit seinem Werk habe es Giordano geschafft, Leser und Zuschauer »in die Lage der Verfolgten mit einzubeziehen« und ihnen damit eine Ahnung und ein Mitempfinden zu ermöglichen.
Bertinis Genau dieses Mitempfinden ermöglicht Giordano auch an diesem Tag in der Aula im ersten Stockwerk des altehrwürdigen Gymnasiums im Hamburger Stadtteil Winterhude. Er liest ein Kapitel aus Die Bertinis, seinem 1982 veröffentlichten autobiografischen Erfolgsroman.
Er berichtet, wie ihm als 15-jährigen Jungen klar wurde, dass er nur deshalb verfolgt wurde, »weil er Sohn einer jüdischen Mutter war«. Er erzählt vom »täglichen Traum eines bösen Willens« und wie er 1940 die Schule verlassen musste. Giordano schildert Verhaftung, Misshandlung, die Flucht in ein rattenverseuchtes Verlies im Hamburger Norden. Im Keller eines Alsterdorfer Hauses erlebte die Familie den Tag der Befreiung, den 4. Mai 1945.
Lange habe es danach gedauert, so Giordano, bis er sich den Anblick den Johanneums wieder zugemutet habe. 1985 stand er dann erstmals wieder vor dem schmiedeeisernen Gitter und habe das Schulgebäude schließich wieder betreten. Seitdem ist er mehrfach hierher zurückgekehrt. Einmal zum 50. Jubiläum der Abiturklasse 1941, einem bewegenden Wiedersehen. Auch war er hier bei der Verleihung des Bertini-Preises, der seit 1998 an junge Menschen geht, die couragiert gegen Gewalt und Ausgrenzung eintreten.
Demokratie Dennoch frage er sich, ob er noch einmal hierher zurückkommen werde. Deshalb sei es ihm wichtig, sagt er an die Schüler gewandt, noch so etwas wie sein politisches Testament zu übergeben: »Verteidigt die Demokratie, verteidigt den Rechtsstaat«, fordert er die jungen Leute auf.
Der demokratische Verfassungsstaat sei sein Elixier, etwas ganz Kostbares. Wer die Demokratie attackiere, bekomme es mit ihm zu tun. Den Nazis, Unbelehrbaren und Gotteskriegern solle überall der Kampf angesagt werden, wo man auf sie stoße, gibt sich Giordano nochmals gewohnt kämpferisch. Und ganz zum Schluss ruft der 90-Jährige von der Schulbühne: »Es lebe das nazifreie Deutschland, es lebe die Demokratie, es lebe unser geliebtes Hamburg, es lebe das Johanneum!«