Die Coronavirus-Pandemie zwingt die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten auch im kommenden Jahr zu tiefgreifenden Umplanungen. Die Gedenkfeiern zum 76. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück 2021 werden nahezu ausschließlich als digitale Veranstaltungen geplant.
Herr Drecoll, die Coronavirus-Pandemie hat auch die Gedenkstätten getroffen. Welche Folgen hatte das bisher für Besucherzahlen, Ausstellungen, andere Projekte?
Die Pandemie hat auch für die Gedenkstätten tiefgreifende Folgen, die von zeitweisen Schließungen, der Absage von Veranstaltungen und Ausstellungen bis zum weit verbreiteten Arbeiten im Homeoffice reichen. Gleich im Frühjahr mussten wir die umfangreichen Veranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung, zu denen auch zahlreiche Überlebende aus aller Welt anreisen sollten, kurzfristig absagen und ein Alternativprogramm entwickeln, das online stattfand. Das war eine große Herausforderung, für die wir im Ergebnis viel Zuspruch bekommen haben. Die aus diesem Anlass geplante Ausstellung Bruchstücke ’45 mussten wir komplett verschieben. Jetzt ist auch der neue Eröffnungstermin am 24. Januar wieder fraglich. Die Besucherzahlen sind aufgrund der Schließungen und Reiseeinschränkungen gegenüber 2019 deutlich gesunken, in Sachsenhausen von 700.000 auf rund 145.000. Wir haben digitale Angebote geschaffen und vor allem unsere Social-Media-Aktivitäten enorm verstärkt. Dabei hat sich gezeigt, dass wir im Bereich der Digitalisierung sowohl bei der Ausstattung als auch beim Personal erhebliche Defizite haben. Ganz unabhängig von der Pandemie sind jetzt zwei Projekte angelaufen, die hier teilweise Abhilfe schaffen. Zum einen handelt es sich um die Digitalisierung von Sammlungsbeständen, die später auch im Internet verfügbar sein werden. Zum anderen beschäftigen wir uns mit der Frage, welche virtuellen Medien für eine nachhaltige Vermittlungsarbeit in Gedenkstätten angemessen und geeignet sind.
Wie wollen Sie 2021 den 76. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager begehen?
Nachdem wir zunächst gehofft hatten, die abgesagten Veranstaltungen des 75. Jahrestages gemeinsam mit den Überlebenden und ihren Angehörigen 2021 nachholen zu können, sind wir jetzt dabei, auch den 76. Jahrestag als nahezu ausschließlich digitale Veranstaltung zu planen. Vor Ort sollen lediglich Gedenkveranstaltungen im kleineren Kreis stattfinden, die gestreamt werden. Andere Veranstaltungen wie Zeitzeugengespräche, Diskussionsrunden oder ein Konzert mit dem »Moka Efti Orchestra«, bei dem unter anderem Lagerlieder aus Sachsenhausen erklingen werden, sollen online stattfinden.
Wie gehen die Überlebenden mit den erzwungenen Einschränkungen beim Gedenken um?
Für viele Überlebende war die Absage der Veranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung eine große Enttäuschung. Dies wird sich mit Blick auf das Jahr 2021 vermutlich wiederholen, zumal es die letzte Gelegenheit sein könnte, den Ort, der das Leben dieser Menschen so tief geprägt hat, nochmals zu besuchen.
Welche Vorhaben will die Stiftung nach derzeitigem Stand 2021 umsetzen?
Neben dem Jahrestag ist vor allem die bereits erwähnte Ausstellung Bruchstücke ’45 zu nennen, an der fünf Gedenkstätten der Stiftung beteiligt sind. Nach der Präsentation in der Gedenkstätte Sachsenhausen soll sie ab Mai im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam zu sehen sein. Zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten und weiteren Partnern wird im Mai ein internationales Symposion zum Thema »Geschichte und Erinnerung der nationalsozialistischen Konzentrationslager« stattfinden. Zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion planen wir in Sachsenhausen mit verschiedenen Partnern für Juni eine wissenschaftliche Konferenz. Im August soll die im letzten Jahr verschobene Konferenz zur Zukunft der Erinnerungs- und Vermittlungsarbeit zu den sowjetischen Speziallagern nachgeholt werden. In Ravensbrück stehen die Sommeruniversität und ein Kolloquium zum Thema »Was ist Gedenken?«, das ursprünglich im Oktober zum Abschied von Insa Eschebach stattfinden sollte, auf dem Programm. In Brandenburg an der Havel soll die Gesprächsreihe zum Strafvollzug in Geschichte und Gegenwart fortgesetzt werden. Im Rahmen der BKM-Förderlinie »Jugend erinnert« werden in den Gedenkstätten Sachsenhausen, Ravensbrück und Brandenburg neue pädagogische Projekte entwickelt, die vor allem auf partizipative Formate setzen. In Sachsenhausen und Ravensbrück wird die Arbeit an den Zielplanungen fortgesetzt, die die konzeptionelle und bauliche Weiterentwicklung der Gedenkstätten festschreiben.
Sie haben sich vor einem Jahr dafür ausgesprochen, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus zum bundesweiten Feiertag zu machen, die Schoa-Überlebende Esther Bejarano hat eine Petition für einen solchen Feiertag gestartet, die von mehr als 120.000 Menschen unterstützt wird. Den Feiertag gibt es trotzdem noch nicht. Hoffen Sie, dass der Feiertag doch noch kommt?
Ich würde dies nach wie vor für ein starkes erinnerungskulturelles Signal halten, das unserem demokratischen und menschenrechtsbasierten Gemeinwesen guttäte. Derzeit sehe ich jedoch keine Anzeichen, dass der Feiertag kommen wird. Das Grundgesetz ist in seinem Verständnis von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde ein klarer Gegenentwurf zur NS-Herrschaft, die am 8. Mai 1945 endete. Ein Feiertag würde uns an diesen Kontext immer wieder erinnern. Und er könnte auch diejenigen, die den freiheitlichen Geist des Grundgesetzes für ihre ausgrenzenden und nationalistischen Programme beanspruchen, in die Schranken weisen.
Das Interview mit dem Historiker und Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten führte Yvonne Jennerjahn.