Seit 1851 konnten sich genervte oder gestresste Arbeitnehmer mit dem Gedanken trösten: »Mit 65 ist es geschafft.« Nach 160 Jahren ist nun jedoch Schluss mit der Regelaltersrente. Wer ab 1964 geboren ist, wird erst mit 67 Jahren die vollen Bezüge erhalten.
»Ich bin ein Beweis dafür, dass eine Verrentung mit 65 noch zu früh ist«, sagt der 80-jährige Wolfgang Nossen, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen in Erfurt lachend. Um gleich darauf jedoch wieder ernst zu werden und zu betonen, dass »nicht jeder in dem Alter noch in der Verfassung ist, in der ich damals war«.
Die Gemeinde beschäftigt derzeit zwei Sozialarbeiterinnen, die beide schon über 65 sind. Die Damen stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. »Von dem, was sie sich hier als Rentenanspruch erarbeitet haben, können sie natürlich kaum leben«, erklärt Nossen. »Nun arbeiten sie weiter, denn es lohnt sich wegen der Sozialversicherungsbeiträge ja erst dann richtig zu arbeiten, wenn man schon in Rente ist.«
Konkurrenz Bedenken, dass die Seniorinnen einer jüngeren Person die Chance auf einen Job nehmen könnten, seien dabei obsolet: »Beide Damen arbeiten jeweils 20 Stunden, dafür wird eine junge Fachfrau jetzt auf derselben Basis erst einmal eingearbeitet und dann in zwei Jahren in Vollzeit angestellt.«
Klaudia Krenn, seit vielen Jahren Sekretärin der Jüdischen Gemeinde Leipzig, ist gar nicht gut auf das neue Renteneintrittsalter zu sprechen. »Das ist alles so frustrierend«, seufzt sie, »und obendrein auch noch ungerecht. Überall sitzen dann demnächst noch alte Leute, die kaum noch kriechen können und trotzdem versuchen müssen, bis zum letzten Arbeitstag ihren Job zu machen – und die jungen Leute finden keine Stellen.«
Man werde mit zunehmendem Alter einfach langsamer. »Außerdem haben viele jüngere Menschen schon mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, die natürlich nicht besser werden«, gibt die heute 62-Jährige zu bedenken. Sie müsse zwar nur drei Monate länger über ihren 65. Geburtstag hinaus arbeiten, »trotzdem ist das alles sehr unschön, vor allem auch, weil in der EU ja so große Unterschiede herrschen und man in Frankreich beispielsweise schon mit 62 in Pension gehen kann«. Dazu komme, dass viele Zuwanderer »richtig mies dran sind. Da werden im Ausland erworbene Zeiten oft nicht anerkannt, und dann muss so jemand im Alter von der Grundsicherung leben.«
Belastbarkeit Mit 50 gab Sara-Ruth Schumann in Absprache mit ihrem Mann den Beruf auf, um die Jüdische Gemeinde zu Oldenburg zu gründen. Seither ist sie ehrenamtlich tätig. »Ich bin 73 und arbeite noch jeden Tag«, sagt die Gemeindevorsitzende und betont: »Es gibt eben Menschen, die können sehr lange berufstätig oder ehrenamtlich aktiv sein, und solche, die schon früh nicht mehr arbeiten können, weil sie krank sind. Die Fitness hängt halt von der persönlichen Konstitution ab.«
Während ihrer Berufstätigkeit habe sie »das dänische Modell kennen- und schätzengelernt«, berichtet Schumann. »Die Älteren konnten in Teilzeit gehen und ihre Rente aufbessern – und gaben ihre Erfahrungen an Jüngere weiter, ohne deswegen noch voll im Geschirr gehen zu müssen.« Optimal sei es, wenn jeder ältere Mensch im Rahmen seiner Möglichkeiten und Kräfte arbeiten dürfe.
In der Oldenburger Gemeinde seien beispielsweise viele ältere Ehrenamtliche aktiv, berichtet Schumann. »Sie sind 65 oder älter und freuen sich darüber, eine Aufgabe zu haben. Viele kamen ja erst im Alter von rund 50 Jahren nach Deutschland und mussten feststellen, dass sie keine Arbeit finden konnten. 20 Jahre erzwungene Untätigkeit und das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, liegen hinter ihnen, deswegen sind sie bei ihren freiwilligen Tätigkeiten ganz tüchtig mit dabei.«
Gleichzeitig sieht die ehemalige Kulturamtsleiterin in Oldenburg mit der Rente ab 67 jedoch ein ganz großes Problem auf die Gesellschaft zukommen: »Ich finde das eine ganz zweischneidige Angelegenheit, denn einerseits brauchen wir in Deutschland das Ehrenamt, weil wir soziale Arbeit nicht finanzieren können – und andererseits wird eine ganze Bevölkerungsgruppe, nämlich die Senioren, nun erst viel später pensioniert und hat dann vielleicht keine Zeit, keine Lust oder eben keine Kraft mehr zu ehrenamtlichen Tätigkeiten.«
Auszeit Oft sei es nämlich so, dass sich frisch Pensionierte erst einmal eine Auszeit von ein oder zwei Jahren gönnten, in der sie einfach nur das Leben ohne Verpflichtungen, Termine und Berufsstress genießen wollten. Irgendwann werde das vielen jedoch zu langweilig, und dann beginne die Suche nach einer passenden ehrenamtlichen Tätigkeit. Zwei Jahre könnten jedoch gerade bei älteren Menschen viel ausmachen: »Ob jemand, der mit 67 in Rente geht, dann mit knapp 70 noch so fit ist, dass er sich eine regelmäßige Freiwilligentätigkeit zumuten kann, ist schon die Frage.«
Außerdem bedeute eine spätere Pensionierung oft auch, dass der Ruhestand nicht so erfüllt sei: »Nicht jeder ist in der Lage, sich neben einem anstrengenden und fordernden Beruf noch um Hobbys zu kümmern, viele Menschen schaffen das erst, wenn sie in Rente gehen. Je älter so ein frisch gebackener Pensionär ist, umso schwieriger wird es für ihn, eine Beschäftigung zu finden, die Spaß macht – dabei ist genau das doch so sehr wichtig, um im Alter aktiv zu bleiben.«