Ein Etrog wie ein Diamant: Auf dem Arba-Minim-Markt der Gemeinde Kahal Adass Jisroel in Berlin werden Zitrusfrüchte für den Sukkot-Strauß zu echten Liebhaberpreisen angeboten. 110 Euro kostet der »Kalabria-Etrog« der obersten Schönheitskategorie »Muvhor« (»vorzüglich«), auf Englisch »diamante citron« – zusammen mit dem »Muvhor«-Palmenzweig, dem Myrtenzweig und dem Bachweidenzweig für die Arba Minim, den Feststrauß.
Dutzende orthodoxer Männer, viele in Begleitung ihrer Kinder, drängen sich in dem kleinen Vorraum der Skoblo-Synagoge in der Brunnenstraße und nehmen die prachtvollste der angebotenen Zitrusfrüchte bewundernd in die Hand. Sie ist groß, ohne Flecken und etwas breiter als die meisten anderen Etrogim auf dem Markt. Diese Art stammt ursprünglich aus Italien, vor allem aus Kalabrien, Genua, Neapel und Sizilien, doch für den Sukkot-Feststrauß werden sie eigens in Kfar Chabad in Israel angebaut.
Teures Vergnügen 110 Euro für den Feststrauß? Noah Kunin (30), Projektleiter bei Morasha Germany, gefällt die traditionelle »Diamant-Frucht«, die er mitnehmen will, wenn er die Sukkottage in Leipzig verbringt. Er ist ohne Zögern bereit, den Preis zu zahlen. Eine Einstellung, die auf der Tradition beruht: Schon Raschi war der Meinung, es sei Pflicht, das Gebot der Arba Minim »schön« auszuführen.
Rabbiner Daniel Fabian, Mitglied des Gemeinderates von Kahal Adass Jisroel, sagt: »Die Leute bei uns wollen gute Qualität. Jeder kann für sich kaufen, was ihm zusagt. Für bessere Qualität zahlen sie gerne mehr Geld.« Zwar ist die Auswahl nicht ganz so groß wie auf Märkten in Israel oder Antwerpen, wo manche Männer Tage damit zubringen können, den schönsten Etrog auszusuchen – und dafür auch Preise von 300 Euro und mehr bezahlen. Doch in der Brunnenstraße bekommt der Besucher zumindest einen Einblick in das Geschäft um den Feststrauß: »Wir finden es für unser Gemeindeleben schön, diesen Markt zu haben. Es kommen auch Leute von außerhalb der Gemeinde«, sagt Fabian.
Mehadrin Rabbiner Shlomo Afanasev, stellvertretender Vorsitzender der Gemeinde, prüft auf Wunsch die Etrogim der Käufer, vergleicht und erklärt. Je weniger Flecken der Etrog hat, vor allem im oberen Drittel, als desto hochwertiger gilt er. Die unterschiedlichen Schönheitsstufen der Zitrusfrucht sind eine Wissenschaft für sich. Auf dem Sukkot-Markt gibt es Etrogim der Kategorie »Mehadrin« (auf Deutsch: gewissenhaft, ausgeschmückt – ab 37 Euro), der noch schöneren Kategorie »Mehadrin min Hamehadrin« (ab 57 Euro) und der Super-Kategorie »Muvhor«. Einige der angebotenen Zitrusfrüchte stammen aus Israel, andere werden aus Marokko geliefert.
Doch ob teuer oder weniger teuer: Der Festtagsstrauß zu Sukkot soll in jedem Fall prachtvoll (»hadar«) sein, schreibt Rabbiner Aharon Ron Vernikovsky in seinem Beitrag für das aktuelle Magazin der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD). Alle vier Bestandteile der Arba Minim haben rein, unversehrt und prachtvoll zu sein. Doch woher beziehen Gemeindemitglieder die Feststräuße? Außer in Berlin, wo am Montagabend auch im Jüdischen Bildungszentrum ein »Schuk Arba Minim« stattfand, gibt es kaum Möglichkeiten, die vier Arten auf einem Herbstmarkt zu erwerben.
Ein sicherer Anlaufpunkt ist das Büro der ORD in Köln. »Liberale und orthodoxe Gemeinden beziehen über uns die Sträuße«, sagt Rabbiner Avichai Apel vom Vorstand der ORD.
