Wie umgehen mit dem 8. respektive 9. Mai, also dem Jahrestag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht und damit dem Ende des Zweiten Weltkriegs? In Moskau gab es bislang am 9. Mai, dem »Tag des Sieges«, immer eine große Parade auf dem Roten Platz. Und das wird in diesem Jahr nicht anders sein.
Wie aber geht die jüdische Gemeinschaft in diesem Jahr mit dem Datum um? Werden Veteranen geehrt, während nebenan alte Menschen aus der Ukraine sitzen, die um ihre Angehörigen im umkämpften Land bangen? Wäre es nicht aber auch ein Affront gegenüber den mittlerweile schon sehr alten Menschen, dieses Gedenken in den Gemeinden einfach abzusagen?
Auseinandersetzung Eine Veranstaltung des Zentralrats der Juden in Deutschland am 8. Mai wird sich mit diesen und weiteren Fragen beschäftigen. Im Schweriner Schloss Restaurant diskutieren von 16 bis 18 Uhr unter dem Titel »Erinnerung leben. Eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zum 8. Mai« Zentralratspräsident Josef Schuster, Integrations-Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD), der Journalist und Mitgründer der Alhambra-Gesellschaft, Eren Güvercin, sowie die Schriftstellerin Mirna Funk.
Unter anderem wird es auch darum gehen, wie der Ukraine-Krieg das zukünftige Erinnern an den 8. Mai beeinflussen könnte und wie eine Erinnerungskultur geschaffen werden könnte, die möglichst vielen Menschen Identifikationspotenzial bietet.
Wie geht man in den Gemeinden vor Ort mit dem Tag der Befreiung um, wo Menschen aus dem heutigen Russland und der heutigen Ukraine versammelt sind? »Wir werden die Veteranen, die auf dem jüdischen Friedhof bestattet sind, damit ehren, indem wir Blumen und Kränze auf ihren Gräbern niederlegen«, sagt Max Privorozki, Vorsitzender der Hallenser Gemeinde. Das sei schon Tradition: »Selbst während der Corona-Restriktionen war diese Ehrung am Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus möglich, weil sie draußen stattfand.«
friedhof Pandemiebedingt hatte es in den vergangenen beiden Jahren keine weiteren Veranstaltungen zum 8. Mai geben können. »Normalerweise stand immer ein Konzert auf dem Programm, aber das ging eben nicht.« Und auch 2022 wird es beim Gedenken auf dem Friedhof bleiben. »Es handelt sich schließlich nicht um einen jüdischen Feiertag, insofern muss die Gemeinde auch nicht zwingend für eine Veranstaltung an diesem Tag sorgen«, betont Privorozki.
Aber werden diejenigen, die einst gegen Nazideutschland kämpften, nicht sehr enttäuscht sein, wenn es am Befreiungstag kein spezielles Programm gibt? Nein, sagt Max Privorozki: »Die einst aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach Halle gekommenen jüdischen Veteranen und Veteraninnen sind mittlerweile verstorben.«
Viele Anzeichen sprechen dafür, dass der 9. Mai in diesem Jahr ein Propaganda-Event in Russland werden wird, das unter anderem zur Rechtfertigung des Krieges gegen die Ukraine dient. »Ganz sicher wird dieser Tag instrumentalisiert werden«, befürchtet Privorozki. Gleichwohl »ist es kompliziert«, sagt er weiter.
dankbarkeit Auch wenn die Geschichte der Sowjetunion und des Stalin-Regimes kritisch betrachtet werde, überwiege doch ein Gefühl der Dankbarkeit für das, was die Veteranen und Veteraninnen während des Zweiten Weltkrieges unter ungeheuren Entbehrungen leisteten. »Man muss es sagen, wie es ist: Wenn Hitler gewonnen hätte, würde es heute keine Juden mehr in Europa geben«, stellt Privorozki fest, »der Zweite Weltkrieg war eben auch ein Vernichtungskrieg gegen die Juden.«
In Schwerin lädt der Zentralrat der Juden zum Gespräch über Erinnerungskultur ein.
Nach wie vor sind nur wenige Juden und Jüdinnen als Flüchtlinge aus der Ukraine nach Halle gekommen, »aber wir als Gemeinde sind Teil der Netzwerke unserer Stadt und unterstützen daher ganz selbstverständlich auch die nichtjüdischen Flüchtlinge der Ukraine«. Zu Streit in der Gemeinde über den Krieg sei es nach wie vor nicht gekommen.
Zukunftsperspektive In Bezug auf die Frage, wie es mit dem Gedenken am 8./9. Mai weitergehen könnte, empfiehlt Max Privorozki einen Blick nach Israel. »Ich finde, Israel gibt ein gutes Beispiel dafür ab, wie man Siege feiert. Die Kriege gegen die arabischen Staaten wurden gewonnen, aber es gibt kein triumphales Fest oder womöglich gar Trink-Partys, nein, man erinnert an die Soldaten, die die Freiheit des Landes mit ihrem Leben bezahlt haben.«
»Wir werden eine kleine Veranstaltung machen und unseren Kriegsteilnehmern gratulieren«, sagt Leah Floh, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach. Zehn jüdische Veteranen sind dort Mitglied. »Einige leben allerdings nur noch in ihrer eigenen Welt und in der Vergangenheit, sie würden es nicht verstehen, wenn sie und die vielen, die ihr Leben ließen, zu diesem Datum nicht geehrt werden«, erläutert Floh. »Wie will man ihnen das auch erklären?«
Nein, sie sehe keine Parallele zwischen dem Krieg in der Ukraine und dem Zweiten Weltkrieg, stellt Leah Floh fest, beide hätten nichts miteinander zu tun. »Im Gegenteil, damals haben sie doch alle gemeinsam gegen den Faschismus gekämpft, Russen, Ukrainer, Usbeken, Kasachen.«
Gemeinsamkeit Umso wichtiger sei es doch, gerade jetzt »zusammenzukommen und sich daran zu erinnern, was damals geschah, und vor allem, was alles dadurch möglich war, dass man zusammenstand und sich wehrte«. Denn, so fährt sie fort: »Die Menschen haben es doch verdient, dass man ihrer gedenkt. Das nicht zu tun, wäre respektlos.«
In der Israelitischen Gemeinde Freiburg wird unterdessen mit einer Vortragsveranstaltung der Befreiung vom Nazi-Terrorregime gedacht. »In der Zeit, in der sich die Jüdischen Gemeinden austauschen, wie sie das traditionelle Feiern des ›Tages des Sieges‹ am 9. Mai gestalten (oder gar absagen), in der Russland einen wahnsinnigen Krieg gegen die Ukraine führt, werden wir eine Veranstaltung zum Internationalen Gedenktag an die Beendigung des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai durchführen«, betont Gemeindevorsitzende Irina Katz.
Es geht um die Lebenswege einer jüdischen Familie und eines deutschen Widerstandskämpfers aus Freiburg. Francois Blum, der heute in Lyon lebt, wird über die Geschichte seiner Familie berichten. Viele seiner Verwandten wurden im Holocaust ermordet, seine Mutter überlebte Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald und Theresienstadt.
Beatrix Kirchhofer wird über das Leben ihres Großvaters Constantin von Dietze sprechen, der ein Gegner des Nationalsozialismus war und im September 1944 verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt wurde. Er hatte Glück und kam in den letzten Kriegstagen frei.