#2021JLID

»Ein Teil von uns«

Zum digitalen Auftakt des Festjahres »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« in Köln haben Vertreter der jüdischen Gemeinschaft und Politiker am Sonntag den Beitrag von Juden zur deutschen Geschichte gewürdigt.

Sie verwiesen auf aktuelles blühendes jüdisches Leben in Deutschland, das nach der Schoa zunächst kaum denkbar war, und riefen dazu auf, dieses Leben angesichts von Antisemitismus und Anschlägen zu schützen.

Bundespräsident Frank-Walter SteinmeierFoto: Encanto/ Melanie Grande

Nach den Worten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Schirmherr des Festjahres ist, trug das Judentum entscheidend zum Aufbruch Deutschlands in die Moderne bei. »Ob in der Philosophie, in der Literatur, Malerei und Musik, in der Wissenschaft, der Medizin, in der Wirtschaft, Juden haben unsere Geschichte mitgeschrieben und -geprägt und unsere Kultur leuchten lassen.« Noch heute gebe es davon zahlreiche Zeugnisse auf dem Land, in kleineren Städten und Dörfern, die bis ins Mittelalter zurückführten.

Steinmeier erinnerte aber auch an jahrhundertelange Ausgrenzung und Verfolgung von Juden. Er zitierte Rabbiner Leo Baeck, der nach dem Zivilisationsbruch der Schoa davon überzeugt war, dass die Epoche der Juden in Deutschland ein für alle Mal vorbei sei.

Dankbarkeit Umso dankbarer sei er, dass es heute wieder jüdisches Leben gebe, »es ist sogar neu aufgeblüht dank derer, die zurückgekehrt sind, und dank der Zuwanderer aus den Staaten der früheren Sowjetunion. Und dank der jungen Israelis, die es nach Deutschland zieht«. Steinmeier nannte dies ein »unermessliches Glück für unser Land«.

»Die Bundesrepublik Deutschland ist nur vollkommen bei sich, wenn Juden sich hier vollkommen zu Hause fühlen.«

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Heute sei jüdisches Leben hierzulande »vielfältig, facettenreich, lebendig, voller Schwung« – zugleich jedoch weiter bedroht. Der Bundespräsident erinnerte an den Anschlag von Halle im Oktober 2019, bei dem »ein von Hass getriebener Attentäter« am höchsten jüdischen Feiertag eine Synagoge angriff. Antisemitismus zeige sich in unserer Zeit wieder viel offener. Dem müsse entgegengetreten werden, mahnte Steinmeier. »Die Bundesrepublik Deutschland ist nur vollkommen bei sich, wenn Juden sich hier vollkommen zu Hause fühlen.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Von dem Festjahr erhoffe er sich nicht nur das klare Bekenntnis, »dass Jüdinnen und Juden in Deutschland ein Teil von uns sind, ein Teil unseres gemeinsamen Wir, sondern dass wir auch denen entschieden entgegentreten, die gerade das noch – oder wieder – infrage stellen«.

Zentralratspräsident Josef SchusterFoto: Encanto/ Melanie Grande

Er freue sich, »dass wir ein ganzes Jahr lang die Möglichkeit haben, ein breites Publikum mit der jüdischen Kultur und Tradition vertraut zu machen«, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, am Sonntag in Köln. Zugleich betonte er: »Die Schattenseiten der jüdischen Geschichte in Deutschland auszublenden, wäre falsch. Wir werden keine Jubelarie aus diesem Festjahr machen.«

»Die Schattenseiten der jüdischen Geschichte in Deutschland auszublenden, wäre falsch.«

Zentralratspräsident Josef Schuster

Im Kampf gegen Antisemitismus mahnte der Zentralratspräsident mehr Bildung an, denn mangelndes Wissen führe fast immer zu Vorurteilen. »Dieses Phänomen mit all seinen schrecklichen Folgen zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsch-jüdische Geschichte.« Dagegen müsse angegangen werden, vor allem in Schulen. »Im Unterricht muss nicht nur mehr Wissen über das Judentum vermittelt werden, sondern auch verstärkt über Antisemitismus aufgeklärt werden.«

Vorurteile Auch sei es wichtig, dass Juden nicht länger als fremd empfunden würden, damit Vorurteile verschwänden. »Auch heute noch gilt: Selbst wer persönlich noch nie einen Juden getroffen hat, wer sich für das Judentum eigentlich gar nicht interessiert, kennt antisemitische Vorurteile. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben«, warnte Schuster.

Dennoch gab sich der Zentralratspräsident optimistisch. Er freue sich sehr, dass das Festjahr nun die Möglichkeit biete, ein breites Publikum mit jüdischer Tradition und Kultur vertraut zu machen.

