Israel ist niemals einfach zu verstehen, die Materie ist komplex. Im Sammelband Israel. Was geht mich das an? des Wiener Thinktanks Mena-Watch haben 15 Autoren politische, historische und gesellschaftliche Fragen zu diesem besonderen Land und seiner Umgebung beleuchtet. Als drei von ihnen diese Woche gemeinsam mit Co-Herausgeber Erwin Javor zu einem Podiumsgespräch mit Lesung im Jüdischen Gemeindezentrum am Jakobsplatz zusammenkamen, war der Andrang groß.
Der Hubert-Burda-Saal war voll, als Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, das Publikum begrüßte. Sie freue sich, so Knobloch, »dass diese Veranstaltung so viele Interessierte zu uns gebracht hat«. Unter den Gästen begrüßte sie die israelische Generalkonsulin Talya Lador-Fresher, den früheren Münchner Kommunalreferenten Axel Markwardt sowie den Kabarettisten Christian Springer. Rozsika Farkas, Münchner Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, hatte gemeinsam mit Ellen Presser, Leiterin des IKG-Kulturzentrums, die Gesprächsrunde organisiert.
Termin und Thema des Panels standen lange fest
Termin und Thema des Panels standen lange fest, ehe der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober alles veränderte. So aber ist die Frage »Israel – was geht mich das an?« an diesem Abend von brennender Aktualität. »Dieses Podium ist wichtig und dringlich«, erklärte Knobloch. »75 Jahre nach Gründung des Staates Israel gibt es auch außerhalb der jüdischen Gemeinschaft kaum jemanden, der zu Israel keine Worte finden würde. Israel geht jeden etwas an«, sagte die IKG-Präsidentin.
In diesen schwierigen Zeiten seien viele vermeintliche Erklärer unterwegs, im Fernsehen, in den Zeitungen und im Internet. Nicht alle hätten wirklich Ahnung, »aber jeder hat eine Meinung«, so Knobloch weiter. Wo zu brutaler Unterdrückung in anderen Teilen der Welt oft ausgiebig geschwiegen werde, da dröhne die Kritik am einen jüdischen Staat auf dieser Welt verlässlich weiter, wie Knobloch ausführte – selbst jetzt. Die zynische Beobachtung »Jews are news« gelte leider noch immer.
In den israelischen Gemeinden an der Grenze zum Gazastreifen hatte die Hamas über 1400 Menschen auf barbarische und bestialische Weise ermordet und rund 200 nach Gaza entführt. Übertragen auf die Bundesrepublik sei das so, als wären an einem Tag 14.000 Deutsche einem Massaker zum Opfer gefallen, rechnet Moderator und Mitherausgeber Stefan Kaltenbrunner aus Wien zum Einstieg vor.
Für die bekannte Fernsehjournalistin Esther Schapira markierte der Überfall den Beginn einer neuen Zeitrechnung: »Die Verbrechen und das Grauen sind eine Zäsur für Israel – und für alle Menschen auf der Welt.« In Frankfurt am Main als Tochter eines jüdischen Vaters aufgewachsen, las Schapira aus ihrem Text »Israel – mein anderes Vaterland«.
»Wir brauchen jetzt einen Aufstand der Anständigen.«
Esther Schapira
Bereits im Alter von 13 Jahren hatte sie die faszinierende Widersprüchlichkeit Israels erlebt: »Einerseits waren da so viele Geschichten, die von Krieg, von Gewalt und Tod erzählten. Andererseits waren die Menschen so fröhlich, so frei, so sehr dem Leben zugewandt. Und es ist genau das, was mich bis heute immer wieder in den Bann schlägt«, schreibt sie im Buch. Ihre Einblicke in das Land ließen sie begreifen, dass Menschen richtig und falsch zugleich handeln können und dass es nicht für jeden Konflikt eine gerechte Lösung gibt: »Echte Liebe hält Widersprüche aus.«
Harry Bergmann, der über 40 Jahre in Österreichs größter Werbeagentur DMB arbeitete, berichtete auf dem Podium, dass er genau zwei Tage vor dem Angriff der Hamas aus Israel zurück nach Wien gereist war. Sein Beitrag zur Anthologie kreist um seine frühe Jugend in Israel. Bergmann wurde in Haifa geboren und erlebte das Land in jungen Jahren: »Israel war schon immer ein Paradies für kleine Kinder – und zum Wäschetrocknen im Freien.«
Sein Vater, der als Taxichauffeur Nachtfahrer war, suchte eine bessere Arbeit und zog deshalb mit seiner Frau und dem zweijährigen Harry zurück nach Wien. Hin- und hergerissen zwischen beiden Ländern sinniert der Wiener Bergmann heute darüber, wo sein Lebensmittelpunkt liegt.
Eine Reise ganz anderer Art hat der preisgekrönte Lyriker Robert Schindel hinter sich gebracht. Er schreibt: »Bevor ich wusste – im Kindergarten –, dass ich jüdisch bin, wusste ich, dass ich Kommunist bin.« Seine erste Liebe galt der Sowjetunion, die zweite der Volksrepublik China. Zuneigung zu Israel kam erst danach auf, blieb dafür aber dauerhaft. Nach der ersten Israel-Reise begann Schindel, sich mit dem Zionismus zu befassen.
In seinem Essay »Die dritte Liebe« konstatiert er: »Heute weiß ich: Israel geht mich etwas an.« Die Sicherheitspolitik des Landes biete zwar fraglos Anlass für »Diskussionen und Kritik«, aber: »Zu viel ist besser als zu wenig. Der Vernichtungswille gegen Israel ist bei vielen arabischen Leuten noch recht intakt.«
»Da ist kein Platz mehr für ein Aber«
Dieser eindringliche Appell an das Publikum reihte sich ein in eine lange Liste von Kommentaren zur aktuellen Situation. Esther Schapira forderte: »Wir brauchen jetzt einen Aufstand der Anständigen. Dabei geht es um Menschlichkeit. Denn es gibt keine Steigerung der Grausamkeiten. Da ist etwas Grundsätzliches ins Rutschen geraten.« Ihr Wunsch an die jüdische Gemeinschaft und die Gesellschaft als Ganzes: »Da ist kein Platz mehr für ein Aber. Jeder sollte sich jetzt einmischen. Der Schutz Israels ist eine Angelegenheit der ganzen Welt.«
Der Herausgeber des Sammelbandes, der österreichische Journalist und Stahlunternehmer Erwin Javor, verlieh am Ende einer besonderen Hoffnung Ausdruck: »Ich bin Pessimist. Aber ich möchte nichts lieber, als mich irren.«
Erwin Javor und Stefan Kaltenbrunner (Hrsg.): »Israel. Was geht mich das an? Eine Anthologie«. Edition | mena-watch, Wien 2022, 251 S., 25 €