Zum digitalen Auftakt des Festjahres »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« in Köln haben Vertreter der jüdischen Gemeinschaft und Politiker am Sonntag den Beitrag von Juden zur deutschen Geschichte gewürdigt.
Sie verwiesen auf aktuelles blühendes jüdisches Leben in Deutschland, das nach der Schoa zunächst kaum denkbar war, und riefen dazu auf, dieses Leben angesichts von Antisemitismus und Anschlägen zu schützen.
Nach den Worten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Schirmherr des Festjahres ist, trug das Judentum entscheidend zum Aufbruch Deutschlands in die Moderne bei. »Ob in der Philosophie, in der Literatur, Malerei und Musik, in der Wissenschaft, der Medizin, in der Wirtschaft, Juden haben unsere Geschichte mitgeschrieben und -geprägt und unsere Kultur leuchten lassen.« Noch heute gebe es davon zahlreiche Zeugnisse auf dem Land, in kleineren Städten und Dörfern, die bis ins Mittelalter zurückführten.
Steinmeier erinnerte aber auch an jahrhundertelange Ausgrenzung und Verfolgung von Juden. Er zitierte Rabbiner Leo Baeck, der nach dem Zivilisationsbruch der Schoa davon überzeugt war, dass die Epoche der Juden in Deutschland ein für alle Mal vorbei sei.
Dankbarkeit Umso dankbarer sei er, dass es heute wieder jüdisches Leben gebe, »es ist sogar neu aufgeblüht dank derer, die zurückgekehrt sind, und dank der Zuwanderer aus den Staaten der früheren Sowjetunion. Und dank der jungen Israelis, die es nach Deutschland zieht«. Steinmeier nannte dies ein »unermessliches Glück für unser Land«.
»Die Bundesrepublik Deutschland ist nur vollkommen bei sich, wenn Juden sich hier vollkommen zu Hause fühlen.«
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Heute sei jüdisches Leben hierzulande »vielfältig, facettenreich, lebendig, voller Schwung« – zugleich jedoch weiter bedroht. Der Bundespräsident erinnerte an den Anschlag von Halle im Oktober 2019, bei dem »ein von Hass getriebener Attentäter« am höchsten jüdischen Feiertag eine Synagoge angriff. Antisemitismus zeige sich in unserer Zeit wieder viel offener. Dem müsse entgegengetreten werden, mahnte Steinmeier. »Die Bundesrepublik Deutschland ist nur vollkommen bei sich, wenn Juden sich hier vollkommen zu Hause fühlen.«
Von dem Festjahr erhoffe er sich nicht nur das klare Bekenntnis, »dass Jüdinnen und Juden in Deutschland ein Teil von uns sind, ein Teil unseres gemeinsamen Wir, sondern dass wir auch denen entschieden entgegentreten, die gerade das noch – oder wieder – infrage stellen«.
Er freue sich, »dass wir ein ganzes Jahr lang die Möglichkeit haben, ein breites Publikum mit der jüdischen Kultur und Tradition vertraut zu machen«, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, am Sonntag in Köln. Zugleich betonte er: »Die Schattenseiten der jüdischen Geschichte in Deutschland auszublenden, wäre falsch. Wir werden keine Jubelarie aus diesem Festjahr machen.«
»Die Schattenseiten der jüdischen Geschichte in Deutschland auszublenden, wäre falsch.«
Zentralratspräsident Josef Schuster
Im Kampf gegen Antisemitismus mahnte der Zentralratspräsident mehr Bildung an, denn mangelndes Wissen führe fast immer zu Vorurteilen. »Dieses Phänomen mit all seinen schrecklichen Folgen zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsch-jüdische Geschichte.« Dagegen müsse angegangen werden, vor allem in Schulen. »Im Unterricht muss nicht nur mehr Wissen über das Judentum vermittelt werden, sondern auch verstärkt über Antisemitismus aufgeklärt werden.«
Vorurteile Auch sei es wichtig, dass Juden nicht länger als fremd empfunden würden, damit Vorurteile verschwänden. »Auch heute noch gilt: Selbst wer persönlich noch nie einen Juden getroffen hat, wer sich für das Judentum eigentlich gar nicht interessiert, kennt antisemitische Vorurteile. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben«, warnte Schuster.
Dennoch gab sich der Zentralratspräsident optimistisch. Er freue sich sehr, dass das Festjahr nun die Möglichkeit biete, ein breites Publikum mit jüdischer Tradition und Kultur vertraut zu machen.
Der Vizepräsident des Zentralrats, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Gründungsmitglied des Festjahrvereins »321–2021«, Abraham Lehrer, sprach von einem christlich-jüdischen Fundament und würdigte den positiven Einfluss, »den jüdische Menschen auf die Entwicklung unserer Region und unseres Landes durch die Jahrhunderte in Kultur, Wissenschaft und Politik gehabt haben und bis heute noch haben«.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) warb dafür, sich besser kennenzulernen. Er verwies auf eine »lange Freundschaft« zwischen Deutschland und Israel. »1965, also vor über einem halben Jahrhundert, haben der Staat Israel und die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen aufgenommen«, sagte Laschet. Der Holocaust begründe eine besondere geschichtliche Verantwortung der deutschen Gesellschaft und des Staates für das jüdische Leben hierzulande.
Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker rief zu einem friedlichen Zusammenleben auf.
Israels Staatspräsident Reuven Rivlin dankte der Bundesregierung für ihr Engagement im Kampf gegen Antisemitismus.
Israels Staatspräsident Reuven Rivlin sagte in seinem Grußwort: »Obwohl wir die Tragödien der Vergangenheit nie vergessen werden, betonen wir unser gemeinsames Erbe, den Beitrag der deutschen Juden zur deutschen Gesellschaft und die tiefe Freundschaft zwischen Deutschland und dem israelischen Staat.« Er dankte der Bundesregierung für ihr Engagement im Kampf gegen Antisemitismus und dafür, dass sie die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) unterstütze.
Das Festjahr geht auf ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin von 321 zurück, das er nach Köln adressierte: »Mit einem allgemeinen Gesetz erlauben wir allen Stadträten, Juden in den Rat zu berufen.« Das Dokument gilt als der früheste schriftliche Nachweis für jüdisches Leben nördlich der Alpen.
Moderiert wurde der Festakt von der Journalistin und Autorin Shelly Kupferberg. In Einspielern erzählten junge Jüdinnen und Juden von ihren Perspektiven auf jüdisches Leben in Deutschland, von ihrem Blick auf die Vergangenheit und den Erwartungen an die Zukunft. Wegen der Corona-Pandemie fand die Eröffnung des Festjahres ohne Publikum mit Wortbeiträgen aus der Kölner Synagoge statt und wurde im Ersten übertragen. Bundesweit sind rund 1000 vor allem kulturelle Veranstaltungen geplant.
Konzert Das Gürzenich-Orchester Köln gestaltet den musikalischen Auftakt zum Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«. Am Sonntagabend spielt das Orchester unter der Leitung von Lahav Shani Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Kurt Weill und Tzvi Avni.
Das Konzert wird um 20.15 Uhr auf der Website des Gürzenich-Orchesters gestreamt und im WDR3-Radio sowie zu einem späteren Zeitpunkt auch im Deutschlandradio ausgestrahlt. Begleitet wird das Konzert von einem Rahmenprogramm. Unter anderem wird Marina Weisband, die in den vergangenen Jahren immer wieder öffentlich ihre Erfahrungen zum jüdischen Leben in Deutschland geteilt hat, einen Video-Essay beitragen. ja/epd/kna