Die grünen Luftballons an der Straße weisen den Weg. Und so findet man auch auf Anhieb die Berliner Jugendfreizeiteinrichtung Düppel, die etwas abseits liegt. Die Musik von Boris Rosenthal und die vielen Stimmen dringen nach draußen. Es ist Mitzvah Day, der Tag der guten Tat, und der Zentralrat der Juden in Deutschland hat in Berlin zu einer besonderen Aktion eingeladen: Muslime und Juden backen in der Jugendfreizeiteinrichtung Weihnachtsplätzchen, die später durch die »Berliner Tafel« verteilt werden.
Louisa hat sich gerade ein grünes T-Shirt übergezogen. »Nun bin ich Macherin, denn das steht hier drauf«, sagt die Zehnjährige und zeigt auf die Schrift. Sie setzt sich zu den anderen Mädchen, rollt den Keksteig aus und sticht einen Stern aus, den sie vorsichtig aufs Backblech hebt. »Ich freue mich auf den Tag«, sagt sie. Louisa ist die Tochter einer Mitarbeiterin der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA).
PIZZA Es wird tatsächlich ein Tag der interkulturellen Begegnung: Neben Louisa sitzen Töchter der Mitarbeiterinnen des Jugendamtes Steglitz-Zehlendorf. Und auch ein Neunjähriger, Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, möchte mithelfen. Durch alle Räume laufen Kinder, tanzen zur Musik der israelisch-iranischen Band »Sistanagila«, dekorieren Weihnachtsplätzchen oder helfen beim Pizzabacken.
Viele der Kinder, die durch die Räume der Einrichtung laufen oder Kekse ausstechen, stammen aus Familien, die aus Syrien geflüchtet sind, und leben in der wenige Meter entfernten Unterkunft. Andere kommen aus der Nachbarschaft. Wiederum andere sind zum ersten Mal hier, weil die Mitarbeiter des Zentralrats, der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus und des Jugendamts sie mitgebracht haben.
Bundesweit organisieren jüdische Gruppen kleine und große Hilfsprogramme oder Projekte, um sich für ein gesellschaftliches Miteinander einzusetzen. »Das ist ein wichtiges Signal«, sagt Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats, während auch er lachend Kekse aussticht. »Ist der Teig zu dick?«, fragt er seinen Nachbarn, Aycan Demirel, der gelassen abwinkt. Auch Demirel und sein Kollege Dervis Hizarci von der KIgA kneten Plätzchenteig.
KEKSE In Dutzenden von Tütchen verpackt, werden die mit buntem Zuckerguss versehenen Kekse am Montag freudige Abnehmer finden. Mitarbeiter von »Laib und Seele« wollen die Weihnachtsplätzchen an Kunden der Berliner Tafel verteilen, sagt Tafel-Gründerin Sabine Werth, die in Düppel auch selbst mit im Einsatz ist. Die Kekse sollen in einer Kirche in Berlin-Gropiusstadt verteilt werden.
»Als wir vom Mitzvah Day hörten, waren wir sofort begeistert, und uns war klar, dass wir mit von der Partie sein werden«, sagt Tanya d’Agostino vom Jugendamt. Denn Gespräche und Essen brächten Menschen immer zusammen. Die Idee sei auch bei ihren Mitarbeitern auf Rückhalt gestoßen: »Solche Projekte fördern den Zusammenhalt.« Die Mitarbeiterin des Jugendamtes erinnert daran, dass von 1946 bis 1948 an diesem Ort das DP-Camp Schlachtensee (»Düppel Center«) stand. »Und nun findet jüdisches Leben in einer normalen Jugendeinrichtung statt«, freut sie sich.
Die mit buntem Zuckerguss
versehenen Kekse finden
freudige Abnehmer.
Über den Tag verteilt kommen fast 100 Interessierte. Am frühen Nachmittag lassen Kinder und Erwachsene grüne Luftballons – mit ihren Wünschen beschriftet – in den Himmel aufsteigen. Während die Jüngeren sich eher Lego und Tablets wünschen, haben die meisten Erwachsenen nur einen Wunsch: »Frieden«.
Wie der Zentralrat der Juden am Sonntag mitteilte, haben sich bundesweit am Mitzvah Day in ganz Deutschland jüdische Gruppen mit rund 120 sozialen Projekten engagiert. Daneben gab es in zahlreichen Städten Aktionen für Senioren, mit behinderten Menschen, für die Umwelt oder für andere bedürftige Menschen.
Zentralratspräsident Josef Schuster sagte: »Beim Mitzvah Day finden zunehmend interreligiöse und interkulturelle Begegnungen statt. Dadurch stärken wir auf doppelte Weise unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt: Wir helfen bedürftigen Menschen, und wir überwinden Vorurteile zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Das ist eine Investition in die Zukunft.« Der Zentralrat der Juden koordiniert den bundesweiten Mitzvah Day seit sechs Jahren und unterstützt Gemeinden und Gruppen in der Vorbereitung ihrer Projekte. Das hebräische Wort »Mitzvah« bedeutet »Gebot« und umgangssprachlich »gute Tat«.
JUTETASCHEN Während manche jüdischen Gemeinden sogenannte Spaßtage anboten, besuchten viele Kinder und Jugendliche Senioren im Altersheim und gingen für sie einkaufen, bastelten verschiedene Kleinigkeiten für sie und verbrachten ein paar Stunden mit ihnen – die Projekte zeigen wieder einmal die Vielfalt der Gemeinden.
