Herr Hamburger, am Sonntag wurde der Festakt 150 Jahre Einweihung der Hauptsynagoge am Nürnberger Hans-Sachs-Platz begangen. Was bedeutet Ihnen dieser Tag?
Er ist es sicherlich wert, Rückschau zu halten auf die unglaublichen Leistungen der bekannten Nürnberger Juden, die mit hohem Risiko und viel Freude an ein Projekt herangingen, das seinesgleichen sucht. Diesen Geist von damals versuchen wir hier in Nürnberg mit unserer jungen Generation fortzuführen. Das dauert noch ein bisschen, aber wir sehen jetzt schon gewisse Anzeichen dafür, dass auch bei uns ein Aufbruch stattfindet. Dieser Tag der Einweihung ist auch ein Tag des Aufbruchs in der Gemeinde.
Bei der Prozession wurde eine neue Torarolle in die Synagoge der Arno-Hamburger-Straße eingebracht. Wie hat die Stadtgesellschaft darauf sowie auf den Festakt reagiert?
Das ist eine Frage der Definition. Was ist denn Stadtgesellschaft? Wichtig ist, dass die Spitzenpolitiker aller demokratischen Parteien zu 100 Prozent hinter uns stehen und standen, auch in der Vergangenheit, und auch die Polizei und alle anderen Würdenträgerinnen und Würdenträger. Wir haben sehr viel Positives erlebt. Natürlich gibt es auch die eine oder andere kritische und antisemitische Stimmung, dass wir so viel Schutz bräuchten, das sei beispielsweise unglaublich, heißt es da. Aber wir haben nach der Schockwelle der Entsolidarisierung nach dem 7. Oktober 2023 jetzt auch wieder gesehen, dass die meisten Menschen guten Willens sind und hinter uns stehen. Und das macht uns sehr viel Mut.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erneuerte auf dem Festakt vor dem Hintergrund des 7. Oktober und des jüngsten Anschlags in München auf das israelische Generalkonsulat sein »Schutzversprechen« für jüdisches Leben in Deutschland. Wer Juden angreife, greife alle an, sagte er. Wie bewerten Sie dieses Versprechen?
Das Schutzversprechen des Ministerpräsidenten ist für uns eine Wahrheit eins zu eins, an die er sich, und das möchte ich betonen, in der Vergangenheit immer gehalten hat. Die Frage, die ich am Sonntag gestellt habe, ist aber: Es geht sicher nicht um jüdisches Leben, wenn Menschen in Solingen abgestochen werden oder wenn ein Polizist in Mannheim brutal ermordet wird. Aber es ist genau das passiert, was wir immer vorausgesagt haben. Dass diese Leute, wenn sie gegen Juden vorgehen, auch keine Rücksicht nehmen, ob es sich bei ihren Opfern um Juden handelt, Christen, gemäßigte Muslime oder andere Menschen – das ist denen völlig egal. Es ist der politische Islam, es sind die Leute aus dem rechtsradikalen Spektrum, die eine Bedrohung darstellen.
Vor welchen Herausforderungen steht Ihre Gemeinde heute?
Vor allem vor der, dass wir unsere Jugend für die Arbeit in der Gemeinde begeistern müssen. Die »Generation Z« ist nicht gerade berühmt für ihre Eigeninitiative, es ist eine andere Zeit. Wir versuchen, mit unseren Aktivitäten diese Aufbruchstimmung bei den Jugendlichen zu generieren. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass wir auch eine Fürsorgepflicht für unsere älteren Gemeindemitglieder haben. Diese 360 Grad – die Jugendlichen, die jetzt die Schule und den Religionsunterricht besuchen, der Kindergarten und natürlich die Senioren –, diese Herausforderung sehen wir als vordergründige Thematik unserer Zukunft.
Wie werden Sie die Hohen Feiertage ein Jahr nach den Massakern begehen?
Mit noch mehr Andacht als in der Vergangenheit, und wir werden sicherlich an verschiedenen Gedenkveranstaltungen teilnehmen, zum Beispiel bei der in München, wohin wir schon einige Busse gechartert haben. Dort solidarisieren wir uns mit unseren Brüdern und Schwestern.
Mit dem Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg sprach Helmut Kuhn.