Die Zahl der Menschen, die aus der Ukraine flüchten, nimmt täglich zu. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) kümmert sich um Juden und Jüdinnen, die das Land verlassen. In Zusammenarbeit mit der israelischen Organisation IsraAID unterstützt man unter anderem die Menschen vor Ort – und konnte mittlerweile bereits zehn Busse nach Moldawien schicken, um jüdische Geflüchtete und ihre Angehörigen nach Deutschland zu holen.
Damit, die Menschen in Sicherheit zu bringen, ist es aber längst nicht getan. Es wird weitere konkrete Hilfe benötigt. Viele haben Verwandte und Freunde, bei denen sie unterkommen können, und werden von den jüdischen Gemeinden nach Kräften unterstützt. Allerdings, so ZWST-Direktor Aron Schuster, nimmt die Zahl der Menschen, die in Deutschland keine Anlaufstation haben, mittlerweile zu.
aufgabe Und noch etwas habe sich geändert, berichtet er: »Am Anfang kamen junge, gesunde Menschen, mittlerweile sind es vermehrt besonders vulnerable Geflüchtete.« Für Aron Schuster steht fest: »Es wird die große gesellschaftliche Aufgabe sein, uns besonders um diese drei Gruppen, nämlich Kinder, Menschen mit Beeinträchtigungen und Alte, zu kümmern.«
Allein können Hilfsorganisationen wie die ZWST das nicht schaffen, betont er. Plätze in Kitas, Senioren- und Pflegeheimen seien ohnehin schon knapp. »Wir werden die Hilfe der Politik brauchen«, resümiert er, »allein können wir keine pragmatische Lösung für die Versorgung dieser besonders schutzbedürftigen Menschen finden.«
Kurzfristig müsse darüber nachgedacht werden, »vorübergehend von den in Deutschland geltenden hohen und sehr guten Standards abzurücken«.
Kurzfristig müsse etwa darüber nachgedacht werden, »vorübergehend von den in Deutschland geltenden hohen und sehr guten Standards abzurücken«. Übergangsweise sei es etwa denkbar, mehr Betten zu belegen, »natürlich möchte das niemand als Dauerzustand, aber manche der Geflüchteten, wie zum Beispiel pflegebedürftige Personen, müssen einfach sofort angemessen untergebracht und betreut werden.« Gerade für sie seien, so Aron Schuster, Krieg und Flucht in ein unbekanntes Land besonders traumatisch und schwer zu bewältigen.
jugendarbeit Auch an Kinder und allein reisende Jugendliche müsse natürlich gedacht werden, »bei der ZWST und in den jüdischen Gemeinden haben wir zum Glück in der Jugendarbeit erfahrene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die sich ihrer annehmen«. Darüber hinaus würden jedoch Kita-Plätze und natürlich auch schulische Angebote benötigt, »auch das können die Hilfsorganisationen und die jüdischen Gemeinden natürlich nicht allein stemmen«.
Und dann ist da auch noch die Corona-Pandemie. »Wir merken schon, dass es unter den Geflüchteten vermehrt zu Infektionen mit dem Virus kommt«, berichtet Schuster. »Lange Fahrten in Bussen, dazu zuvor womöglich Aufenthalte in Massenunterkünften, das bleibt alles natürlich nicht ohne Folgen«, sagt er. Die Impfquoten in der Ukraine gehören zu den niedrigsten in Europa. »Aber uns ist aus den jüdischen Gemeinden schon mitgeteilt worden, dass in praktisch allen Impfzentren Geflüchtete sofort einen Anspruch auf Impfungen haben.«
Der große Saal der ZWST wurde für den Empfang der Geflüchteten hergerichtet. »Hier bekommen sie erst einmal einen Tee oder Kaffee und etwas zu essen«, erzählt Ilya Daboosh, Leiter des Sozialreferats der ZWST. Meistens falle dann die Anspannung von den Menschen ab. »Sie merken, dass sie jetzt in Sicherheit sind, und das ist dann oft der Moment, in dem sie anfangen zu weinen.« Es sei ganz wichtig, dass dann jemand da sei, mit dem sie in ihrer Muttersprache reden können, betont Daboosh. »Und da haben wir zum Glück ja genug Fachkräfte, die Ukrainisch und Russisch können.«
hilfsbereitschaft Die Hilfsbereitschaft sei riesig, freut sich Ilya Daboosh. »Obwohl es für alle natürlich superstressig ist, denn unsere normale Arbeit geht ja dazu weiter.« Die meisten der Geflüchteten gingen fest davon aus, dass sie bald schon wieder nach Hause zurückkehren können, hat Daboosh festgestellt.
»Einige wollen Alija machen und weiter nach Israel. Aber die meisten sagen, dass sie in der Ukraine ein gutes Leben hatten und nach dem Ende des Krieges wieder zurück in ihr gewohntes Umfeld möchten.« So schnell werde das aber wohl nicht gehen. »Da muss man schon realistisch bleiben«, sagt Ilya Daboosh. Für Mütter mit kleinen Kindern, alte oder kranke Menschen dürfte es zunächst viel zu gefährlich sein, in die zerstörten Städte zurückzukehren.