Ebenfalls besonders engagiert sind die Schüler der jüdischen Grundschulen. »Die letzte Woche hat ganz im Zeichen des Mitzvah Day gestanden«, sagt beispielsweise Nurith Schönfeld, Religionslehrerin an der Lichtigfeld-Schule in Frankfurt. Jede Klasse arbeitete an einem Projekt. 38 fünf- und sechsjährige Schüler bemalten beispielsweise Jutetaschen und boten diese am Freitag in einem Supermarkt den Kunden an – damit sie auf die Plastiktüte verzichten. Sie ernteten ein Lächeln für ihren Einsatz, denn die Kunden fühlten sich ertappt, dass sie wieder den Einkaufsbeutel vergessen hatten, und lobten die Aktion der Schüler.
Ältere Schüler zweier Klassen verbrachten den Tag auf der Sindlinger Glückswiese, einem Tierhof. Sie versorgten die Tiere, schippten den Mist auf den Wagen und halfen, den Hof winterfest zu machen. Auch mussten sie sich um eine Gänseschar kümmern, die von dem vorherigen Besitzer für den Gänsebraten am St.-Martins-Tag gedacht war und nun munter über die Wiese laufen konnte. »Ich habe den Müll aufgesammelt, damit die Tiere ihn nicht fressen«, sagt die zwölfjährige Chedwa. Auch das Ausmisten habe ihr Spaß gemacht – und die gemeinsame Arbeit. »Der Tierhof braucht Hilfe – also helfe ich«, bringt sie es auf den Punkt. »Sie können gerne mit viel mehr Klassen kommen, wir haben immer viel zu tun und brauchen jeden«, sagt die Inhaberin der Sindlinger Glückswiese, Isabell Müller-Germann.
Die vielfältigen Projekte
fördern den Zusammenhalt.
In Rostock zogen sich unter anderem Mitglieder der Gemeinde, von Makkabi und der Zweigstelle der ZWST in Mecklenburg-Vorpommern die grünen T-Shirts über, legten Schürzen an und zogen auf den jüdischen Friedhof im Lindenpark. Zwei Stunden lang säuberten sie die Grabsteine mit Wasser und Bürsten. »Unser Ziel war es, die Inschriften auf den Steinen lesbar zu machen, denn durch das feuchte Klima bilden sich immer rasch Moose und Flechten«, so Ilona Jerjomin von der Gemeinde. Der Friedhof werde häufiger von Einheimischen und Touristen besucht, da dort etliche prominente Juden begraben sind, nach deren Grabstellen häufig gefragt wird.
Ebenso lud die Jüdische Gemeinde in Erfurt zu einer Friedhofsaktion ein. »Ich war angenehm überrascht«, sagt Rabbiner Alexander Nachama. Gemeinsam mit einigen Gemeindemitgliedern konnte der Friedhof vom Laub befreit werden.
Besonderen Besuch von einer benachbarten Schule bekam die Yitzhak-Rabin-Schule in Düsseldorf: Es kamen blinde Gäste. Die Zweitklässler hatten sich mit ihrer Lehrerin Louisa Leuchtenberg überlegt, ihnen von ihrem jüdischen Leben zu berichten. Jeweils zwei Kinder kümmerten sich um einen blinden Schüler. Im Mittelpunkt stand der Schabbat. Warum er gefeiert wird, welche Rituale es gibt, wann die Kippa getragen wird. Gemeinsam wurden später Challot gebacken.
DANKESBRIEFE Für den fünfjährigen Daniel, der an einer Muskelschwäche erkrankt ist, haben die Kids des Jugendzentrums Mannheim eine Aktion auf die Beine gestellt: Sie stellten Sparschweine fürs Kupfergeld auf und hofften, dass genügend Geld zusammenkommt, damit die Familie für ihren Sohn ein dringend benötigtes Hilfsmittel finanzieren kann.
Die Mitarbeiter der Berufsfeuerwehr Pforzheim freuten sich, als am Sonntag neun Kinder zwischen vier und zwölf Jahren bei ihnen klingelten und ihre Dankesbriefe abgeben wollten. Diese hatten sie zuvor geschrieben und bemalt. »Wir wollten einfach einmal Danke sagen – für die Arbeit, dass Sie für uns Ihr Leben aufs Spiel setzen«, meint Alon Dattner, der die Jugendgruppe der Jüdischen Gemeinde Pforzheim betreut. Die Feuerwehr dankte es wiederum den Kindern und lud sie spontan zu einer Führung ein. »Im nächsten Jahr wollen wir auf jeden Fall wieder etwas auf die Beine stellen.«
Die Mitglieder des Verbandes Jüdischer Studierender Nord (VJSN) hatten sich etwas ganz anderes ausgedacht. Im vergangenen Jahr hatten sie für krebskranke Kinder gesammelt, nun stellten sie im Netz »Versteckte Helden« vor. »Das Feedback war gut«, berichtet Rafael Kune, Präsident des Verbandes. Ein Held sei für sie beispielsweise Frank Bökamp, der sich gegen Antisemitismus engagiert und bereits 20 Reisen nach Israel für Nichtjuden organisiert hat, damit andere das Land kennenlernen. Oder Manuela Koska, die sich – obwohl nichtjüdisch – in der Sonntagsschule und in der Jüdischen Gemeinde in Schwerin engagiert. »Sie kommen in den Medien nicht vor, das wollten wir ändern«, sagt Kune.