Bestellungen »Bestellungen für Arba Minim treffen von ganz Deutschland bei uns ein«, sagt der Kölner Rabbiner Jaron Engelmayer und bestätigt, dass in diesem Jahr wieder Anfragen auch von liberalen Gemeinden gekommen sind. Dabei gibt es viele Stammkunden, unter ihnen sowohl Gemeinden wie Privatpersonen. Das Hauptgeschäft sei aber schon längst vorüber. »Die Bestellungen für dieses Jahr sind bereits versandt und müssten in den nächsten Tagen eintreffen.« Engelmayer kennt auch die genauen Preise: »Ein Set kostet von 21 bis 35 Euro, je nach besonderer halachischer Qualität und Schönheit.«
Die Großgemeinde Dortmund bezieht jeweils etwa 20 bis 25 Sträuße, erklärt deren Gemeinderabbiner Avichai Apel. »So können sich auch Privatleute das Passende oder den Schönsten für sich auswählen.« Die Preisstaffelung errechnet sich laut ORD auch nach dem »Hidur Level«. Ist ein Strauß nur »koscher«, ist er am preiswertesten, ist er darüber hinaus auch »Mehudar« (von besserer Qualität) ist er schon teurer. Genügt er den höchsten Ansprüchen (»Mehadrin«), kann der Strauß auch durchaus noch mehr kosten.
Bedarf Einer der Bezieher ist Andrew Steiman. Der Rabbiner vom Pflegeheim der Henry-und-Emma-Budge-Stiftung hat sich für die beste Variante entschieden. »Drei Sträuße habe ich für das Heim und für meine Familie über die ORD bestellt.« Die Sträuße werden dann auch weitergereicht. Leider gebe es kein entsprechendes Angebot vonseiten der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, von dort Sträuße zu ordern, bedauert Steiman. Schon Monate im Voraus frage die ORD bei ihren bekannten Kunden an, wie viele Arba Minim sie in diesem Jahr benötigen, danach errechneten sie die Gesamtbestellung, und so meldet auch Steiman bei den orthodoxen Kollegen seine Order an.
Leider gebe es immer wieder kleine Zwischenfälle, die eine pünktliche Zustellung verhinderten, erzählt Steiman weiter. »Mal kommen sie zu früh, manchmal zu spät.« Dennoch sei er der ORD sehr dankbar. »Ich weiß ihre Arbeit zu schätzen, sie müssen einen ziemlich hohen Aufwand dafür betreiben.« Und wenn die Sträuße zu früh kommen, legt der Rabbiner sie einfach in die Kühlung, zehn Grad sei die richtige Temperatur, weiß er nach jahrelanger Erfahrung.
»Und dennoch, ein Strauß wird es sicherlich nicht bis Sukkot schaffen«, das wisse er schon jetzt. Schließlich sei die Lieferung bereits am 1. Oktober bei ihm eingetroffen. Schabbat und Feiertage machten einen späteren Versand vonseiten der ORD unmöglich. Und falls doch noch ein Strauß fehlt, weiß Steiman, an wen er sich wenden muss. »Der Gabbai der Westend-Synagoge hat immer noch einen, nach Chol Hamoed kann ich dort anfragen.«
Versand Bis vor ein paar Jahren konnte auch der Judaica-Versand DORONIA in Stuttgart mit Festtagssträußen dienen. »Das machen wir heute nicht mehr«, sagt Geschäftsführerin Tovia Chmelnik. »Wir haben früher die Sträuße aus der Schweiz bezogen und sie fast ohne Gewinn weitergegeben. Damals gab es noch keine andere Möglichkeit, Festtagssträuße in Deutschland zu beziehen.« Heute weiß die Geschäftsfrau, dass die ORD die Sträuße viel preiswerter abgeben kann, weil sie sie direkt aus Israel bekommt.
Dennoch trudeln bei DORONIA derzeit immer noch viele Anfragen nach Dekomaterial zu Sukkot ein. Jom-Tov-Deckchen, Wandbehänge mit Herbst- und Obstdekor, Kerzenleuchter und Teelichter und alles, was den jüdischen Alltag schöner macht, wirbt Chmelnik. Gerade habe zum Beispiel die Jüdische Gemeinde Schwerin Dekoration für die Sukka bestellt.
In der Schweiz bestellen auch die Jüdischen Gemeinden Braunschweig und Hameln ihre Arba Minim. »Die übrigen Gemeinden des Landesverbandes bestellen selbst Sträuße«, weiß Landesrabbiner Jonah Sievers.
Lulav Wer es noch nicht wusste: Auch bei den Palmwedeln gibt es unterschiedliche Kategorien. Der »Lulav Deri«, der auf dem Herbstmarkt verkauft wird, gilt als hochwertig, weil er verhältnismäßig dick und groß ist – und die mittleren Blätter vollständig geschlossen sind. Ein solcher Lulav macht beim Schütteln auch mehr Geräusch.
Ein 21-jähriger Rabbinerstudent geht in der Berliner Brunnenstraße von Tisch zu Tisch – um dann doch nichts zu kaufen. Dabei ist er vom Angebot durchaus angetan: »Für diese Preise gibt es eine gute Qualität. In Israel bekommt man für 37 Euro nicht so ein schönes Set.« Seinen eigenen Etrog holt sich der Student auf einem Markt in Israel, wo er die Sukkottage verbringt. Er meint, man müsse nicht so viel Geld für die Arba Minim ausgeben: »Warum so viel zahlen, wenn die Etrogim für 37 Euro auch schön sind?«