Abraham Lehrer, Zentralratsvize und Gründungsmitglied des Vereins »321–2021«Foto: Encanto/ Melanie Grande

Der Vizepräsident des Zentralrats, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Gründungsmitglied des Festjahrvereins »321–2021«, Abraham Lehrer, sprach von einem christlich-jüdischen Fundament und würdigte den positiven Einfluss, »den jüdische Menschen auf die Entwicklung unserer Region und unseres Landes durch die Jahrhunderte in Kultur, Wissenschaft und Politik gehabt haben und bis heute noch haben«.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) warb dafür, sich besser kennenzulernen. Er verwies auf eine »lange Freundschaft« zwischen Deutschland und Israel. »1965, also vor über einem halben Jahrhundert, haben der Staat Israel und die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen aufgenommen«, sagte Laschet. Der Holocaust begründe eine besondere geschichtliche Verantwortung der deutschen Gesellschaft und des Staates für das jüdische Leben hierzulande.

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker rief zu einem friedlichen Zusammenleben auf.

Israels Staatspräsident Reuven Rivlin dankte der Bundesregierung für ihr Engagement im Kampf gegen Antisemitismus.

Israels Staatspräsident Reuven Rivlin sagte in seinem Grußwort: »Obwohl wir die Tragödien der Vergangenheit nie vergessen werden, betonen wir unser gemeinsames Erbe, den Beitrag der deutschen Juden zur deutschen Gesellschaft und die tiefe Freundschaft zwischen Deutschland und dem israelischen Staat.« Er dankte der Bundesregierung für ihr Engagement im Kampf gegen Antisemitismus und dafür, dass sie die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) unterstütze.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Das Festjahr geht auf ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin von 321 zurück, das er nach Köln adressierte: »Mit einem allgemeinen Gesetz erlauben wir allen Stadträten, Juden in den Rat zu berufen.« Das Dokument gilt als der früheste schriftliche Nachweis für jüdisches Leben nördlich der Alpen.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Moderiert wurde der Festakt von der Journalistin und Autorin Shelly Kupferberg. In Einspielern erzählten junge Jüdinnen und Juden von ihren Perspektiven auf jüdisches Leben in Deutschland, von ihrem Blick auf die Vergangenheit und den Erwartungen an die Zukunft. Wegen der Corona-Pandemie fand die Eröffnung des Festjahres ohne Publikum mit Wortbeiträgen aus der Kölner Synagoge statt und wurde im Ersten übertragen. Bundesweit sind rund 1000 vor allem kulturelle Veranstaltungen geplant.

Konzert Das Gürzenich-Orchester Köln gestaltet den musikalischen Auftakt zum Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«. Am Sonntagabend spielt das Orchester unter der Leitung von Lahav Shani Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Kurt Weill und Tzvi Avni.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Das Konzert wird um 20.15 Uhr auf der Website des Gürzenich-Orchesters gestreamt und im WDR3-Radio sowie zu einem späteren Zeitpunkt auch im Deutschlandradio ausgestrahlt. Begleitet wird das Konzert von einem Rahmenprogramm. Unter anderem wird Marina Weisband, die in den vergangenen Jahren immer wieder öffentlich ihre Erfahrungen zum jüdischen Leben in Deutschland geteilt hat, einen Video-Essay beitragen. ja/epd/kna

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Uni Würzburg

Außergewöhnlicher Beitrag

Die Hochschule hat dem Zentralratspräsidenten die Ehrendoktorwürde verliehen

von Michel Mayr  20.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024

Volkstrauertag

Verantwortung für die Menschlichkeit

Die Gemeinde gedachte in München der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs

von Vivian Rosen  20.11.2024

München

»Lebt euer Leben. Feiert es!«

Michel Friedman sprach in der IKG über sein neues Buch – und den unbeugsamen Willen, den Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023 zu trotzen

von Luis Gruhler  20.11.2024

Aus einem Dutzend Ländern kamen über 100 Teilnehmer zum Shabbaton nach Frankfurt.

Frankfurt

Ein Jahr wie kein anderes

Was beschäftigt junge Jüdinnen und Juden in Europa 13 Monate nach dem 7. Oktober? Beim internationalen Schabbaton sprachen sie darüber. Wir waren mit dabei

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Porträt

»Da gibt es kein ›Ja, aber‹«

Der Urgroßvater von Clara von Nathusius wurde hingerichtet, weil er am Attentat gegen Hitler beteiligt war. 80 Jahre später hat nun seine Urenkelin einen Preis für Zivilcourage und gegen Judenhass erhalten. Eine Begegnung

von Nina Schmedding  19.11.2024