Mit einem großen Fest für alle Bürger hat die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern am Sonntag ihren 200. Geburtstag und den 70. Jahrestag ihrer Wiedergründung gefeiert. Tausende Freunde und Angehörige der zweitgrößten jüdischen Gemeinde in Deutschland ließen sich von dunklen Wolken und einigen Regentropfen nicht vom Feiern auf dem Jakobsplatz im Herzen der Stadt abhalten.
IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch stellte in ihrem Grußwort deshalb auch fest: »Es sind Tage wie diese, die mich in meiner Liebe zu meiner Heimat bestätigen. Die mir zeigen: Es war richtig so – und gut. Es war richtig, zu bleiben, es war gut, zu vertrauen.«
Auch Hans-Georg Küppers, Kulturreferent der Stadt München, ging auf die Bedeutung der Juden für München ein und freute sich darüber, dass die Gemeinde wieder fest im Zentrum der Stadt verankert sei. »Und genau dorthin, ins Zentrum, gehört sie auch«, sagte er in Bezug auf das im Jahr 2007 eröffnete Gemeindezentrum und die daneben stehende Synagoge.
pulsierend Charlotte Knobloch bezeichnete den Jakobsplatz als »neuen Hotspot in der City. Im ganzen Viertel pulsiert das Leben bis spät in die Nacht – tolerant, weltoffen, dynamisch.« Sie erinnerte aber auch an die Ängste und Zweifel mancher Bürger und Anwohner zu Beginn und während der Bauphase, die jedoch schnell verflogen seien. »Das tägliche Miteinander«, sagte sie, »widerlegte innerhalb kürzester Zeit die anfänglichen Sorgen.«
Mit Blick auf die wechselvolle Geschichte der Juden in München und die Schoa stellte Charlotte Knobloch die besondere Bedeutung des neuen Gemeindezentrums heraus. »Unser Umzug aus dem Hinterhof hierher war eine Initialzündung für die jüdische Gemeinschaft in ganz Deutschland, das Symbol der Heimkehr der deutschen Juden. Mein großer Wunsch ist Normalität. Und wir sind auf dem besten Weg dorthin. Auch wenn wir immer wieder Antisemitismus und Vorurteile erleben, überwiegen doch die positiven Erlebnisse, wie wir sie heute gemeinsam erfahren dürfen.«
Charlotte Knobloch bedankte sich bei IKG-Kulturleiterin Ellen Presser und ihrem Team, die das Fest organisiert hatten. Ihr Dank galt auch den Nachbarn vom Angerkloster, vom Jüdischen Museum, vom Münchner Stadtmuseum, vom Alten- und Servicezentrum und von der Bayerischen Schneidergenossenschaft Orag, die sich ebenfalls an der Vorbereitung und Ausgestaltung der Feier beteiligt hatten. »Ich danke aber nicht nur von Herzen für die Kooperation unserer Nachbarn«, erklärte sie, »sondern für jeden einzelnen Tag, an dem wir hier am Jakobsplatz in bester, ja in allerbester Nachbarschaft miteinander leben.«
programm Musik, Tanzdarbietungen, Modenschauen, Kinderprogramm, Bücher-Flohmarkt, Ausstellungen, Führungen: Das Programm auf dem und rings um den Jakobsplatz ließ keine Wünsche offen. Einen regelrechten Besucheransturm musste die Synagoge überstehen. Das Interesse war so groß, dass zu den ursprünglich zwei geplanten Führungen noch kurzfristig eine dritte organisiert wurde. Mit weit über 1000 Synagogenbesuchern hatte selbst IKG-Kulturchefin Ellen Presser nicht gerechnet. »Dieses überwältigende Interesse hat selbst mich überrascht«, freute sie sich am Rande der Veranstaltung.
Quer über den Jakobsplatz hatte die IKG zehn Stelen installiert, auf denen wichtige Personen und Ereignisse in der 200-jährigen Geschichte der Kultusgemeinde dargestellt wurden. Sie werden noch drei Wochen auf dem Jakobsplatz zu sehen sein. In ihrer Rede hatte zuvor Charlotte Knobloch auf die herausragenden jüdischen Persönlichkeiten hingewiesen, die aus der Gemeinde hervorgegangen sind.
»In der unwiederbringlichen Blütezeit des Judentums bis in die frühen 1930er-Jahre«, erklärte sie, »haben Juden das Bild Münchens und die Fortentwicklung Bayerns entscheidend mitgestaltet.« Aber die Präsidentin sagte auch: »Heute hat das Judentum in unserem Land wieder eine Zukunft. Und die prägen wir hier in München ganz wesentlich mit.«
geschichte Charlotte Knobloch nannte eine ganze Reihe von Namen aus der jüdischen Gemeinde, die mit München eng verbunden sind, etwa die Familie Schülein von der Löwenbräu-Brauerei, Kurt Landauer, die Familien Pringsheim, Bernheimer, Uhlfelder und Feuchtwanger, den Chemiker und Nobelpreisträger Richard Willstätter und die Schauspielerin Therese Giese. Auf einer der Schautafeln wird die berühmte Darstellerin mit dem Satz zitiert: »Ich bin dick, rothaarig und jüdisch.«
Emotional tief bewegt erinnerte die IKG-Präsidentin an ihren Vater Fritz Neuland sel. A., der zusammen mit einigen Wegbegleitern die IKG wenige Wochen nach Enede des Krieges wieder neu gründete. »Das war der Ausdruck ihrer unbeirrbaren Hoffnung und ihrer unerschütterlichen Heimatliebe. Und es war zugleich ihr auf wundersame Weise nicht zerstörter Patriotismus, der diese Menschen, die grausamste Unmenschlichkeiten erlitten hatten, dazu veranlasste, die Zukunft ihres Landes mitzugestalten«, unterstrich Knobloch.
Die Gegenwart gehörte dann aber bis in die Abendstunden hinein den Annehmlichkeiten des Bürgerfestes. Dazu zählten nicht nur koschere Spezialitäten, die vom Restaurant »Einstein« angeboten wurden, sondern auch ein buntes Bühnenprogramm, das die Vielfältigkeit der jüdischen Gemeinde und ihrer Kontakte unter Beweis stellte.
highlights Dabei waren: der Chor Druschba-Chawerut, das Showballett Genesis, Laura Wachter, die Lieder von Leonard Cohen sang, Adriano Prestel mit Band, die Schultanzgruppe Celtic Colleens und Schwestern-Band vom Angerkloster, der Chor Schma Kaulenu, die Kabarettistin Luise Kinseher sowie Marina Baranova und Murat Coskun. Dazwischen fanden Modenschauen mit historischen Kostümen statt.
Ihre Verbundenheit mit der IKG und der jüdischen Gemeinschaft bewiesen an diesem Tag durch ihre Anwesenheit auch prominente Gäste: Alt-Oberbürgermeister Christian Ude, die frühere Bürgermeisterin Gertraud Burkert, Susanne May, Programmdirektorin der Volkshochschule, Kommunalreferent Axel Markwardt, Renate Küster-Hildebrandt, die Witwe des Kabarettisten Dieter Hildebrandt, die Stadträte Heimo Liebich und Marian Offman sowie viele andere Repräsentanten der Münchner Kulturszene.