Frau Szackamer, Sie begleiten gemeinsam mit Barbara Traub, ihrer Kollegin im Zentralratspräsidium, den Gemeindetag und haben das Thema Traumabewältigung mit auf die Agenda gesetzt. Warum?
Ich selbst bin mit dem Satz aufgewachsen, dass man nach Auschwitz weder lachen noch weinen kann. Ich habe vor 30 Jahren meine Diplomarbeit darüber geschrieben, das Thema hat mich mein Leben lang beschäftigt. Und so glaube ich und habe es oft auch erlebt, dass es vielen Menschen und vor allem vielen Familien ähnlich geht. Der Holocaust ist Teil ihrer Biografie und hat sie geprägt.
Sie meinen auch das Schweigen in den Familien?
Ja, viele Schoa-Überlebende haben nicht gesprochen. Oder erst ganz zum Schluss und dann meist mit den Enkeln und nicht mit den Kindern. Das belastet beziehungsweise beeinflusst die Familien sehr. Die Referenten auf dem Podium, Phil C. Langer, Professor für psychoanalytische Sozialpsychologie und Sozialpsychiatrie aus Berlin, und Joram Ronel, Internist und Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie aus München, haben sich mit dem Phänomen wissenschaftlich auseinandergesetzt. Mich begleitet es seit meiner Geburt.
An wen richtet sich der Workshop: eher an Betroffene oder eher an Helfer?
Das ist das Interessante, da sind wir ganz offen und selbst gespannt darauf, wer zu uns kommt. Wir haben für den Gemeindetag das Thema »Familie« gewählt, und ich bin ganz sicher, dass die traumatisierenden Auswirkungen des Holocaust viele Familien betreffen. Verbal oder nonverbal wurde sicherlich vieles weitergegeben. Und damit ist es ein zentrales Thema, weil es eine Facette aus dem Gesamtkomplex Familie ist.
Den Gemeindetag werden hauptsächlich Angehörige der Zweiten und Dritten Generation besuchen. Wie gehen die Generationen mit dem Thema um?
Der Zweiten Generation gehören die über-60-Jährigen an, die Dritte Generation, das sind unsere Kinder, die jetzt auch schon um die 40 Jahre alt sind. Insofern gibt es jetzt auch schon eine vierte Generation. Wir wollen auch nicht zu wissenschaftlich werden, der Workshop soll ja interaktiv sein. Ich denke, es geht im Prinzip darum, zu sehen, dass es diese Auswirkungen auch in der Zweiten und Dritten Generation gibt und dass diese durch die Erfahrungen ihrer Eltern geprägt, misstrauisch oder ängstlich sind, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Folgen dieser transgenerationellen Wiedergabe der Traumata sollen besprochen werden.
Was heißt in diesem Zusammenhang interaktiver Workshop?
Das bedeutet, dass wir nicht nur oben auf dem Podium sitzen und referieren, sondern dass wir die Teilnehmer aktiv daran beteiligen wollen. Wir werden mit einem Fallbeispiel beginnen und hoffen, dass sich die Menschen öffnen werden. Ich glaube, dass es wichtig für die Teilnehmer ist, zu erleben: »Es ist nicht nur mein Problem, sondern auch eines der anderen.« Beim Gemeindetag sollen sie ein Gefühl von Gemeinschaft bekommen, das ist ganz wichtig.
Glauben Sie, dass der Workshop auch Türöffner sein kann, vielleicht doch zu sprechen?
Wir hoffen auf Vernetzung, gerade weil die Teilnehmer hier erfahren, dass es anderen ähnlich ergeht. Möglicherweise treffen sich Angehörige der Zweiten und Dritten Generation und sprechen miteinander. Ebenso erhoffe ich mir ein Networking von Experten, Ärzten, Psychiatern, Therapeuten und anderen, um damit auch Informationen weiterzugeben. Das würde ich mir wünschen.
Mit dem Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland sprach Heide Sobotka.