Darf die Religion verbieten, wen man liebt? Dies war eine der Fragen, die am vergangenen Mittwoch im Zentrum der Veranstaltung »Coming Out. Jüdisch-muslimisches Gespräch der LGBTIQ« standen. Die Podiumsdiskussion in der Kalkscheune in Berlin-Mitte war die Auftaktveranstaltung des Zentralratsprojekts »Schalom Aleikum. Jüdisch-muslimischer Dialog« für 2020.
Halle »Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass jeder Mensch lieben und glauben kann, wen und an was er will, doch nicht erst die Ereignisse von Halle und Hanau haben uns gezeigt, dass es Kräfte in unserer Gesellschaft gibt, die das nicht akzeptieren wollen«, sagte Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann zur Einführung.
Der Zentralrat habe mit Schalom Aleikum einen Rahmen geschaffen, damit Juden und Muslime gemeinschaftlich ein Zeichen gegen Hass, Islamophobie und Antisemitismus setzen könnten. »Es ist wichtig, dass sich jeder Mensch nach seiner Façon entfalten kann«, sagte Botmann.
Das religionsübergreifende Dialogformat, das von der Staatsministerin und Bundesintegrationsbeauftragten Annette Widmann-Mauz (CDU) unterstützt wird, soll durch offenen Austausch Menschen verschiedener Herkunft zusammenbringen und somit auch antisemitischen Ressentiments entgegenwirken.
IDENTITÄTEN Im Fokus der Diskussionsrunde standen diesmal jüdische und muslimische Mitglieder der LGBTIQ-Community, die sich über ihre Identitäten und Fragen von Akzeptanz und Diskriminierung in ihren jeweiligen religiös-kulturellen Gemeinschaften austauschten.
Es wurde gleich zu Beginn spannend, als die Moderatorin, die »Tagesspiegel«-Redakteurin Ruth Ciesinger, die Podiumsteilnehmer nach ihren Erfahrungen mit den Identitäten als Homo- oder Transsexuelle auf der einen und ihrem Glauben auf der anderen Seite befragte. »Schon mit vier Jahren hat mir mein Vater klargemacht, dass es etwas Schlechtes ist, wenn man schwul ist«, sagte Tugay Sarac. Für den 22-Jährigen, der aus einer konservativ-muslimischen Berliner Familie mit türkischen Wurzeln stammt, war es ein langer Weg, bis er zu seiner Homosexualität stehen konnte. »Mit 13 Jahren habe ich gemerkt, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle«, erzählte er.
»Ohne Religion klaffte aber eine Lücke in meinem Herzen«, erzählte der junge Mann.
Mit seiner Familie konnte er darüber nicht sprechen. Er suchte sich Rat und Hilfe in der Religion. »Ich hatte die Hoffnung, meine Homosexualität wegbeten zu können«, sagte Sarac. Über das Internet habe er Kontakt mit radikalen salafistischen Predigern aufgenommen, die »Heilung« durch Religiosität versprachen. Da alles Beten aber nichts gegen seine sexuelle Orientierung half, wandte er sich zunächst vom Islam ab. »Ohne Religion klaffte aber eine Lücke in meinem Herzen«, erzählte der junge Mann.
In der liberal ausgerichteten Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, in der seine Tante Seyran Ates Imamin ist, fand Sarac eine neue religiöse Heimat. »Ich habe für mich einen Weg entdeckt, wie ich Muslim und schwul zugleich sein kann.«
WIDERSPRUCH Auch für die Kantorin und Expertin für europäisch-jüdische Musik, Jalda Rebling, sind ihre Religion und ihre lesbische Identität kein Widerspruch. »Im Judentum heißt es, dass es eine Entscheidung des Himmels ist, wen man liebt«, sagte Rebling, Mitbegründerin der ersten Jewish-Renewal-Gemeinde in Deutschland, Ohel Hachidusch Berlin.
In Deutschland sei die jüdische Gemeinschaft in der Mehrheit konservativer ausgerichtet als etwa in Großbritannien oder den USA. »Aber auch hierzulande, insbesondere in den großen Städten wie Berlin, gibt es offene und kreative jüdische Gruppen abseits des Mainstreams«, sagte Rebling.
»Als queere Juden und Muslime können wir viel voneinander lernen, Gemeinsamkeiten wie Unterschiede«, meint der Journalist Eugen El. Der 35-Jährige stammt aus Minsk und kam als Kontingentflüchtling nach Deutschland. »Ich empfinde das Leben in Deutschland als kostbar«, sagte El, der mit seinem Mann in Frankfurt am Main lebt. In Weißrussland sei Homosexualität bis heute ein absolutes Tabuthema. »In Deutschland fühle ich mich angenommen.«